Donnerstag, 30. Juni 2011

Wochenende

Wandern, im kalten Bergsee schwimmen, schweigen.
In der Gegenwart leben.
Und doch auch woanders sein, nicht nur mit den Gedanken.
Die Sehnsucht nicht vertreiben wollen, weil sie sich ohnehin
nicht vertreiben lässt.
Sprachlosigkeit zulassen.
Trauer ebenso.
Und trotzdem lachen können.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Einsichten einer alten Frau

Meine alte Mutter sagte mir heute morgen beim Café in einer Konditorei der Stadt, dass sie es bereue, damals meinen Vater nicht verlassen zu haben, um Hans -ich nenne ihn einmal so- zu heiraten. Hans, der auch verheiratet war, habe ihr mehrere Heiratsanträge gemacht. Ja, sie bereue ihren damaligen Entscheid bzw. Nichtentscheid, das sei ihr in der letzen Zeit bewusst geworden. Hans, das war ihr damaliger Freund? Liebhaber? Kumpane? Seelenverwandter? Ich weiss es nicht, persönlich war ich ihm nie begegnet, aber sie erzählte immer wieder von ihm, von seiner Grosszügigkeit, seiner Herzenswärme und Galanterie. Mein Vater wusste, dass es diesen Hans gab, und er hatte gegen diese Beziehung nichts einzuwenden.

Vater und Mutter verstanden sich gut, trotz der Präsenz von Hans im Leben meiner Mutter. Oder vielleicht gerade deswegen?

Ich glaube, dass viele Menschen gegen Ende ihres Lebens tatsächlich das bereuen, was sie nicht begangen/gewagt/ausgelebt haben. Meine Mutter jedenfalls bereut nichts, was sie aktiv getan hat, aber sie trauert offenbar dem nach, was sie nicht getan hat, was sie ausgelassen hat, aus welchen Gründen auch immer.

Nicht gelebtes Leben ist verlorenes Leben. Auch ich habe einige Anteile an nicht gelebtem Leben in mir, aus welchen Gründen auch immer.

Am Grabe der meisten Menschen
trauert tief verschleiert
ihr ungelebtes Leben.

Oskar Jellinek

Montag, 27. Juni 2011

Tagträumereien

Wo wir es jetzt gemütlich haben könnten:

in Ascona zum Beispiel, auf der Hotelterrasse einen kühlen Weissen geniessend.

Dazu Melone, Parmaschinken, leicht gepfeffert.
Scampi auf dem Grill.

Die letzten Erdbeeren auf der Zunge zergehen lassen.
Später ein Grappa.
Alles mit Mass.

Noch später ein Bad im See (jetzt 20 Grad warm), dort, wo uns niemand sehen kann.
Herumblödeln.
Nur du und ich.
Nur Gegenwart.
Wir sollten es wagen.
Irgendwann.

Eifersucht....

ist Angst vor dem Vergleich
Max Frisch

Sonntag, 26. Juni 2011

Melancholisch

Ich bin müde, mein Tag war schön.
Schwimmen im See.
Herumtollen.
Abends melancholische Stimmung, wie angerührt.
Ich schwitze, die Fusssohlen brennen.

Vor allem aber:
einmal mehr das Gefühl, etwas ganz Wesentliches endgültig zu verpassen.

Nachtrag
Nein, es ist kein Gefühl. Es ist Gewissheit.

Jon Lord


Wer würde auf Anhieb meinen, es handle sich hier um dieselbe Person?
Der Lauf der Zeit...

Ich mag die Musik von Jon Lord, dem legendären Keyboarder von Deep Purple. Vor rund 25 Jahren erlebte ich ihn, damals noch mit grimmigem Äusseren und wilder Frisur wie auf dem obigen Bild, an einem Livekonzert - ich hab dieses in bester Erinnerung. Seine musikalischen Wurzeln sind im Barock zu finden, Bach und Telemann sind seine Vorbilder, und das hört man auch dann, wenn er, ganz Deep Purple, kräftig in die Tasten haute.

