Sonntag, 31. März 2013

Ein Gruss aus Rio

Ein Arbeitskollege schreibt mir eine Mail aus Rio:
bitte entschuldige mich für die nächste Sitzung, du weisst ja, dass ich in Rio bin.
Das werde ich tun - und Nein, ich möchte nicht an seiner Seite sein: in Rio wäre ich doch derselbe.
Sonne hin oder her,
Samba hin oder her,
Sandstrände hin oder her.
Ich habe hier, genauer: hier im Innern meiner Selbst, genug zu tun.
Morgen fahre ich in die Berge.
Neuschnee.
Rio kann mir gestohlen bleiben. 

Freitag, 29. März 2013

Anmerkung zum Logbuch

Connie Palmens Logbuch ist ein Buch, das man nie zu Ende gelesen hat. Kaum gelesen, muss man es wieder hervornehmen, darin blättern, Quervergleiche anstellen, nochmals lesen, beiseite legen, um es später nochmals hervorzukramen. Und so weiter. Weil es mit uns wächst und wir den Text in Abhängigkeit unserer Erfahrungen immer wieder neu lesen. Dies vermag nur Literatur zu bewerkstelligen, die diesen Namen auch verdient. 

Schnee soweit das Auge reicht

Übrigens schneit es an diesem Karfreitag ununterbrochen. Und ich habe nicht einmal etwas dagegen. Mengen von Neuschnee!

Eierindustrie und industrielle Vernichtung

Beim Eierfärben mit meiner Tochter kommen mir so allerlei Gedanken in den Sinn.
Ich habe Bioeier gekauft, so wie ich das immer tue.
Das ist oder soll
ein kleiner Beitrag für eine etwas bessere Tierhaltung
sein.
Und doch.
Machen wir uns nichts vor.
Ich kläre meine Tochter noch nicht restlos auf
wie das so zu und her geht bei der industriellen Auslese.
Auslese.
Dieses Wort kennen wir nur allzu gut.
Männliche Küken, wir wissen es, werden rasch aussortiert.
Dann vergast.
Mit Kohlenmonoxid.
Das kann mitunter 30 Sekunden lang dauern.
Also: kein Sekundentod.
Qualvolles Sterben.
Ich mag Eier, ich gebe es zu.
Bioeier.
Was die ganze Sache
nur ein bisschen
wenn überhaupt
besser macht.
Meine Tochter freut sich auf die bunten Eier.
Ich mag sie auch.
Vor nicht allzu langer Zeit....... 
Nein, ich mag jetzt nicht darüber nachdenken.




Donnerstag, 28. März 2013

vom Gleichgewicht (einmal mehr)

Es gibt Entspannung nur in Balance mit Anspannung.
Ohne Anspannung keine Form, dann ist alles flach, tote Zeit.

Gründonnerstag

Gründonnerstag, es ist Abend, und ich bin allein. Was mir gerade recht ist. Meine Tochter übernachtet spontan bei einer Freundin, so dass ich die folgenden Stunden so gestalten kann, wie ich will. Doch was werde ich überhaupt tun? Zum einen passt es mir, dass es unentwegt regnet. Wäre schönes Wetter hätte ich wohl das Gefühl, nach draussen gehen zu müssen, weil die Vögel ihr Abendlied von den Bäumen singen, die Sonne lieblich scheint und der Grill auf der Terrasse darauf wartet, in Betrieb genommen zu werden. Doch davon werde ich verschont. Ich kann stattdessen mit ruhigem Gewissen mich einbunkern und mich der Stimmung, die draussen herrscht, völlig hingeben: ich sehe etwas Nebel, Regen und den Waldrand (gegen Westen). Gegen Osten schaue ich auf die Stadt, die merkwürdig still vor sich hindöst.
**
Wenn ich alleine bin, koche ich nur rudimentär. Heute gibts ein Spiegelei mit Rösti, dazu viel Wasser. Alleine trinke ich nie höchst selten Alkohol, weil mich das deprimieren würde. Ich mag jetzt nicht darüber nachdenken, weshalb ich dies so empfinde. Danach werde ich lesen (Palmens Logbuch), später werde ich mir einen Film aussuchen, die Beine strecken und mich berieseln lassen. Noch später werde ich ein Lavendelbad nehmen und danach ins Bett hüpfen.
**
An Ostern werden wir uns noch vom Winter verabschieden. Wie sich das gehört: man verabschiedet sich von guten Freunden. In den Bergen hat es noch einen Haufen Schnee, juhe. Das heisst: nochmals so richtig im hohen Schnee stapfen, nochmals mit dem Schlitten den Berg runter donnern, nochmals den winterlichen Clown spielen, kalte Füsse spüren, später in der Berghütte eine heisse Suppe essen, dazu dunkles Brot und etwas Alpenkäse. 
**
Meine Tochter fragt mich in letzter Zeit häufig, ob "dieser Jesus" überhaupt gelebt habe. Ja, den historischen Jesus gab es. Ob er denn aber wirklich Blinde sehend gemacht habe, fragt sie weiter, das könne doch nicht sein. Na ja, das wisse ich auch nicht, ich weiss nicht einmal, ob ich daran glaube oder nicht. Ehrlich gesagt glaube ich nicht daran, aber dennoch kann der Satz wahr sein. Ich versuche, das Ganze als Metapher zu erklären. Sie nickt. Und ich bin ratlos und kann im Grunde der Dinge wenig mit Religion anfangen. Vor allem diese Karfreitagshysterie, wie sie noch in gewissen katholischen Gebieten praktiziert wird, ist mir sehr fremd - und auch suspekt. 

Euch allen wünsche ich frohe Ostertage. 

Im Gefängnis

Neulich ruft er mich wieder an und erzählt mir aus seiner Ehe. Er hat Angst, seiner Frau zu sagen, dass er eine andere Frau kennen gelernt hat, mit der er sich gut versteht. Einfach so. Sie lesen dieselben Bücher, lieben dieselbe Musik und plaudern einfach gerne zusammen. Doch seine eifersüchtig-kranke Ehefrau würde dies nicht verstehen, würde "Verrat Verrat" rufen und ihm den Krieg erklären.
Also lässt er es sein.
Schweigt.
Und geht heimlich an diese Treffen, an denen sie sich gegenseitig Texte vorlesen oder ein Konzert besuchen.

Das selbst gewählte Gefängnis kann grausam sein. Und absurd.


Dienstag, 26. März 2013

ausgeklammerter Frühling

Lassen wir doch den Frühling einfach aus.
Wir überspringen ihn aus purer Ungeduld
und wollen am längsten Tag des Jahres
atemlos
uns dem Leben stellen.
Kompromisslos. 

Das vergilbte Reclamheftchen

Ich mag das längst vergilbte Heftchen aus dem Reclamverlag immer wieder hervorkramen und Voltaires Geschichte von Candide lesen. Sein Fazit bezüglich Optimismus fällt nüchtern aus. Was ist zu tun ausser der Empfehlung, seinen Garten zu bestellen? „Lasst uns arbeiten ohne nachzudenken, das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen“. So illusionslos möchte ich mein Leben doch nicht verbringen. Womit wir wieder bei den eckigen Runden wären, die zu tanzen es sich lohnt. Nein, die zu tanzen ein Gebot des Lebens sind. Manchmal fehlt allerdings die Musik dazu. Oder die Energie. Oder beides. Deshalb wohl nehme ich immer wieder das vergilbte Heftchen hervor - und doch hoffend, dass dies hier nicht alles gewesen sein kann.  

Montag, 25. März 2013

Über das Verharren

Wer bloss im Möglichen verharrt, ist schon gestorben.
Wer lebt, ist Grenzgänger/in.

Wer lügt...

Eben in den Sinn gekommen:
wer lügt, ist nicht frei (Heinrich Mann). 
So trivial und so wahr!

Sonntag, 24. März 2013

Randnotiz am Sonntagabend

Heute in der Sauna sprang mich heimtückisch der Ekel an. Plötzlich war er da. Unangemeldet. Ich sah nur noch Berge von Fleisch, schwitzendem Fleisch, das sich der Hitze aussetzt, um bald darauf vom Eis geschüttelt zu werden.
**
Ich stelle mir vor:
Niemand kennt dich, niemand kennt mich.
Nur wir kennen uns
verdammt gut und
überhaupt nicht.
Der Rotwein schmeckt vorzüglich.
Danach gibt es nur noch Atemlosigkeit, die ständig mit neuem Sauerstoff gefuttert wird,
um dem ungebändigten Drang
nach Leben
umso mehr
nachzugeben. 

Logbuch...(IV)

Alkoholismus hat etwas mit Tod und Trauer zu tun, nicht unbedingt mit einer schon erlebten Trauer, aber mit einer Trauer, die immer in Aussicht steht und täglich spürbar ist. Diese Trauer ist das Präludium zu einem Verlust, der sich irgendwann einstellen wird, das steht fest, dem entgeht niemand. Es ist nicht nur die Trauer um den möglichen Verlust geliebter anderer, es ist auch die Trauer um den Verlust der eigenen Existenz.
Connie Palmen, Logbuch, S. 176 unten.

