Sonntag, 30. Juni 2013

Gegenwart

Eine wohltuende, nicht bedrohliche und dem Leben zugewandte Leere umgibt mich in den letzten Tagen. Diese Leere fühlt sich an, als gebe es keine Vergangenheit und keine Zukunft. Vielmehr herrscht die Gegenwart vor, jene Augenblicke des verdichteten Daseins, die nichts anderes zulassen wollen als dies und sich über alles andere mokieren. So sitze ich da und nehme das Lüftchen, die sich hinter den Wolken versteckende Sonne und ebenso das Atmen des Gegenübers wahr, dann und wann den Gesang einer scheinbar wild gewordenen Amsel.

Heute ist heute, nichts kann mich von dieser Tatsache ablenken.

Ein Sonntag, der immerfort existieren könnte, ebenso dieses Wetter, jene Mischung aus Sommer und herannahendem Herbst, kaum ist die Sonne hinter den Wolken: ein leises Frieren. Das Ticktack der Uhr interessiert mich nicht, beunruhigt mich nicht. Wenn ich schwimme, so schwimme ich, und wenn ich friere, so friere ich, wenn ich aus dem Wasser komme, aber eines tue ich dabei nicht: an die Zeit denken und somit an Alter, Erfahrungen, Projektionen, Illusionen und was alles damit einhergehen mag.

Gegenwart. Ja, Gegenwart.
Pur, rein, unverfälscht.
Wenigstens für einen Augenblick und
hoffentlich auch
darüber hinaus.  

Samstag, 29. Juni 2013

Lucia's Stimme

Oh, was für eine Stimme....
dazu genehmige ich mir
einen kräftigen Roten, Käse, Trauben und dunkles Brot.
Und der Regen fällt und fällt und fällt.

Rapper geht ins Opernhaus

Köstlich.

Samstagmorgen

Heute habe ich das Gefühl absoluter Zeitlosigkeit.
Es ist halb 11
und ich glaube
es sei bereits eine halbe Ewigkeit halb 11.
Nicht, weil es mir langweilig wäre,
im Gegenteil.

Der Regen will nicht aufhören.

Im Bad hast du deine Sachen zurückgelassen,
das tust du in letzter Zeit oft: deine Sachen hier deponieren.
Ich lächle sanft über die vielen Mittelchen und Pülverchen,
die in deinen Taschen rumliegen.
Sonst fällt mir nichts ein.
Ich werde jetzt lesen, waschen, bügeln,
auch
in-den-Tag-leben.
Und dein Duschgel ausprobieren und mir den Schweiss
der letzten Nacht (schön, wie es sanft regnete)
behutsam wegwaschen. 

Donnerstag, 27. Juni 2013

Was schlapp macht

Wohlergehen - materiell, mental, wie auch immer- ist der Kreativität grundsätzlich abträglich.
Nur wer den Abgrund kennt,
kann die seelischen Schmerzen ausloten und sie beschreiben.
So wie zu viel Schlaf bloss schlapp macht,
ist ein zuviel an Glück ein Valium,
das süchtig macht.
Leichtigkeit
kann auch
zur Last werden. 

Montag, 24. Juni 2013

Graues Wetter

Das aktuelle graue Wetter mag ich.
Nichts beelendet mich mehr als jenes ewig Optimistische, Feierliche
in Form
eines scheinbar nie zu Ende gehenden blauen Himmels.
Ich mag entlang eines Flusses laufen, wenn über mich die graue Decke herrscht
und ich
das kühlende Wasser wahrnehme
und mich auf das herannahende Sommergewitter freue.

Elterliche Projektionen

In letzter Zeit fallen mir des Öfteren Eltern auf, die allerlei auf ihre Kinder projizieren:
  • Da wäre L, die ihre Tochter zum Klavierspielen verdonnert und knallhartes Üben diktiert (mindestens 1 Stunde pro Tag) und sie darüber hinaus in den Ballettunterricht schickt, so dass das Kind einen Terminkalender hat, dessen Dimensionen an einen Manager erinnern. Die Mutter jedoch ist eine musikalische Niete, und Ballett ist wohl auch kaum ihr Ding. Das Kind als Erfüllungsgehilfe unerreichbarer Träume und Phantasien der Mutter.
  • Oder C., die ihre Tochter auf Teufel-komm-raus in das Untergymnasium prügeln will, angeblich weil sie dereinst Tierärztin werden möchte. Überhaupt ist das Kind nach Überzeugung der Mutter hochbegabt in jeder Hinsicht sowie musikalisch und intellektuell allen anderen weit voraus. Die Mutter jedoch ist kaum in der Lage, 1+1 zusammenzuzählen, auch sonst fällt sie bei Gesprächen nicht gerade auf als intellektuelle Bombe. Auch hier: das Kind soll gefälligst das erbringen, was die Eltern selber nicht können. 
Die Liste liesse sich fortführen. Singt das Kind unter der Dusche, ist es gleich prädestiniert für eine glanzvolle Karriere als Opernsänger. Kann es 4+2 zusammenzählen, ist es gleich ein angehender Einstein. Usw usw. Wie wär es denn, liebe Eltern, wenn ihr Euer Arsch selbst ein bisschen bewegen würdet?
Dem Kind wäre damit geholfen, Euch auch.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Sommergewitter

Abendliches Sommergewitter.
Starker Regen, Böen.
Die Kaltfront hat uns erreicht.
Gerne höre ich dem Regen zu,
ich stehe auf der Terrasse und schaue auf die Stadt.
Momente des Loslassens, des Nichtdenkenmüssens.
Die Zeit rast davon, einmal mehr und immer akzentuierter.
Das Fenster ist weit geöffnet -
möge sich der Regen die ganze Nacht bemerkbar machen. 