Heute mag er leisere Töne anschlagen, erstaunlich sanfte Töne. Aber er ist seiner musikalischen Wurzeln und Herkunft treu geblieben, auch wenn er sich musikalisch zeitweise in anderen Sphären bewegt. Man muss nur genau hinhören.

Samstag, 25. Juni 2011

Flickwerk, zu gut Deutsch: Patchwork

Ich frage mich:

Wie soll das denn gehen: Papa-Mama-Kind und eine weitere Erwachsene (neue Partnerin bzw. neuer Partner des einen), die irgendwie dabei ist, die dazugehört? Wie gehört sie denn dazu? Wie soll die weitere Erwachsene in die bestehenden Rituale eingeführt werden? Soll sie das überhaupt? Zu welchem Zweck? Und wenn gesungen wird, singen dann alle mit? Und wie wird das Wochenende, der Feiertag (ach, namentlich Weihnachten! Neujahr!) gestaltet: Papa-Mama-Kind plus die neue Partnerin/der neue Partner? Kann das gut gehen?

Wie weit lässt sich Familie erweitern?

Die neue Partnerin von Papa (oder der neue Partner von Mama) hat Mühe zu verstehen, dass Papa und Mama bestens auskommen, zusammen essen gehen, zusammen ein Glas Wein trinken, zusammen heftig debattieren über Gott und die Welt, zusammen Witze machen. Dass sie zwar nicht mehr zusammen wohnen und kein Liebespaar mehr sind, aber dennoch ganz und gar Eltern sind (und als solche auch als Einheit gegenüber dem Kind und den Behörden auftreten) und demzufolge zusammen mit dem Kind dies und das unternehmen.

Es herrscht offensichtlich das Dogma vor: Trennung = Scherbenhaufen = ewiger Streit, namentlich in Bezug auf das Kind bzw. Sorgerecht.

Ich glaube nicht an die Harmonie der Patchworkfamilie, wo alle zusammen an einem Tisch sitzen und Halleluja singen. Es gilt zu akzeptieren, so meine Sicht der Dinge, dass gewisse Sphären getrennte Sphären bleiben müssen - im Interesse aller Beteiligten.

An einem Samstag

















Heute war ich mit meiner Tochter in einer Auenlandschaft am Wandern und habe unterwegs einige Schnappschüsse mit dem Handy gemacht.

Wandern, am Fluss spielen mit den vielen Steinchen, Badehosen anziehen und schwimmen, sich dabei nicht nur vom Fluss treiben lassen. Ein weiterer Versuch, ganz in der Gegenwart zu sein, beim Baden die harten Steine unter den Füssen spüren, selber wieder Kind sein.

Im Verlaufe des Nachmittags machen wir ein Feuer wie die Profis :-) und geniessen die Würste, den mitgenommenen Bohnensalat, das frische Brot, das Obst sowie kleine Sünden in Form von Süssigkeiten. Wir haben Hunger und Durst...und sind voller Tatendrang.

So gehen wir also des Weges, beobachten dabei allerlei Falter und Libellen. Es ist ein abwechslungsreicher, schöner Weg. Sattes Grün, spätnachmittags liebliches Licht, Abendrot.

Biker sind auch unterwegs.
Vor allem aber: Ruhe, in der Kraft liegt.

Confutatis

Meine Tochter fürchtet sich (noch) vor Mozarts Requiem, was ich allzu gut verstehen kann: ich kann es zeitweise auch nicht ertragen, doch die Musik verfolgt mich manchmal in hartnäckiger Weise, je mehr ich mich ihr entziehen will. Heute Morgen war ich beim Aufstehen mental stark (und in einer gewissen Weise fröhlich), so dass ich die CD wieder einlegte und mich beim Frühstück ganz öffnete. Es war wie eine wärmende Dusche für die Seele, ja wie ein Rausch der Sinne. Meine Tochter zog sich in ihr Zimmer zurück und stellte demonstrativ die Zauberflöte ein. Mozart arbeitete kurz vor seinem Tod am Requiem, parallel dazu komponierte er die Zauberflöte: hier das Sterben und der Tod (doch nicht verzweifelnd), dort die geniale Leichtigkeit und Tiefsinnigkeit in einem.