Ich ersetze "Alkoholismus" durch "Sucht", weil ansonsten der Text zu einschränkend auf mich wirkt: wenn aber allgemein von "Sucht" gesprochen wird, erkenne ich mich im Text wieder. Sucht als Metapher für alles Menschliche und allzu Menschliche. Und ich unterstreiche diesen einen Satz: Trauer.....als Präludium zu einem Verlust, der sich irgendwann einstellen wird. Also: vorweggenommene Trauer, die sich irgendwann zwangsläufig einstellen wird. Andere mögen erst dann von Trauer befallen sein, "wenn es soweit ist", ich aber -schön, dass ich dabei nicht alleine bin- kann in Trauer verfallen ob eines Ereignisses, das noch gar nicht eingetreten ist, das aber irgendwann doch eintreten wird. Trauer als treue Begleiterin des Alltags, als tragende und damit verlässliche Basis des Daseins schlechthin.

Für diesen kleinen Abschnitt bin ich Connie Palmen unendlich dankbar.
Und Dir, ich wiederhole mich, für den Hinweis auf dieses Büchlein, dessen Inhalt so ungemein klug ist. 

Freitag, 22. März 2013

Bubi Bieber

Vor 50 Jahren warteten die Mädels
kreischend
auf die Beatles. Die verstanden immerhin etwas von Musik.
Heute warten sie kreischend auf das Bubi Justin.
Das grosse Gekreische vor dem Justin-Bieber-Konzert in Zürich.
Ich werde offensichtlich alt.

Logbuch...(III)


Wer der Angst vor dem Tod entflieht, verfehlt das Glück.
Wer sich nicht am Leben anderer schuldig macht, nimmt nicht teil.
Mit dem Rausch entkommt man 
vorübergehend 
der Schuld der blossen Existenz.
(...).
Worüber du sprechen kannst, darüber schreibst du nicht.
Connie Palmen, Logbuch, S. 180

Donnerstag, 21. März 2013

Explosiver Mix

Lust, Sehnsucht und Neugier: ein explosiver Mix an Energie, die ihre adäquate Ausdrucksform sucht und womöglich schon gefunden hat.

Logbuch....(II)

Was für eine Verschwendung, an solchen Tagen im Büro zu sitzen. Und zwischen den Berichten, die ich schreibe, das Buch von C. Palmen. Sie ersäuft beinahe in ihrer Trauer. Aus dem du und ich ist zwischen ihr und ihrem Mann ein Wir entstanden, das unauslöslich scheint und ein Eigenleben führt. Das ich ohne du existiert nicht mehr, und in der Erfahrung des Verlustes wird das Wir umso dominanter. Sie nennt es "Doppelung" (S. 77)..."es ist eine permanent anwesende Vergangenheit, die das Heute, durch das du dich Stunnde für Stunde hindurchbeisst, unwirklich macht. Du atmest, du redest, du tust, als seist du normal, aber wie der Tote bist du da und doch nicht mehr da".

Mittwoch, 20. März 2013

Agnes Obel

Und noch dies für heute.
Und auf Seite 93 würde ich mit dem Vorlesen aufhören

Connie Palmen: Logbuch eines unbarmherzigen Jahres (I)

Ich habe das Buch, das Du mir empfohlen hast, heute Nachmittag gekauft und konnte es nicht unterlassen, Dich per sms darüber zu informieren. Atemlos lese ich mich nun durch den Text: warum kennst Du mich, dass Du wissen musstest, wie sehr ich dieses Buch zu schätzen weiss? Ich bin auf S. 94 angekommen und muss eine Pause einlegen, um die feinen Nuancen, Querverweise und Anspielungen in und zwischen den Zeilen nicht zu verpassen. Jeder Satz kommt dicht und klug daher und verlangt präzises Lesen. Es ist ein kompromissloser Text, nackt im besten Sinne des Wortes, da er nichts verbergen und beschönigen will, im Gegenteil: der Schmerz als tragendes Motiv der Erzählung, genauer: des Berichts kommt mit voller Wucht daher und lässt kein Entkommen zu. Ich muss mich davor hüten, gleich mal jeden zweiten Satz anstreichen zu wollen. Dein Lesetipp: ein Volltreffer. Danke.

31. Mai 2010 (Seite 28)
Dieses Schreiben ödet mich an. Dieses Ziellose, von nichts anderem angetrieben zu werden als der profanen Uhrzeit statt von der Ewigkeit einer Idee, eines Zusammenhangs, einer Struktur. Es ödet mich genauso masslos an, wie mich mein Leben jetzt anödet, die endlosen Tage, die Zerstreuung an den Abenden, die Leere der Nacht. 

Flucht am Nachmittag

Und plötzlich packt mich der Drang, das Büro einfach und mir nichts dir nichts zu verlassen. Ich brauche eine Menge Sauerstoff, weil ich sonst ersticke. In der Altstadt werde ich etwas trinken gehen (Cola light) und der vergangenen Zeit nachspüren. Es erdet, sich inmitten von Gemäuern zu bewegen, die seit Jahrhunderten da stehen und der Vergänglichkeit trotzen.

Dienstag, 19. März 2013

Über das Weinen

Neulich und wie beiläufig sagte mir jüngst meine Tochter, dass sie mich noch nie weinen sah. Die Mama hingegen schon, aber mich nicht. Sie sagte dies nicht in einem trotzigen Ton, sondern nüchtern feststellend. Ich fragte nach und wollte wissen, was das nun für sie bedeute. Eigentlich nichts. Aber ob ich denn nie weine, wollte sie schon genauer wissen. Und so redeten wir über das Weinen, genauer: über die verschiedenen Arten des Weinens.

Es gibt nicht nur das sichtbare Weinen, es gibt auch das stille und von aussen kaum wahrnehmbare. Jenes Weinen, das sich der Aufmerksamkeit der Umgebung zu entziehen weiss. Nicht, dass ich mich des Weinens schämen würde - ich wüsste nicht, was es da zu schämen gäbe. Aber ich neige nun mal dazu, still zu weinen, wobei mich dabei jeweils eine oder zwei Tränen zu begleiten wissen. Ich sagte ihr auch, dass Weinen nicht zwangsläufig nur etwas mit Trauer oder Traurigkeit zu tun hat, beileibe nicht ! Weinen kann man auch aus Betroffenheit, aus Rührung (was bitte nicht mit Sentimentalität zu verwechseln ist), ja natürlich auch aus Freude. Mozart bringt mich dazu, Tränen zu vergiessen, und ganz offenkundig ist dies ihr noch nie aufgefallen, ebenso wenig meinen Sitznachbarn im Opernhaus, denke ich mal.

Ich dachte heute über diesen kürzlichen Dialog etwas nach und glaube, dass ich bislang authentisch gehandelt habe: ich weine so, wie ich nun mal weine. Dass mich meine Tochter dabei nie "erwischt" hat, nehme ich zur Kenntnis. Und trotzdem stört es mich ein wenig. Weil sie vielleicht bislang glaubte, dass ihr Papa nicht weint, weil er ein Mann ist. Wenn dem so wäre, so wäre das ein falsches, ja fatales Signal. Umso mehr habe ich ihr gesagt, dass Weinen nicht eine Frage von Mann oder Frau, von Kind oder Erwachsenem ist. Weinen ist vielmehr ein Grundrecht eines jeden. So wie man lachen darf, darf man auch weinen. Ob zu Hause, im Treppenhaus, im Opernhaus oder im Schulhaus. Oder wo auch immer. So wie nicht immer die Lauten stark sind, nur weil sie lautstark sind, so sind nicht immer jene die Schwachen, nur weil sie mal weinen. Weinen kann auch Ausdruck von Stärke, ja von Souveränität sein, so wie, negativ formuliert, lautes Gebrüll noch lange kein Zeichen von Stärke ist: es schreien vorab jene am Lautesten, die keine Argumente haben.

Ich denke, dass sie dies verstanden hat. Und es mag auch sein, dass sie dereinst ihren Papa durchaus still wird weinen sehen, denn ich stehe ab sofort unter strenger Beobachtung. 