Montag, 17. Juni 2013

schlafendes Gesicht

Das schlafende Gesicht frühmorgens irritiert ihn nicht.
Im Gegenteil.
Auch wenn es keinerlei Spuren des Lebens in sich trägt.
Glatte Haut,
frei vom Gewicht der Vergangenheit.
Die rostbraunen Haare verdecken beinahe
das halbe Kissen.
Stilles Atmen,
friedliches Atmen.
Und beim ersten Erwachen sucht sie
seine Nähe.
Schutzlos und mit jener Anmut,
die ihm den Atem raubt.

Freitag, 14. Juni 2013

Wieder die brennende Kerze

Wieder brennt die eine Kerze im Eingangsbereich des Altersheims.
Da und dort höre ich, wie sie kurz darüber reden.
Und manche,
wenn nicht alle,
fragen sich, ob sie die nächsten sind.
Fragen nach der Zukunft gibt es keine.
Keine Umzüge mehr, und wenn doch, dann Richtung Spital, notfallmässig.
Ich verweile jeweils nicht lange im Altersheim.
Einmal draussen, atme ich tief durch.
Die Abendsonne wärmt mich angenehm,
der kühle Weisse wartet auf mich.
Verdrängung des Unabänderlichen. 

Mittwoch, 12. Juni 2013

Klassentreffen

Erstmals seit rund 30 Jahren.

Ich hatte Respekt davor.
Angst, meine ehemaligen Klassenkameradinnen und -kameraden
nicht wieder zu erkennen - in jeder Hinsicht.

Hallo Peter! da und dort, als ich eintreffe.
Ich gebe allen die Hand und zögere.
Entschuldigend frage ich nach dem jeweiligen Namen.
Ach duuuuu bist es, Hallo!
Nur die eine Frau erkenne ich auf Anhieb:
das gleiche spitzbübische Gesicht wie damals,
der exakt gleiche schelmische Blick, dieselbe Frisur, ich bin baff.
Und dort mein damaliger bester Kumpel, den erkenne ich auch ohne Zögern,
ja ja, weisst du noch, damals,
aber natürlich.
Und der Smalltalk beginnt.
Der Wein ist aufgetischt, es riecht nach grilliertem Fleisch,
nach Sommer und nach entspannter Atmosphäre.
Die Sonne erfasst die grosse Terrasse.
Ausgelassene Stimmung.

Über die Gegenwart mag niemand so richtig sprechen.
Die Nostalgie überwiegt.
Wir schauen uns die alten Schulfilme von damals an,
he, das bin ja ich dort, und du, hach,
damals konntest du noch singen.
Ja ja.

Und später da und dort die ersten Bekenntnisse,
das Benennen von Lebenskrisen,
Ehekrisen,
anderen Krisen.

Die eine ehemalige Kameradin fixiert mich,
seit ich angekommen bin.
Ja und du, Peter, fragt sie mich im Flüsterton,
neulich sah ich dich, aber du sahst mich nicht.
Ach ja?
Ja ja, und nun bist du da.
Ja, bin ich.

Keine Fortsetzung.

Zu viel Vergangenheit.
Zu viel Schlacke da und dort.
Zu viel Projektion auch.
Ich bin ja nicht mehr der, den ich damals war.
Oder vielleicht doch?

Plötzlich muss ich aufbrechen.
Vergangenheit ist anstrengend.
Heimsuchend.
Einnehmend.

Flucht.
***

Zukunft ist ebenso anstregend, wenn nicht anstrengender.
Da fiktiv in jeder Hinsicht,
so wie auch die Vergangenheit blosses Konstrukt ist.

Dagegen:
Gegenwart - verdichtet.
Das Vernehmen der Kirchenglocken.
Freier Fall in den Augenblick, dorthin,
wo es keine Klassentreffen gibt.
Keine Erörterungen über
wie-könnte-es-denn-sein-morgen-und-übermorgen.
Weil morgen
ohnehin
alles anders sein kann. 

Freitag, 7. Juni 2013

Ewigkeit im Augenblick

Begierde.
Verlangen.
Ewigkeit im Augenblick.
Völlerei.
Provokation.
Masslosigkeit.
Ist Don Giovanni wirklich so weit weg von uns?
Wirklich?
Heute Abend in Zürich
19 Uhr,
Parkett, Reihe 5,
Plätze 12 und 14.
Ich freue mich.

Samstag, 1. Juni 2013

Ohne Zweifel

Ohne Zweifel, dass seine Zärtlichkeit sich auf Lynn bezieht, die junge Fremde, sein Gefühl vertauscht sie nicht mit anderen, wenn er ihren Körper küsst, bis sie ihn zu sich zieht. Ihr Haar auf seinem Gesicht, der weite und weiche Mund, ihre jetzt schmalen Augen, die plötzliche Ähnlichkeit aller Frauen im Augenblick ihrer Lust (...). Eine wird die letzte Frau sein, und ich wünsche, es sei Lynn, wir werden einen leichten und guten Abschied haben...
Max Frisch, Montauk, Suhrkamp 2011, S. 129/30