Freitag, 24. Juni 2011

Pendelbewegungen

Ich oszilliere zwischen meinem alten und dem noch nicht entwickelten neuen Leben hin und her. Ich bin ein Pendler zwischen an sich nicht kompatiblen Welten: hier das Alte, Bekannte, zwar an sich Aufgelöste, aber noch Bestehende in mutierter Form, dort das Neue, das mehr will, nämlich: das alles will. Es bräuchte viel mehr, als dass ich alles geben könnte - wenn ich denn überhaupt alles geben könnte: der Gebrauch des Konjunktivs ist kein Zufall.

Pure Gegenwart

Mittagessen auf einer Terrasse unten am Fluss. Ein Glück, dass der Himmel wolkenverhangen ist, alles andere wäre jetzt unerträglich. Wir sitzen am Tisch eines Restaurants, die Seezunge (serviert mit kleinen Bratkartoffeln und Blattspinat) schmeckt vorzüglich, dazu genehmigen wir uns einen kühlen Weissen aus dem Waadtland. Das Leben kann schön sein, wenn nur die pure Gegenwart herrscht. Wenn man keine Versprechungen machen muss, was denn in einem Jahr, in fünf Jahren sein könnte (woher soll ich das wissen?). Ich mag keine Prognosen abgeben (wozu denn auch diese Alchemie) und bin froh, wenn ich mich in der Gegenwart behaupten kann, das ist schon anspruchsvoll genug.

Die sogenannte Vergangenheit gibt mir Hinweise, wie ich bislang in bestimmten Situationen reagierte, wie ich mich gegenüber bisherigen Herausforderungen verhielt, wozu ich bis dato fähig war und wo ich bis heute überall versagte. Doch kann ich meine bisherigen Erfahrungen nicht einfach, einer mathematischen Formel gleich, in die Zukunft projizieren. Leben gehorcht nicht statistischen Gesetzen.

Meine Ausführungen lösen bei meinem Gegenüber eine gewisse Enttäuschung aus. Dennoch verbringen wir entspannte Momente an einem gewöhnlichen Freitag - ohne Versprechungen, ohne aufgesetzte Romantik und ohne Brimborium.

Eben: Gegenwart pur.

Donnerstag, 23. Juni 2011

vor dem Einschlafen

Leichte Unruhe (ohne ersichtlichen Grund), zuvor Smalltalk am Telefon (mit starker Haftung an der Oberfläche). Draussen weht ein zügiger kühler Wind, der nach frisch geschnittenem Gras riecht. Von Ferne höre ich die Züge, aber ich denke nichts dabei (von Fernweh keine Spur). Ich freue mich auf das bevorstehende Wochenende mit meiner Tochter.

Alltag ist nur durch Wunder erträglich (Max Frisch)

Alltag pur

Ein ganz gewöhnlicher Tag geht langsam seinem Ende entgegen. Ich habe bloss (bloss?) existiert, bin meinen Pflichten nachgegangen (tendenziell freudlos), war mit der Tochter beim Zahnarzt (da sind kleinere Tragödien immer dabei), dann einkaufen (ein kleines, aber feines Stückchen Fleisch und ein kleines Geschenk für die Tochter als Lob, dass sie die Prozedur zahnärztlicher Kunst so tapfer -zeitweise leicht protestierend zwar- über sich ergehen liess).

So verstreichen Stunden, Tage, Monate....die Zeit zerrinnt zwischen meinen Fingern, unaufhaltsam und zügig. Und ich denke spontan: meine mehrmonatige USA-Reise, das sind jetzt, Herrgott!, genau 25 Jahre her, und doch meine ich, es sei erst vorgestern gewesen. Ich verspüre das naive Verlangen, nochmals am Startpunkt zu sein und nicht bereits mittendrin.

Wollte ich wirklich da sein, wo ich jetzt bin? Wer, der in der Mitte seines Lebens angekommen ist, wird im Brustton der Überzeugung sagen können: genau so wollte ich es und nicht anders?