Montag, 18. März 2013

An diesem trivialen Montagabend

Schreiben ist für mich schon längst zu einer Therapie geworden. Manchmal flüchte ich, um schreiben zu können, auch wenn ich nichts zu schreiben habe. So wie jetzt. Draussen: starker Schneefall, windig, unfreundlich, bald dunkelt es ein. Die Wohnung ist nun leer und ich kann mich ganz meinem Refugium unterwerfen. Heute mag ich nicht mehr nach draussen gehen, zu müde und abgekämpft bin ich. Ich huste und habe Schnupfen. Was werde ich mit meiner freien Zeit heute Abend tun? Nur bitte keine Menschenansammlungen, mein Kopf brummt zu sehr. Schreiben strengt mich an, lesen auch. Doch die Unruhe in mir lässt mich nicht ruhen. Da kann ich noch so viel Tee trinken. Da hilft wohl nur eines: den Wäschekorb endlich abbügeln, dazu einen Krimi aus der Büchse reinziehen, die Bella Block vom Samstag habe ich zum Glück aufgenommen.
**
Das Spielen mit einem "anderen Leben" ist vermutlich blosse Koketterie. Ein anderes Leben gibt es nicht, so lange man in der eigenen Haut steckt und immer denselben inneren Mustern verhaftet bleibt. Und was wäre das überhaupt, ein "anderes Leben"? Ich weiss es nicht.
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Ein Arbeitskollege von mir ging vor Jahren ferienhalber nach Japan. In Osaka geht er in das Touristenbüro und lässt sich von der dortigen Angestellten beraten. Heute sind die verheiratet, und er schwärmt von der japanischen Kultur. Da treffen sich zwei wildfremde Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen. Und bleiben zusammen. Die Geschichte gefällt mir, warum auch immer. 

Dürrenmatt als Maler und Zeichner

Ich bin kein Maler. Ich male technisch wie ein Kind, aber ich denke nicht wie ein Kind. Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke.
Friedrich Dürrenmatt


Ich liebe Dürrenmatts Malerei, weil darin jener Sarkasmus zum Tragen kommt, der auch seine Schriften dominiert, aber auch: Humor, Doppelbödigkeit, Boshaftigkeit und immer wieder auch die Gabe zum Tragischen und Komischen zugleich. 

Samstag, 16. März 2013

Rituale

Erstaunlich immer wieder die banale Feststellung, wie Rituale beruhigen können, obwohl -oder gerade deswegen- hierin "das bloss Mögliche" zelebriert wird. "Das Unmögliche" hingegen ist jenseits all dem und wartet darauf, behutsam und nur punktuell zum Leben erweckt zu werden - wenn es denn überhaupt am Leben ist. Rituale des Alltags sind das beste Gegengift, das Mögliche erträglich zu gestalten. Bestelle deinen Garten, meint Voltaire. Ich putze also nun die Wohnung, lasse die Sonne durch die Wohnung fluten und gehe danach zum Italiener um die Ecke: Pizza, Salat und Primitivo di Manduria. Und ich wünsche allen ein gelungenes Wochenende mit einem wenn auch bloss nur kleinem Fenster, das sich aber weit öffnen und liebliche Frühlingsgrüsse passieren lässt.

Freitag, 15. März 2013

Das Grundaxiom

Letztlich erleben wir die Welt und damit unseren Alltag in Abhängigkeit unseres Grundaxioms, nämlich: ob wir die Welt als grundsätzlich gut oder grundsätzlich schlecht wahrnehmen. Nur: mein Grundaxiom ist nicht konstant, ich schwanke. Manchmal denke ich mir: doch, das Universum ist grundsätzlich gut und getragen von guten Mächten, dann wiederum:  Nein, dies hier ist eine zynische Welt des Labyrinths, das uns nur in die Irre laufen lässt. Die damit einhergehenden Pendelbewegungen sind manchmal unerträglich. 

Der Papst in der Strassenbahn

Päpste sind mir per se suspekt. Und jetzt also dieser heilige Franziskus, der in den Medien -sogar in liberalen Blättern, was mich schon sehr erstaunt- herbei gejubelt wird als "Papst der Armen". Als schlicht wird er bezeichnet, ach, er benutzte gar die Strassenbahn, wie aufregend. Das war jedenfalls eine gute PR-Aktion der jesuitischen Propaganda. Mich würde aber vielmehr interessieren, was der besagte Heilige Franziskus während der argentinischen Militärdiktatur genau tat und auch nicht tat. Dass der Vatikan heute so heftig jegliche Kollaboration zwischen ihm und der damaligen Junta verneint, macht umso hellhöriger. 

Liebe wieder Verschwundene,

Soll ich daran gewöhnt werden, dass Du immer wieder verschwindest? Wenn Du so dauerhaft fehlst, wie jetzt, dann fehlt mir das Unmögliche, und ich merke: ohne Unmögliches kann ich nicht leben. Umgeben von nichts als Möglichem erlischt das Leben selbst. 
Martin Walser, das dreizehnte Kapitel, S. 259

Ich unterstreiche doppelt und dreifach:
Umgeben von nichts als Möglichem erlischt das Leben selbst. 

Donnerstag, 14. März 2013

Fleet Foxes

Leichtfüssig wie eine sanfte Brise an einem Frühlingsabend.

Randnotizen aus dem Alltag

Was mir heute Abend nach dem heutigen Tag so alles durch den Kopf geht (unstrukturierte Wiedergabe, da meine Gedanken ebenso undiszipliniert im Kopf herum schwirren):

  • Der neue Chef des Investment Bankings bei der UBS erhält als "Antrittslohn" (wie bitte??) die bescheidene Summe von 25 Mio Franken. Das sei branchenüblich, lese ich in den Wirtschaftsnachrichten. In welcher absurden Welt leben die dort? 
  • Der Herr Steinbrück setzt sich neuerdings und wortgewaltig für den Mindestlohn ein von 8.50 Euro die Stunde. Ausgerechnet Steinbrück, der ihn in den Jahren zuvor ablehnte. Jetzt, als Möchtegern-Bundeskanzler, ist er, oh Wunder, dafür. Steinbrück, ein Wendehals und Opportunist ohne Rückgrat. 
  • Politik ist für mich ein notwendiges Übel. Morgens beim Frühstück und später im städtischen Bus lese ich nur am Rande politische Berichterstattung. Weit interessanter ist das Feuilleton. Das lenkt mich auch ab und lässt mich vor allem abtauchen in andere Welten. Manchmal bin ich ein Weltflüchtiger. 
  • Ich liebe es, morgens durch die städtischen Gassen zu schlendern, weil ich dann die Zeit so intensiv zu spüren glaube und wie sie mir davon läuft und ich ihr bloss noch nachhechle. Manchmal, wenn ich Zeit habe oder ich mir die Zeit nehme, sitze ich gegen 10 Uhr immer in derselben Kneipe und bestelle meinen Espresso mit einem Glas Wasser. Mein ehemaliger (und in der Zwischenzeit pensionierter) Deutschlehrer sitzt meistens auch dort, so dass wir uns vornehmlich über literarische Neuerscheinungen unterhalten können. Und wenn ich dann auf die Uhr schaue und ich mich von ihm verabschiede, kann es gut und gern 11 Uhr sein. 1 Stunde Kaffeepause, die ich mir im Grunde der Dinge gar nicht leisten kann. Ich tue es trotzdem, so unvernünftig wie ich bin.
  • In mir sitzt eine tiefe (und letztlich diffus bleibende) Sehnsucht, die, ich weiss es genau, nie zu stillen sein wird. Eher müsste ich sie zu zähmen versuchen.
  • Ende Monat etwas mehr Geld auf dem Konto zu haben wäre nicht schlecht. Gelingen will es mir aber nicht. Dann tröste ich mich mit der Einsicht, dass ich noch mehr Steuern bezahlen würde
  • Die Menschen in unseren Breitengraden sind in der Regel humorlos, genauer: sie wollen für sich sein. Im Café, im Bus, wo auch immer. Ein spontanes Schwätzchen kommt selten zustande.
  • In einem Zimmer meiner Wohnung liegen Bilder von mir herum, die mich als Kind zeigen. Manchmal schaue ich sie mit einem Lächeln an. Melancholisch werde ich jedoch nie dabei, zum Glück. Meine Tochter mag die Bilder und sagt mir immer wieder, wie sehr wir uns gleichen. Sie weiss, was ich gerne höre. 
  • Ich sträube mich oftmals, abends rechtzeitig ins Bett zu gehen. Lieber hänge ich noch etwas herum, lese hier und dort, höre Musik oder spiele Gitarre, schreibe oder starre in die dunkle Nacht. Vermutlich aus Angst, im Schlaf irgend etwas zu verpassen.
  • Morgen ist Freitag....ich freue mich auf das Wochenende. 

Mittwoch, 13. März 2013

AW: über Mögliches und Unmögliches

Von: Simona.xy@bluewin.ch                 Gesendet: 13.03.2013 23.30
An: Karin.az@hotmail.com
Kopie/cc:
Betreff: AW: Über Mögliches und Unmögliches

Liebe Karin
Die Würfel sind gefallen. Wir werden uns treffen. Paff, das sitzt, gell? Noch vor wenigen Tagen schrieb ich Dir von der Unmöglichkeit eines Treffens, doch jetzt....will ich diesen Boden unter meinen Füssen gar nicht mehr spüren wollen! Ich werde Dir morgen -1700 Uhr vor dem Casino, gell!- die Geschichte erzählen, doch dies will ich Dir hier schon verraten: ich treffe ihn in Basel, wo er auch landen wird. Damit sei es schon gesagt: er ist kein Schweizer, sondern Deutscher. Kommt aus dem Norden und wird mich besuchen (besuchen, ja). Weil auch er den Boden, unseren Boden!, nicht mehr spüren möchte. Ich bin süchtig nach seinen Mails, so wie er süchtig nach den meinen ist. Und nun sehen wir uns! Treffpunkt Flughafen Basel, nächste Woche....Treff in der Ankunftshalle... Ich habe schon jetzt weiche Knien, nur wenn ich daran denke. Ob ich Gefahr laufe, dass man mich dort -die Welt ist klein!- erkennt, per Zufall von irgend einem Nachbarn oder einem Arbeitskollegen meines Mannes oder....? Ach was, ich mache mir zu viele Gedanken (bin ich verdammt unvorsichtig? Ich riskiere viel, nicht wahr? Zu viel???). Ich warte auf diesen Augenblick, mein Herz pocht schon jetzt, die Menschen werden die Ankunftshalle bevölkern und ich werde warten, auf ihn, auf dass er kommt, Flug LX 4552/Hamburg. Ein Programm habe ich mir schon ausgedacht: nach der ersten, mit Sehnsucht erwarteten Umarmung (werde ich mich aus ihr überhaupt befreien können? und werde ich in jenem Augenblick etwa an Stefan denken...müssen? Wird er überhaupt präsent sein in meinen Gedanken und Gefühlen???) fahren wir dann mit meinem Auto Richtung Stadt und werden uns irgendwo am Rhein unten in aller Ruhe unterhalten. Kennst Du den schönen Weg unterhalb des Hotels Drei Könige? Ich stelle mir vor: Hand in Hand werden wir entlang des Rheins laufen (Gott, bin ich kitschig, romantisch, mutiere ich gänzlich zu einer verzogenen Göre?) und reden, reden, reden (und...?). Ich habe Angst vor plötzlicher Sprachlosigkeit oder auch davor, dass ich nur noch durchflutet werde von Glücksgefühlen und lächerlichen post-pubertärem Getue (ich Esel!). Und Angst auch vor bitterer Niederlage, worin diese immer begründet sein mag. 

Karin, was mache ich bloss? Sag es mir bitte morgen, sage mir, ob ich etwas mache, was ich dereinst vielleicht bereuen  mag. Sei offen, direkt, ungeschminkt, auch auf die Gefahr hin, dass ich morgen in Tränen ausbreche und weder ein noch aus weiss. Ja, zerstöre meine Illusionen! Sind es welche? Worin besteht Glück? Gibt es den magischen Moment noch? Darf ich ihn für mich, ganz für mich, in Anspruch nehmen? 
Nun schlaf ganz friedlich und tief (was Du wohl jetzt schon lange tust :-). 
Herzlich. Simona

PS Damit keine Missverständnisse auftauchen: ich habe für dieses erste Treffen kein Hotel gebucht! Hättest Du etwas anderes von mir erwartet?? Rückflug: 1920....ich muss ihn aber früher verlassen, Du weisst ja, Stefan....ach. 

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: Simona.xy@bluewin.ch                 Gesendet: 10.03.2013 15:20
An: Karin.az@hotmail.com
Kopie/cc:
Betreff: AW: Über Mögliches und Unmögliches
Tschou Karin!
Hab Dank für Deine lieben und ausführlichen Zeilen. Mit dem Bändchen, das will ich gleich vorwegnehmen, wollte ich Dich überhaupt nicht aus der Reserve locken oder necken oder was weiss ich. Es war ein spontanes Geschenk von mir für Dich, weil ich das Büchlein faszinierend fand (ich sage Dir noch weshalb) und ich Dir damit eine kleine Freude machen wollte. Und auch, weil ich Dir damit etwas mitteilen wollte, etwas, was direkt mich angeht und Stefan. Nur dass er davon nichts weiss. Vielleicht ahnt er "irgend etwas", aber er hat mich nie darauf angesprochen, und ich erzähle es ihm auch nicht. Es ist nämlich mein kleines grosses Geheimnis, das ich Dir damit offenbaren will. Weil ich das Bedürfnis habe, es zu deponieren in gut aufgehobenen Händen, auf dass wir mal darüber diskutieren können. Deine erste Reaktion hat mir gezeigt, dass Du ganz offensichtlich ähnliche Bedürfnisse (sind es Bedürfnisse? vielleicht eher Gefühle, Wunschvorstellungen, die gar nicht erfüllt werden müssen?) hast wie ich, nur dass ich sie bereits auslebe - nein, nicht im Massstab 1:1, sondern wie die beiden Hauptpersonen im Walserroman in "Schriftform" (was aber sehr wohl heftig unter die Hand gehen kann!). Also: ich habe ihn per Zufall (wirklich, ich habe nicht aktiv gesucht, ich würde es Dir sagen, wäre dem so) auf einem Philosophieforum im Internet kennengelernt. Wir haben uns ausgetauscht über Hannah Arendt, er ganz heftig zweifelnd an ihrer Interpretation bezüglich der Banalität des Bösen. Aber lassen wir das hier einmal stehen. Es entstand sodann innert relativ kurzer Zeit ein intensiver Mailverkehr. Bald erzählten wir uns alles, was es zu erzählen gibt (die Nächte sind manchmal lang! und Stefan schläft verdammt tief und fest). Auch Intimes, Privates, Sensibles...und wir beide wissen (oder ahnen) aber gleichzeitig, dass wir uns nie begegnen werden. Weil das Unmögliche unmöglich bleiben soll. Aus ganz unterschiedlichen Gründen, vielleicht auch aus Bequemlichkeit, mag sein, aber vor allem wohl aus Angst, sich gänzlich zu verlieren und den Boden unter den Füssen nicht mehr zu spüren. Aber auch weil ich Stefan ja liebe, meinen Mann, der mir Sonntags immer noch meine Lieblingsbrötchen bringt und mir frischen Orangensaft zubereitet. Und dennoch diese letztlich diffuse Sehnsucht in mir, die ich seit Jahren in mir trage, aber nie über sie nachzudenken wagte. Bis es dann zu dieser sonderbaren Begegnung kam, Knall auf Fall. Das Leben ist komisch, liebe Karin, findest Du auch? Komisch in dem Sinne, dass wir zwar alles haben, was wir uns wünschen können, und dennoch ein Manko in uns spüren, ein Verlangen von unendlicher Weite und Tiefe, das wir aber dennoch nicht genau benennen können. Bis zu jenem Zeitpunkt, da alles wahr zu werden droht, was man sich herbeisehnte und das uns doch so furchtbar Angst macht. Du hast es schön formuliert: diese Hoffnungslosigkeit, die uns so viel zu geben vermag, weil sie nur eine verdichtete Gegenwart zulässt und diese sich weder um Vergangenheit noch um Zukunft kümmern muss. Also: kein Rucksack, der schwer wiegen würde, keine Zukunftsängste, die uns manchmal den Schlaf rauben. Keine Banalitäten des Alltags. Ehrlich gesagt weiss ich nicht, wie lange ich das alles durchhalten kann, dieses Schreiben ohne Hoffnung auf eine Begegnung, und ginge es dabei bloss darum, für einen Moment die Hand des Gegenübers, der so wunderbare Zeilen zu verfassen vermag, zu halten, sie anzuschauen, sie liebevoll zu streicheln, um alsbald wieder zu verschwinden.
Ich ruf Dich nächste Woche an. Freue mich auf Dich!
Bis bald, Deine Simona

PS Rolf ist immer noch in Berlin, habe aber seit ca. 2 Jahren nichts mehr von ihm gehört. Kann Dir aber eine lustige Geschichte erzählen...

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: Karin.az@hotmail.com                           Gesendet: 09.03.2013 23:15
An: Simona.xy@bluewin.ch
Kopie/cc:
Betreff: Über Mögliches und Unmögliches

Liebe Simona!
Ich habe das Bändchen von Walser durchgelesen, beinahe in einem Zug. Atemlosigkeit beherrschte mich dabei. Ja, ich habe mich darin erkannt. Die Möglichkeit -und sei es nur eine virtuelle!- zur temporären Flucht aus der Alltagskiste fasziniert mich, lässt mich nicht mehr los. Ich weiss es sehr wohl, dass Du mir dieses Büchlein mit Absicht geschenkt hast, um mich aus der Reserve zu locken. Willst Du mir auch sagen: wache auf, Karin! Wenn dem so wäre, so habe ich Deinen Ruf vernommen, ja ich habe ihn regelrecht verinnerlicht. Dabei, Du weisst es, liebe ich meinen Martin über alles. Er ist ja ein guter Mann und Vater, er ist fürsorglich und trägt mich auf beiden Händen. Bin ich eine undankbare Ehefrau, wenn meine innere Stimme mir zuflüstert: das genügt mir nicht! Das kann noch nicht alles gewesen sein! Ja, wir wollen zusammen alt werden. Vermute ich mal. Und dennoch...ach, ich weiss es nicht, was es genau ist.