Mittwoch, 22. Juni 2011

Liebeshunger

Eros...
Berührungen....
zärtliche Verschmelzung.....

Kinderspruch

Sie wünsche ihrer Grossmutter einen schönen sanften Tod, sagte mir heute Abend meine Tochter wie beiläufig beim Essen ihrer Spaghetti mit Sauce Bolognese. Wer aber nicht loslassen könne, der könne nicht schön und sanft sterben.

Ich nicke bloss, weil jeder weitere Kommentar nur noch überflüssig wäre.
Und gleichzeitig denke ich mir, ob ich dereinst eines sanften Todes sterben werde. Zur Zeit bin ich mir alles andere als sicher.

Beim Frisör

Woran erkennt man, dass man älter wird und sich gewisse Rituale in das tägliche Leben einschleichen, die auf Kosten der Spontaneität gehen?

Zum Beispiel daran, dass man sich kaum mehr vorstellen kann, den Coiffeur (schweiz. für Frisör) zu wechseln. Seit rund 20 Jahren gehe ich immer zur gleichen Fachfrau. Sie weiss genau, wie ich den Haarschnitt mag, ich muss keine langatmigen Erklärungen abgeben. Auch unsere Gespräche bzw. Themenwahl folgen einem gewissen Ritual. Man kennt sich - und gleichzeitig kennt man sich wenig. Man spricht zum Beispiel über das Älterwerden, da beide etwa gleich alt sind. Man spricht über seine Heimatstadt, da beide dieselbe haben. Am Schluss bekommt sie immer das gleiche Trinkgeld, und der Abschied ist ebenso rituell vorgegeben ("auf Wiedersehen, herzlichen Dank und alles Gute und bis zum nächsten Mal").

Ich wüsste nicht, weshalb ich ein anderes Geschäft aufsuchen sollte. Irgendwie erinnert es mich an eine in die Jahre gekommene Ehe: es läuft gut jenseits jeglicher Euphorie. Jeder erfüllt seine Rollen und weiss genau, worauf er bzw. sie sich einlässt. Das genügt doch, oder nicht?

Momentaufnahme

Melancholische Grundstimmung ohne ersichtlichen Grund.

Ansonsten: hungrig und durstig, Lust nach Fleisch und gehaltvollem Rotwein (Burgenländer?).
Nachmittags das Privileg, mit der Tochter unterwegs zu sein, ohne feste Pläne zu haben (Museum?). Bewusst will ich meine freie Zeit noch nutzen, bald wird es wieder anders aussehen.

Das momentan graue, aber warme Wetter stört mich nicht im Geringsten, im Gegenteil.
Lust nach Bretagne und damit nach Wetterküche.

Dienstag, 21. Juni 2011

Jakob Burckhardt zum Zweiten

.....und wenn ich es auch vom Verstand her einsehe, dass alles im Fluss ist:

zeitweise kann ich mich überhaupt nicht mit den Lebensgesetzen abfinden. So auch heute Abend, kurz vor dem Einschlafen. Vor doch nicht allzu langer Zeit war meine Tochter noch ein Kleinkind, so meine Erinnerung. Mit einem Tragetuch ausgerüstet ging ich mit ihr stundenlang dem Fluss entlang spazieren, spielte mit ihr im Sandkasten und mimte den Clown. Das war doch erst gestern, oder nicht? Ich halte an Bildern fest, an Episoden, an Augenblicken, die mir so viel bedeuten. Und ich muss gleichzeitig loslassen.

Nur in der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist Leben. Ich weiss, ich weiss.
Doch Wissen allein genügt offensichtlich nicht...

Der längste Tag

Heute haben wir also den längsten Tag und damit die kürzeste Nacht des Jahres.
Und ab morgen werden die Tage schon wieder kürzer.

Nur in der Bewegung, so schmerzlich sie sei, ist Leben, so der Schweizer Historiker Jakob Burckhardt.
Nichts lässt sich konservieren. Und wenn doch, dann nur als Fassade.