Vielleicht dies (es bleibt aber diffus): was Walser "das Unmögliche" nennt, für mich übersetzt mit "das Andere/Neue/Verlockende/Atemlose/prinzipiell nicht Erreichbare", aber auch "Tiefe/Geborgenheit/Verständnis", ja das ist es auch! Wie sehr, -verdammt, ich werde rot und zittere halbwegs, wenn ich dies Dir und auch mir selbst! offenbare-, sehne ich mich nach einer Begegnung, die alles, was bisher war, für Momente einer Ewigkeit auf den Kopf stellt und das Bestehende dennoch nicht in Frage stellt. Eine Begegnung, bei der ich nichts zu rechtfertigen habe, bei der keine Vergangenheit zählt, keine Zukunft, bloss nur Gegenwart, pure nackte Gegenwart, die alles zulässt und ja, quer zu allem steht, was bisher war und ist! Keine unnötigen Fragen werden dabei gestellt, keine versteckten Vorwürfe, keine gut gemeinten Ratschläge in die Runde geworfen. Nichts von alldem. Dafür: innige Liebe zweier Menschen, deren Lebenswege sich für einen Moment kreuzen, wissend, dass sie aber bald wieder auseinander driften werden und müssen, um irgendwann -irgendwann!- wieder zusammenzukommen, aber ohne Ziel und ohne Hoffnung, ja ohne jegliche Hoffnung, weil beide ein Zuhause haben und dennoch eine tiefe Sehnsucht in sich tragen, eine unbeschreibliche, tiefe Sehnsucht nach umfassender Liebe. Und wenn ich diesen -wohl verstanden nicht vorhandenen- Menschen nicht sehe und spüre, so vermisse ich ihn aufs Schmerzlichste, obwohl ich meinen Mann über alles liebe.

Ist das ein Widerspruch? Sag es mir, Simona, sage mir, ob ich zurück in die Pubertät falle (obwohl, so glaube ich, dies hier nichts mit Hormonen zu tun hat :-), Du kennst mich ja soooo lange schon, weisst Du noch, als wir damals in der Tanzdiele waren, hach! Das waren noch Zeiten. Und unsere gemeinsame Reise nach Paris kurz nach der Matura, unsere Diskussionen im Quartier Latin, die kein Ende finden wollten...sage, bin ich in einer Lebenskrise? Ist sie das also, diese vieldiskutierte Midlife Crises? 
Wann hast Du Zeit für ein Gläschen Wein? Rufst Du mich an? Du bist ja nicht diejenige, die viel schreibt....oder vielleicht doch? Wie auch immer. Ich drücke Dich - schönen Sonntag und Grüsse Deinen Mann von mir herzlich.
Deine alte Unifreundin Karin, die, überflüssig es zu sagen, auf Deine Diskretion baut und sich dafür unendlich bedankt.

PS: weisst Du, was aus Rolf geworden ist? 

Wir haben einen neuen Papst!


Jausa
einen neuen Papst
der neue Papst ist besser
ja besser
als der alte Papst
jeder neue Papst ist besser
wir wollen täglich einen neuen
frischen Papst
jausa
ja täglich
täglich
einen neuen
funkelnagelneuen Papst
schon morgen fangen wir an
morgen schon wollen wir einen niegelnagelneuen
Papst
und den alten schaffen wir ab
und übermorgen schaffen wir den neuen ab
zuerst einen neuen
und dann abschaffen
jausa
jausa
wir schaffen gleich am besten alle ab
bevor der Neue da ist
wird er abgeschafft
dann sparen wir Geld
und Gebete und Tränen
und dann verkaufen wir den ganzen Vatikan
zum Schleuderpreis
zum ersten
zum zweiten
zum dritten
zum Schleuderpreis
Vatikan gefällig
frisch erhaltene Pieta
Juwelen, Fresken und Ornate
Päpste
konzilerprobt
und heilige Banken
und Häuser und Straßen und Seen und Paläste
billig abzugeben
kaufen Sie sich einen Papst
oder wenigstens einen Kardinal
oder einen Erzbischof
vielleicht fürs Parteibüro einer christlichen Partei
und dann verschenken wir das Geld
nein
nein
wir geben es zurück
geben es einfach wieder zurück
jausa
das wird ein Fest
wenn die Jahrhunderte Schlange stehen
die Armen
die Krüppel
die Rothaarigen
die Schwulen
die Alchimisten
und die Frauen
die seelenlosen Frauen
halt nein
1400 sowieso haben sie ja eine bekommen
bravo bravo
und ein Recht aufs Himmelreich
bravo bravo
alle stehen sie an
und trommeln mit den Fingern
und stampfen auf und klappern mit ihren Blechnäpfen
die Zahnlosen
die Aussätzigen die Diebe die Hexen die Huren
alle wollen sie was zurück
ihr Geld
und ihre Seligkeit
und ihre Herzen
und Hirne
alle stehn sie Schlange
aber es ist ja genug da
jausa
jetzt wird verteilt
in nomine patris
et filii
et spiritus sancti
und so wird das alles ja nun auch mal gemeint gewesen sein
denk ich immer
ungefähr so
ungefähr so
muss das ja wohl mal gemeint gewesen sein
als die sich damals prügeln ließen
und kreuzigen und steinigen
und foltern
soviel unbeschreibliche Schmerzen
all die Sanften
während sie singend auf die Löwen zuschritten
im Namen des Menschen
die müssen das nämlich alle so gemeint haben
und manchmal
aber nur wenn man sich sehr bemüht
hört man sie schluchzen
in ihren Katakomben
immer nur nachts
wenn die Heiligenbildverkäufer
ihre Stände abgebaut haben
und strahlend betreten am nächsten Morgen die Ehrwürdens
die Bühne
behängt und geschmückt und beringt wie die Christbäume
und sprechen das agnus dei.
Und wenn sie ihre Hände zum Segen erheben
mach ich mich ganz klein
um auch ja nichts
abzukriegen davon.

Angst als Feind

Heute aufgeschnappt (Quelle nicht mehr präsent):
Angst ist der Feind des Staunens, das doch die sokratische Bedingung des Philosophierens ist. 

Also:
Die Überwindung der Angst als sachlogische Voraussetzung jeglicher Auseinandersetzung mit dem Sinn unseres Daseins und damit unseres Lebens schlechthin. Doch wie die Überwindung gelingt, ist mir zumindest nicht immer klar. Aber ich sehe schon, dass die Aussage stimmig ist - Angst kann nie eine gute Ratgeberin sein. 

Montag, 11. März 2013

Angst, präzisiert

Es geht mir nicht um Angst in einem pathologischen Sinn verstanden. Ich habe keine Depressionen, stehe morgens frisch auf und frühstücke, als ob ich Schwerarbeiter wäre. Es geht mir um etwas gänzlich Anderes, und dies muss ich unterstreichen, um nicht missverstanden zu werden: Ich gehe von Sartres Begrifflichkeit aus, derzufolge Angst als Bewusstwerden meiner grundsätzlichen Unbestimmtheit als Mensch zu verstehen ist. Ich weiss, dass dies nur ein Deutungsmuster sein kann und Sartre kein Säulenheiliger ist. Es muss und es gibt noch andere Stimmen in der Philosophie, die diesen Pfad verlassen haben. Daran will ich mich vermehrt orientieren oder zumindest die Spurensuche aufnehmen.

Sonntag, 10. März 2013

Angst

Gottlob selten packt mich eine nicht näher definierbare Angst. Ein Gefühl, alles werde zu viel. Zu schwer, zu hoffnungslos, zu schnell, ja zu schnell. Ich lasse dieses vermaledeite Gefühl einfach vorbeiziehen, bewerte es nicht. Ich stehe sodann auf der Terrasse und beobachte den finsteren Himmel, spüre den leichten Regen auf meiner Haut und atme tief durch. Nichts fiele mir dazu mehr ein. 

Der Lohn einer Friseurin

Wie lebt man eigentlich mit rund 1'200 Euro brutto im Monat (bei einer 100%-Beschäftigung) in Berlin? Das scheint der durchschnittliche Lohn zu sein von Friseurinnen, Kellner/innen oder Angestellten der Post. So bleiben für einen Monat gerade mal netto 1'000 Euro zum Leben - in Berlin.

AW: über Mögliches und Unmögliches


Von: Simona.xy@bluewin.ch                 Gesendet: 10.03.2013 15:20
An: Karin.az@hotmail.com
Kopie/cc:
Betreff: AW: Über Mögliches und Unmögliches
Tschou Karin!
Hab Dank für Deine lieben und ausführlichen Zeilen. Mit dem Bändchen, das will ich gleich vorwegnehmen, wollte ich Dich überhaupt nicht aus der Reserve locken oder necken oder was weiss ich. Es war ein spontanes Geschenk von mir für Dich, weil ich das Büchlein faszinierend fand (ich sage Dir noch weshalb) und ich Dir damit eine kleine Freude machen wollte. Und auch, weil ich Dir damit etwas mitteilen wollte, etwas, was direkt mich angeht und Stefan. Nur dass er davon nichts weiss. Vielleicht ahnt er "irgend etwas", aber er hat mich nie darauf angesprochen, und ich erzähle es ihm auch nicht. Es ist nämlich mein kleines grosses Geheimnis, das ich Dir damit offenbaren will. Weil ich das Bedürfnis habe, es zu deponieren in gut aufgehobenen Händen, auf dass wir mal darüber diskutieren können. Deine erste Reaktion hat mir gezeigt, dass Du ganz offensichtlich ähnliche Bedürfnisse (sind es Bedürfnisse? vielleicht eher Gefühle, Wunschvorstellungen, die gar nicht erfüllt werden müssen?) hast wie ich, nur dass ich sie bereits auslebe - nein, nicht im Massstab 1:1, sondern wie die beiden Hauptpersonen im Walserroman in "Schriftform" (was aber sehr wohl heftig unter die Hand gehen kann!). Also: ich habe ihn per Zufall (wirklich, ich habe nicht aktiv gesucht, ich würde es Dir sagen, wäre dem so) auf einem Philosophieforum im Internet kennengelernt. Wir haben uns ausgetauscht über Hannah Arendt, er ganz heftig zweifelnd an ihrer Interpretation bezüglich der Banalität des Bösen. Aber lassen wir das hier einmal stehen. Es entstand sodann innert relativ kurzer Zeit ein intensiver Mailverkehr. Bald erzählten wir uns alles, was es zu erzählen gibt (die Nächte sind manchmal lang! und Stefan schläft verdammt tief und fest). Auch Intimes, Privates, Sensibles...und wir beide wissen (oder ahnen) aber gleichzeitig, dass wir uns nie begegnen werden. Weil das Unmögliche unmöglich bleiben soll. Aus ganz unterschiedlichen Gründen, vielleicht auch aus Bequemlichkeit, mag sein, aber vor allem wohl aus Angst, sich gänzlich zu verlieren und den Boden unter den Füssen nicht mehr zu spüren. Aber auch weil ich Stefan ja liebe, meinen Mann, der mir Sonntags immer noch meine Lieblingsbrötchen bringt und mir frischen Orangensaft zubereitet. Und dennoch diese letztlich diffuse Sehnsucht in mir, die ich seit Jahren in mir trage, aber nie über sie nachzudenken wagte. Bis es dann zu dieser sonderbaren Begegnung kam, Knall auf Fall. Das Leben ist komisch, liebe Karin, findest Du auch? Komisch in dem Sinne, dass wir zwar alles haben, was wir uns wünschen können, und dennoch ein Manko in uns spüren, ein Verlangen von unendlicher Weite und Tiefe, das wir aber dennoch nicht genau benennen können. Bis zu jenem Zeitpunkt, da alles wahr zu werden droht, was man sich herbeisehnte und das uns doch so furchtbar Angst macht. Du hast es schön formuliert: diese Hoffnungslosigkeit, die uns so viel zu geben vermag, weil sie nur eine verdichtete Gegenwart zulässt und diese sich weder um Vergangenheit noch um Zukunft kümmern muss. Also: kein Rucksack, der schwer wiegen würde, keine Zukunftsängste, die uns manchmal den Schlaf rauben. Keine Banalitäten des Alltags. Ehrlich gesagt weiss ich nicht, wie lange ich das alles durchhalten kann, dieses Schreiben ohne Hoffnung auf eine Begegnung, und ginge es dabei bloss darum, für einen Moment die Hand des Gegenübers, der so wunderbare Zeilen zu verfassen vermag, zu halten, sie anzuschauen, sie liebevoll zu streicheln, um alsbald wieder zu verschwinden.
Ich ruf Dich nächste Woche an. Freue mich auf Dich!
Bis bald, Deine Simona

PS Rolf ist immer noch in Berlin, habe aber seit ca. 2 Jahren nichts mehr von ihm gehört. Kann Dir aber eine lustige Geschichte erzählen...

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: Karin.az@hotmail.com                           Gesendet: 09.03.2013 23:15
An: Simona.xy@bluewin.ch
Kopie/cc:
Betreff: Über Mögliches und Unmögliches

Liebe Simona!
Ich habe das Bändchen von Walser durchgelesen, beinahe in einem Zug. Atemlosigkeit beherrschte mich dabei. Ja, ich habe mich darin erkannt. Die Möglichkeit -und sei es nur eine virtuelle!- zur temporären Flucht aus der Alltagskiste fasziniert mich, lässt mich nicht mehr los. Ich weiss es sehr wohl, dass Du mir dieses Büchlein mit Absicht geschenkt hast, um mich aus der Reserve zu locken. Willst Du mir auch sagen: wache auf, Karin! Wenn dem so wäre, so habe ich Deinen Ruf vernommen, ja ich habe ihn regelrecht verinnerlicht. Dabei, Du weisst es, liebe ich meinen Martin über alles. Er ist ja ein guter Mann und Vater, er ist fürsorglich und trägt mich auf beiden Händen. Bin ich eine undankbare Ehefrau, wenn meine innere Stimme mir zuflüstert: das genügt mir nicht! Das kann noch nicht alles gewesen sein! Ja, wir wollen zusammen alt werden. Vermute ich mal. Und dennoch...ach, ich weiss es nicht, was es genau ist.

Vielleicht dies (es bleibt aber diffus): was Walser "das Unmögliche" nennt, für mich übersetzt mit "das Andere/Neue/Verlockende/Atemlose/prinzipiell nicht Erreichbare", aber auch "Tiefe/Geborgenheit/Verständnis", ja das ist es auch! Wie sehr, -verdammt, ich werde rot und zittere halbwegs, wenn ich dies Dir und auch mir selbst! offenbare-, sehne ich mich nach einer Begegnung, die alles, was bisher war, für Momente einer Ewigkeit auf den Kopf stellt und das Bestehende dennoch nicht in Frage stellt. Eine Begegnung, bei der ich nichts zu rechtfertigen habe, bei der keine Vergangenheit zählt, keine Zukunft, bloss nur Gegenwart, pure nackte Gegenwart, die alles zulässt und ja, quer zu allem steht, was bisher war und ist! Keine unnötigen Fragen werden dabei gestellt, keine versteckten Vorwürfe, keine gut gemeinten Ratschläge in die Runde geworfen. Nichts von alldem. Dafür: innige Liebe zweier Menschen, deren Lebenswege sich für einen Moment kreuzen, wissend, dass sie aber bald wieder auseinander driften werden und müssen, um irgendwann -irgendwann!- wieder zusammenzukommen, aber ohne Ziel und ohne Hoffnung, ja ohne jegliche Hoffnung, weil beide ein Zuhause haben und dennoch eine tiefe Sehnsucht in sich tragen, eine unbeschreibliche, tiefe Sehnsucht nach umfassender Liebe. Und wenn ich diesen -wohl verstanden nicht vorhandenen- Menschen nicht sehe und spüre, so vermisse ich ihn aufs Schmerzlichste, obwohl ich meinen Mann über alles liebe.

Ist das ein Widerspruch? Sag es mir, Simona, sage mir, ob ich zurück in die Pubertät falle (obwohl, so glaube ich, dies hier nichts mit Hormonen zu tun hat :-), Du kennst mich ja soooo lange schon, weisst Du noch, als wir damals in der Tanzdiele waren, hach! Das waren noch Zeiten. Und unsere gemeinsame Reise nach Paris kurz nach der Matura, unsere Diskussionen im Quartier Latin, die kein Ende finden wollten...sage, bin ich in einer Lebenskrise? Ist sie das also, diese vieldiskutierte Midlife Crises? 
Wann hast Du Zeit für ein Gläschen Wein? Rufst Du mich an? Du bist ja nicht diejenige, die viel schreibt....oder vielleicht doch? Wie auch immer. Ich drücke Dich - schönen Sonntag und Grüsse Deinen Mann von mir herzlich.
Deine alte Unifreundin Karin, die, überflüssig es zu sagen, auf Deine Diskretion baut und sich dafür unendlich bedankt.

PS: weisst Du, was aus Rolf geworden ist? 

Samstag, 9. März 2013

Mein Sonntagslied

Klingt nach Joan Baez, nach Woodstock-Revival und nach etwas heiler Welt.
Aber ich mag die beiden Mädels, trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen.