Einfach sein

Zur Zeit jedenfalls macht mich das sogenannte Alleinsein (rundum) glücklich. Ich kümmere mich um meine Tochter, gehe meinen alltäglichen Pflichten und Freizeitaktivitäten nach. Ich tue nichts Spektakuläres, vielmehr geniesse ich den sommerlichen Müssiggang. Abends lese ich auf der Terrasse dies und das und lasse mich vom blau-rötlichen Himmel eindecken. Ganz oben auf der Birke entdecke ich die Amsel, die mich mit ihrem abendlichen Gesang efreut. Oder ich sitze einfach bloss da und weiss nicht, worüber ich nachdenke bzw. ob ich überhaupt etwas denke.

Manchmal erschrecke ich über meine ansatzweise vorhandene Gleichgültigkeit dem Weltgeschehen gegenüber. Doch es tut manchmal gut, einfach abzuschalten und den kühlen Weissen zu geniessen, wissend und akzeptierend, dass nichts so bleibt, wie es ist.

Montag, 20. Juni 2011

Wirkliche Liebe

Einsichten - heute spätnachmittags im Freibad beim Rückenschwimmen:

wirkliche Liebe, verstanden als bedingungslose Liebe, empfinde ich allein für meine Tochter.

Bescheuert

Wie bescheuert müssen Eltern sein, die
  • ihr 8 jähriges Kind mit dem BMW zur Schule fahren (wo sie nur wenige Gehminuten vom Schulhaus entfernt wohnen)
  • ihm ein Handy in die Hände drücken (und die Mutter, stets ausgerüstet mit Gucci-Handtasche, ihm regelmässig sms schreibt, dies vornehmlich, wie ich erfahre, während der grossen Pause)
  • das Kind leicht geschminkt zur Schule schicken
  • dem Kind erlauben, einen BH zu tragen (?!)
Das Kind tut mir echt leid. Es wird in seiner Klasse mit Tussi angesprochen.
Ein Fall von Wohlstandsverwahrlosung? Oder schlicht von grenzenloser Ignoranz?

Neuer Lebensabschnitt

Ein neuer Lebensabschnitt, zumindest was die Arbeit betrifft, steht ihm bevor. Eine neue Arbeitsstelle ganz in seiner Nähe, immerhin. Der Arbeitsplatz: zwinglianisch bescheiden, aber funktional eingerichtet. Er wird später vom Angestellten zum Mitinhaber mutieren. Die Bedingungen sind nicht mehr so üppig wie bisher. Wirtschaftlich gesehen ein Unding, worauf er sich da einlässt, wenn man es am Bisherigen misst. Er hat den Arbeitsvertrag unterschrieben und dabei tief durchgeatmet. Er weiss sehr wohl, dass er immer noch gut verdienen wird, aber inskünftig wird er vermehrt rechnen müssen, und die eine oder andere Marotte wird er aus finanziellen Gründen schlicht ans Bein streichen müssen: etwa spontane Städtereisen nach Berlin oder Paris, um eine Neuinszenierung am Opernhaus zu geniessen, liegen so nicht mehr drin, und seine Feriengewohnheiten wird er auch grundlegend überdenken müssen. Manchmal sind harte Entscheidungen dennoch fällig, wichtig ist, dass man nicht zum Spielball der Umstände wird.

Er denkt sich: aus der Not eine Tugend machen. Und: Geld allein macht nicht glücklich. Er weiss aber auch: Geld ist geronnene Freiheit.
Sind das jetzt seine neuen Durchhalteparolen, plumper Optimismus als Überlebensstrategie?

Nachtrag
Es geht nicht bloss um Hedonismus. Die bisherigen Beiträge zu Gunsten etwa von Greenpeace oder von A.I. werden ebenso seinem Sparprogramm zum Opfer fallen und damit gekürzt. Wenn der Kuchen kleiner wird, kann man in Gottes Namen auch weniger verteilen.