Über Mögliches und Unmögliches

Von: Karin.@hotmail.com                           Gesendet: 09.03.2013 23:15
An: Simona.@bluewin.ch
Kopie/cc:
Betreff: Über Mögliches und Unmögliches

Liebe Simona!
Ich habe das Bändchen von Walser durchgelesen, beinahe in einem Zug. Atemlosigkeit beherrschte mich dabei. Ja, ich habe mich darin erkannt. Die Möglichkeit -und sei es nur eine virtuelle!- zur temporären Flucht aus der Alltagskiste fasziniert mich, lässt mich nicht mehr los. Ich weiss es sehr wohl, dass Du mir dieses Büchlein mit Absicht geschenkt hast, um mich aus der Reserve zu locken. Willst Du mir auch sagen: wache auf, Karin! Wenn dem so wäre, so habe ich Deinen Ruf vernommen, ja ich habe ihn regelrecht verinnerlicht. Dabei, Du weisst es, liebe ich meinen Martin über alles. Er ist ja ein guter Mann und Vater, er ist fürsorglich und trägt mich auf beiden Händen. Bin ich eine undankbare Ehefrau, wenn meine innere Stimme mir zuflüstert: das genügt mir nicht! Das kann noch nicht alles gewesen sein! Ja, wir wollen zusammen alt werden. Vermute ich mal. Und dennoch...ach, ich weiss es nicht, was es genau ist.

Vielleicht dies (es bleibt aber diffus): was Walser "das Unmögliche" nennt, für mich übersetzt mit "das Andere/Neue/Verlockende/Atemlose/prinzipiell nicht Erreichbare", aber auch "Tiefe/Geborgenheit/Verständnis", ja das ist es auch! Wie sehr, -verdammt, ich werde rot und zittere halbwegs, wenn ich dies Dir und auch mir selbst! offenbare-, sehne ich mich nach einer Begegnung, die alles, was bisher war, für Momente einer Ewigkeit auf den Kopf stellt und das Bestehende dennoch nicht in Frage stellt. Eine Begegnung, bei der ich nichts zu rechtfertigen habe, bei der keine Vergangenheit zählt, keine Zukunft, bloss nur Gegenwart, pure nackte Gegenwart, die alles zulässt und ja, quer zu allem steht, was bisher war und ist! Keine unnötigen Fragen werden dabei gestellt, keine versteckten Vorwürfe, keine gut gemeinten Ratschläge in die Runde geworfen. Nichts von alldem. Dafür: innige Liebe zweier Menschen, deren Lebenswege sich für einen Moment kreuzen, wissend, dass sie aber bald wieder auseinander driften werden und müssen, um irgendwann -irgendwann!- wieder zusammenzukommen, aber ohne Ziel und ohne Hoffnung, ja ohne jegliche Hoffnung, weil beide ein Zuhause haben und dennoch eine tiefe Sehnsucht in sich tragen, eine unbeschreibliche, tiefe Sehnsucht nach umfassender Liebe. Und wenn ich diesen -wohl verstanden nicht vorhandenen- Menschen nicht sehe und spüre, so vermisse ich ihn aufs Schmerzlichste, obwohl ich meinen Mann über alles liebe.

Ist das ein Widerspruch? Sag es mir, Simona, sage mir, ob ich zurück in die Pubertät falle (obwohl, so glaube ich, dies hier nichts mit Hormonen zu tun hat :-), Du kennst mich ja soooo lange schon, weisst Du noch, als wir damals in der Tanzdiele waren, hach! Das waren noch Zeiten. Und unsere gemeinsame Reise nach Paris kurz nach der Matura, unsere Diskussionen im Quartier Latin, die kein Ende finden wollten...sage, bin ich in einer Lebenskrise? Ist sie das also, diese vieldiskutierte Midlife Crises?
Wann hast Du Zeit für ein Gläschen Wein? Rufst Du mich an? Du bist ja nicht diejenige, die viel schreibt....oder vielleicht doch? Wie auch immer. Ich drücke Dich - schönen Sonntag und Grüsse Deinen Mann von mir herzlich.
Deine alte Unifreundin Karin, die, überflüssig es zu sagen, auf Deine Diskretion baut und sich dafür unendlich bedankt.

PS: weisst Du, was aus Rolf geworden ist? 

Freitag, 8. März 2013

Im Gewohnheitskäfig

Seit langem sah ich am Morgen immer ein, dass mein Leben vorbei war. Im Laufe des Tages kehrten Einbildungen zurück, die mir vorspiegelten, es sei noch etwas möglich. Gegen Abend war ich oft so verblendet, dass ich zu hoffen wagte, es stehe noch etwas bevor, was ich überhaupt noch nicht kenne. Sozusagen das Schönste, Sinnreiche komme erst noch. Nachts musste ich diese glühen wollende Hoffnung schützen gegen die Übermacht aller bis jetzt gemachten Erfahrungen
Martin Walser, das dreizehnte Kapitel, 2012, Seite 145

Meine frivolen Handlungen bestehen in letzter Zeit darin, Freitagnachmittags in der Regel freizunehmen. Dann habe ich einfach Zeit, freie Zeit. Meistens zumindest. Heute war ich in der Bibliothek und habe mir Walsers Roman "das dreizehnte Kapitel" ausgeliehen. Ich lese das Bändchen in schnellem Tempo durch, streiche mir nicht wenige Stellen an, blättere abwechslungsweise zurück und vorwärts -der Text zwingt mich dazu- und lasse mich von ihm verzaubern. Der Text kommt in Form scheinbar schlichter Sätze daher, die aber umso mehr sitzen. Sätze, die eine Sehnsucht nach dem Unmöglichen beschreiben, genährt aus der sattsam gewordenen Erfahrung von Gefangenschaft im Gewohnheitskäfig. Und dann der Versuch der involvierten Personen (er, ein Schriftsteller und sie, eine Theologin, beide verheiratet), wenn auch nur gedanklicher Art, in das Reich des Unmöglichen vorzustossen, um zu schnuppern, wie es, das Leben, auch sein könnte. Doch der Aufbruch bleibt im Imaginären und muss scheitern. Doch allein der Umstand, es "gewagt zu haben", den Käfig wenn auch nur mental für einen Moment zu verlassen, muss befreiend wirken. Und wirkt befreiend. 

Liebe Verschwundene,

dass nichts mehr kommt, muss das hingenommen werden? Passt das zu dem, was wir gewesen sind? (...). Ein Aufhören, das rätselhaft zu nennen eine Lyrisierung des brutal Geschehenen wäre. Ist das theologische Machart: aufhören mit einer Unerklärlichkeit?
Martin Walser, das dreizehnte Kapitel, Rowohlt 2012, S. 175

Donnerstag, 7. März 2013

Der Regisseur des Lebens

Heute beim Lesen des NZZ-Feuilletons aufgeschnappt:
Der wahre Regisseur des Lebens ist der Zufall. 

Und wenn Dürrenmatt davon ausgeht, dass je planmässiger der Mensch vorgeht, ihn umso mehr der Zufall treffen kann, ergänzen sich beide Aussagen auf wunderbare Weise. Indem ich gezielt den Spuren des Zufalls folgen will, begebe ich mich, nur scheinbar, in einen aktuellen Selbstwiderspruch: man kann zumindest die Bedingungen zufälligen Lebens beeinflussen und dem Zufall damit eine bestimmte Richtung geben. Anders gesagt: wer den Zug nie besteigt, wird auch nie die Möglichkeit des zufälligen Aussteigens und damit auch jene zufälliger Begegnungen -in welcher Form auch immer- wahrnehmen können. 

Mittwoch, 6. März 2013

Abends an einer Theke

Gelegentlich gehe ich abends spontan und ohne jegliche Abmachung in die Stadt, lasse mich treiben und lande, vielleicht, an einer Theke. Jene, die alleine da sitzen, starren entweder auf ihr Bier (meistens ist es Alkoholika) oder spielen nervös mit ihrem Handy, als ob sie kommunizieren würden (vielleicht tun sie es ja auch). Ich bestelle meistens ein kleines Bier (2,5 dl), wenn ich Lust darauf habe, und beobachte das Geschehen. Ich sehe vor allem unzufriedene Gesichter oder solche mit leerem Blick. Es sieht nicht so aus, als würden sie ein Gespräch suchen, aber warum sitzen sie inmitten von Menschen und trinken Bier, möchte man rhetorisch in die Runde werfen. Frauen sind selten alleine zu sehen, und wenn doch, dann signalisieren sie gewissermassesn präventiv Desinteresse und spielen mit ihrem Handy, wühlen in ihre Handtaschen oder wissen nicht, wohin sie blicken sollen. Es ist nicht so, dass ich einen Marktplatz schwatzwilliger Menschen erwarte, wenn ich ein Lokal betrete, aber etwas mehr Offenheit täte ja schon gut. Wenn ich mich herumhöre in meinem Bekanntenkreis, so wird meine Wahrnehmung grossmehrheitlich geteilt: wir Schweizer sind zurückhaltend, mitunter kühl, abweisend, eher nicht gesellig, und wenn doch, dann in der Gruppe. Bei der ersten Begegnung herrscht vorerst einmal Skepsis wohl nach dem Credo: was will der Kerl bloss von mir?