Sonntag, 19. Juni 2011

Wäsche waschen

Heute Abend erledige ich meine Ferienwäsche. Dabei habe ich die Angewohnheit (oder soll ich von Marotte sprechen?), dem beginnenden Waschprogramm gebannt zuzuschauen, was durchaus mehrere Minuten dauern kann, ehe ich wieder in die Wohnung gehe. Gedankenversunken stehe ich jeweils vor der Maschine und lass mich von den Drehungen meditativ forttragen. Oftmals fällt mir dazu nichts ein, ich sitze einfach da und schaue zu. Oder ich denke an die sog. Waschfrauen von damals, die mit Mühsal stundenlang die Wäsche unten am Fluss waschen mussten. Die leisen Drehungen der Waschmaschine beruhigen mich auf eine eigentümliche Weise, ich sehe die letzte Woche getragenen Kleidungsstücke, wie sie im Wasser schwimmen und Zug um Zug gereinigt werden. 40 Grad, das muss genügen, sog. Sparprogramm, da sich als "Biowaschgang" anpreist. Ein Weichspüler kommt nie zum Einsatz, aus ganz grundsätzlichen Überlegungen.

In den USA gibt es in beinahe jedem kleineren Kaff eine sog. Laundry. Ich liebte es, diese Wäschereien zu besuchen, nicht nur aus praktischen Gründen: sie verraten viel über das Land und seine Mentalitäten. Dort setzte ich mich jeweils für die Dauer des gesamten Programms vor die Waschmaschine, las ein Buch oder kam mit anderen ins Gespräch. Heute bin ich in meiner privaten Laundry angekommen: der Waschraum als heimlicher Ort der Meditation. Vielleicht müsste ich wieder einmal eine Kirche besuchen.

Drei Stühle

Ein Eisenofen steht mitten im Raum,

Rot glühend, doch du spürst ihn kaum,
Die Abendkühle kriecht über den Steinboden herein.


Ein dürrer Rauch steigt zur Decke empor,

Ein kühn geschwung'nes Ofenrohr,
Die nackte Glühbirne taucht den Raum in fahlen Schein.

Ein alter Fernseher flackert schwarzweiß.
Die Männer sitzen verstreut im Kreis
Und immer in diesem Gebilde aus drei Stühl'n:
Einen, da stehn die Füße drauf,
Einen, da lehnt der Arm sich auf,
Den dritten, zum drauf Sitzen, um sich im Gleichgewicht zu fühl'n.

Mit dem verwitterten Gesicht,
Kiriakis, der nie ein Wort spricht,
Der seinen Arm beim Dynamitfischen verlor,
Der wie ein Gummiball hüpft und springt,
Wenn nur ein Ton Musik erklingt.
Und wirft den leeren Ärmel im Triumph empor.

Gianis weiß längst über dich Bescheid
Und breitet seine Arme weit,
Ohne ein Wort von deiner Sprache zu verstehn.
Durch Brillengläser, die so blind
Wie Glas im Meer geworden sind,
Kann er dir tief bis auf den Grund der Seele sehn.

Da ist kein Mißtrauen, da ist kein Neid.
Und da ist Frieden, da ist Zeit.
Der Wirt, der mit den dicken Kaffeetassen klirrt.
Nichts ist Berechnung, nichts bedacht,
Alles aus Freundlichkeit gemacht
Das ist ein Ort, an dem Dein Herz gesunden wird.

Blau weißes Tischtuch, frisches Brot,
Leise tuckerndes Fischerboot,
Ein Teller Apfelscheiben und ein Becher Wein.
Vielleicht bleib' ich irgendwann hier -
Jedenfalls arbeit' ich schon an mir,
Um auch mit nur drei Stühlen zufrieden zu sein!

Reinhard Mey

Im Rückflug

Die Wahrheit kann man nicht beschreiben, nur erfinden
Max Frisch

Rückflug aus den Ferien, LX 3340, Destination Zürich. Sitz 2 F (Fensterplatz). Der Rückflug dauert gut drei Sunden, also ist genügend Zeit da, um über die verstrichene Woche am Meer nachzudenken. Folgendes hat er für sich notiert (nicht abschliessende Liste):