Soll ich nun das Klischee des unbeschwerten Südländers bemühen? Ich war noch nie in Bologna, ob es dort anders ist? Oder irgendwo in einer pulsierenden Stadt in Spanien, es muss ja nicht immer Madrid oder Barcelona sein. Ich könnte abends gegen 22 Uhr den Zug besteigen und 10 bis 12 Stunden später dort den Test antreten, irgendwo mich setzen, niemand würde mich kennen, ich würde ein Glas des regionalen Weins bestellen und mich herum sehen und dann ...

zum Schluss noch dies:
wie heisst es sinngemäss irgendwo in Sartres Roman "der Ekel": Paris, New York, Tokio: irgendwann ist alles dasselbe. 

Montag, 4. März 2013

An diesem gewöhnlichen Abend

Manchmal
kann ich abends
einfach nur da sitzen
ein Möbelstück fixieren
in die Nacht blicken
und mir Sätze aus den Fingern saugen.
Das weisse Blatt starrt mich oftmals an
und will mir sagen: lass es doch für heute sein.
Es gäbe ja so viel zu schreiben
angefangen bei
A wie Auseinandersetzung oder Ausweg
B wie Bilderflut oder Beherrschung
C wie Chorgesang oder Chuzpe
um bei
Z wie Zusammenbruch oder Zuversicht
zu laden.

Dazwischen findet Leben statt.
Nicht immer finde ich dabei
die kleinen Dinge, über die ich
zum Beispiel
lachen oder noch besser lächeln kann.
Die Vorstellung, einen Tag,
nur einen Tag als solchen
chirurgisch exakt und proportioniert
in Sprache zu fassen,
fasziniert mich.
Und lässt mich doch kapitulieren.
Zu viel Herkules
läge zwischen und in den Zeilen. 

Sonntag, 3. März 2013

Wie nah sind uns manche Tote

Für Anne. Ich drücke Dich.

Liebe Konstanze

Du bist eine mutige Frau und gehst konsequent Deinen Weg. Hut ab. Wo ich zögere, bist Du mir schon lange voraus. Was mir besonders gefällt: Du hast Deine Schattenanteile nicht länger verdrängt, zumindest arbeitest Du daran.

Und Dein inneres Kind hast Du an die Hand genommen, es lebevoll in Dein erwachsenes Leben integriert und Dich mit ihm versöhnt. Wirst Du nun keine Lebenskompromisse mehr eingehen? Wirst Du so konsequent sein und auch dann Deinen Weg beschreiten, wenn Du Angst hast vor Einsamkeit oder, viel profaner, vor materiellen Einbussen? Du weisst ja, wie bequem Menschen sind oder sein können. Nun stehst Du an der Schwelle zum bewussten Leben und hast alle Optionen offen. Verdammt, es ist hart, dem inneren Kompass stets mit Überzeugung und ohne Wirrungen zu folgen, denn Stürme in und um uns mögen uns vom Kurs immer wieder abbringen. Ich wünsche Dir nur das Beste. Und lass etwas von Dir hören. 

Die Entführung - eine nächtliche Nachlese

Ich kann nicht schlafen, unruhig wache ich auf - es hat keinen Sinn, mich gegen meine Unruhe wehren zu wollen. Während meine Tochter tief und friedlich schläft, verfolgt mich der heutige bzw. gestrige Opernabend.

Konstanze wird in der Inszenierung nicht von bösen Mächten aus dem Orient entführt, nein. Sie ist es, die sich entführt, genauer: ihre innere Zerrissenheit lässt ihr keine Ruhe und lässt sie vor sich selbst flüchten. Die Logik dieser Interpretation kommt bereits in der Ouvertüre unmissverständlich zum Ausdruck, indem Konstanze kurz vor der Hochzeit ihr Jawort verweigert und panikartig die verwirrte Hochzeitsgesellschaft verlässt. Ihre exotische Reise führt sie nicht in ein Harem wie in der Originalausgabe der Oper, sondern auf eine Erkundungsreise zu sich selbst. Bald wird ihr Schatten sichtbar gemacht, indem eine zweite Konstanze auf die Bühne tritt: diese ist schwarz gekleidet und wird Konstanze, ganz in weiss, stets eng und antreibend begleiten. Damit sind wir beim Thema dieser Inszenierung angekommen: die unglaubliche Zerrissenheit der handelnden Personen, die in der Musik Mozarts natürlich schon angelegt ist, aber auch im Libretto, wird hier radikal weitergedacht und auf den Punkt gebracht. Die Dialoge zwischen ihr und ihrem Entführer entpuppen sich sehr schnell als innere Monologe einer Frau auf der Suche nach sich selbst und ihrem wahren Ich, dies szenisch und musikalisch meisterhaft umgesetzt namentlich in der legendären Marterarie. Doch nicht nur Konstanze ist von innerer Zerrissenheit geprägt: ihr Verlobter Belmonte ist es ebenso, er, der sich von seiner Verlobten längst ein starres Bild gemacht hat und in einer Szene symbolisch bloss nur ihre Kleider liebkost und nicht merkt, dass es sich bloss um eine Hülle handelt, während Konstanze mit ihren Schattenanteilen fassungslos neben ihm steht.

Das Bühnenbild wird von Wesen aus Märchen und Fabeln und aus der Welt des Archetypischen sowie von einem mit einem grossen weissen Tuch bedeckten Gegenstand umrahmt: es liegt auf der Hand, dass darunter ein grosser Käfig sein muss. Dieser wird erst kurz vor dem Finale enthüllt - in ihm sitzt aber nicht etwa ein Vogel, sondern ein kleines Mädchen, das in frappanter Art Konstanze gleicht und scheinbar mühelos den Käfig verlassen kann. Der Spannungsbogen wird beinahe unerträglich, als das  Mädchen auf Konstanze zuläuft und sich beide, nach kurzer gegenseitiger Annäherung, innig umarmen. Diese Szene wird musikalisch vom zweiten Teil der Ouvertüre umrahmt (womit vom Original natürlich abgewichen wird) und der Bogen scheint sich damit zu schliessen: das innere Kind wird von Konstanze endlich akzeptiert  bzw. in ihr Leben integriert. Eine berührende. ja atemberaubende Szene.

Das Finale ganz grandios: Konstanze ist "ganz Mensch" geworden und sich damit auch ihrer Schattenanteile -und mit allem, was ihnen anhaften kann- sehr wohl bewusst.  Sie steht nochmals kurz vor der Hochzeit, doch auch jetzt, oder müsste man sagen: vor allem jetzt, läuft sie wiederum davon. Anders als zu Beginn der Geschichte lässt sie jedoch die Türe hinter sich nicht zuknallen: sie steht exakt auf der Schwelle zwischen Belmonte, ihrem Verlobten, und der "Welt draussen": wie wird sie sich nun entscheiden? Es gibt, scheinbar, nur ein entweder-oder: Ja/Nein. Wir wissen es nicht, alles ist offen, der Vorhang fällt.

Meine Tochter hat diese Inszenierung natürlich nicht verstehen können, und damit befand sie sich bei dieser Premiere allerdings in guter Gesellschaft. Ganz am Schluss, nachdem die Sängerinnen und Sänger und das Orchester zu Recht mit starkem Beifall für ihre Leistungen honoriert worden sind, betritt die Regisseurin die Bühne. Die vielen Buhrufe, die der Regie gelten, können auch durch meine und anderer lauten und festen Bravorufe nicht übertüncht werden. Viele im Publikum - nicht nur ältere, die wohl eher eine traditionelle Inszenierung erwartet hätten - sind ganz offensichtlich überfordert mit der Deutung, manche sitzen ratlos auf ihren Stühlen, andere protestieren entweder leise mit Kopfschütteln oder lassen ihrem Unmut laut und deutlich freien Lauf. Dem Publikum wird ohne Frage viel zugemutet. Die Inszenierung ist aber eine Fundgrube tiefenpsychologischer Ausdrucksformen und Deutungen, über die es sich lohnt, weiter nachzudenken. Keine Frage, dass diese Inszenierung noch viel zu reden geben wird - zu Recht, wie immer man zu ihr stehen mag. So und nicht anders muss Oper sein: anregend, aufwühlend, fesselnd, weiterführend.

Samstag, 2. März 2013

Die Entführung aus dem Serail im Stadttheater Bern (I)

Erste unmittelbare Reaktion nach der heutigen Premiere im Stadttheater Bern zu Mozarts Entführung aus dem Serail: grossartige Inszenierung über das Fremde in uns, über das gefangene innere Kind, über unseren Schatten, der uns immer verfolgt und vor allem: über das Unvermögen, Entscheidungen zu treffen. Reaktionen des Publikums nach dem fulminanten Finale: frenetischer Applaus gepaart mit einigen kräftigen Buhrufen. Viele wollen ein klares Bekenntnis zum Happyend und keine zerrissenen Seelen sehen. Ja, wenn es so einfach wäre!
Ich komme darauf zurück