// aufgesetzte Zweisamkeit potenziert die eigene Einsamkeit beinahe ins Unerträgliche // intensive Nähe ist auf Dauer nur mit einem Menschen erträglich, den man umfassend liebt // Asymmetrien in Beziehungen (namentlich in intellektueller Hinsicht) machen einsam // wer den Humor des Partners nicht versteht, versteht ihn per se als Menschen nicht // Sex allein ist banal und bloss kurzfristig befriedigend //

Am Strand oder unterwegs auf der Insel erzählt er Geschichten über das Land und erwartet, dass sie vom Gegenüber fortgesetzt würden, ganz im Sinne eines dialektisch angelegten Dialogs. Das geschieht aber selten, nein, eigentlich nie. Er weiss, dass seine Erwartungen zu hoch gesteckt sind. Er versucht, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Er nimmt unterschiedlichste Duftnoten wahr, deren Herkunft er nicht immer kennt. Armut ist hier nicht zu sehen, aber Bescheidenheit. Dies hier ist nicht Südfrankreich.

Abends ein gemütliches Essen, aber bitte ohne aufgesetzte Folklore. Bei diesen Temperaturen mag er keinen Alkohol trinken. Er hört die Brandung, spürt die warme Luft auf seiner Haut. Glücklicherweise ist das hier kein Rummelplatz, kein Partyvolk bevölkert die Insel. Wenn Landsleute an den Nebentischen sitzen, vermeidet er jeglichen Kontakt mit ihnen. Er kann mit seinem Gegenüber gut schweigen, wenn es die Situation verlangt oder weil es augenblicklich schlicht nichts zu sagen gibt. Aber er vermisst jenes vertraute Schweigen, das letztlich mehr beinhalten kann als manches Gespräch, das an der Oberfläche stecken bleibt.

Er will und braucht Distanz, weil er zu viel Nähe erfährt.
Ob er bindungsunfähig ist, kann er (noch) nicht restlos beantworten.

Wie viele Kompromisse -Lebenskompromisse- sind dem Menschen zumutbar?

Freitag, 10. Juni 2011

An den Tod denken

Wir leben zu sehr ohne das Bewusstsein, dass wir endliche Wesen sind. Würden wir uns täglich in Erinnerung rufen, dass wir schon morgen tot sein können, wir würden, glaube ich, das Leben bewusster gestalten und wahrnehmen. Der Lebenszug fährt ein hohes Tempo und kann jederzeit ausgleisen und dabei endgültig stehenbleiben. Seine Destination ist grundsätzlich unbestimmt oder wechselhaft.

Das Denken an bzw. über den eigenen Tod hat etwas Befreiendes und birgt einen emanzipatorischen Ansatz in sich, nämlich: die sog. Sachzwänge, die uns vor allem einengen und die eigene Freiheit berauben, vermehrt in Frage zu stellen. Erinnern wir uns daher an Luther: mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben.

Fehlendes Reisefieber

Ich stelle mir vor:

Ferien stehen vor der Tür. Die Koffer werden gepackt, es braucht nicht viel Gepäck, schliesslich gehen sie nach Griechenland. Sonne tanken, die es zwar auch hier gibt. Freude viel nicht so recht aufkommen, Reisefieber schon gar nicht. Man nimmt sich ja immer mit, auch auf Reisen. Berlin, Paris, Hamburg....irgendwann kommt der Zeitpunkt, der uns unsere Probleme und Alltagssorgen in Erinnerung ruft, weil sie sich nicht aus dem Reisegepäck verbannen lassen.

Vielleicht kommt doch noch so etwas wie Freude auf, wenn er im Flugzeug sitzen wird. Er sieht sich schon am Strand, in der kleinen Stadt, er sieht sich in einer kleinen Taverne essen (es muss ja nicht immer Souflaki sein) und griechischen Wein kosten. In gut einer Woche wird er wieder zu Hause sein. Es schadet nichts, ohne rosarote Brille in die Ferien zu verreisen. Im Gegenteil.

Kräfteraubend

Manchmal kostet es mir wahnsinnige Energie, Alltägliches zu erledigen, Altpapier zu bündeln, den Geschirrspüler zu leeren, das Altglas zu entsorgen. Was tun in solchen Situationen? Tief durchatmen und es einfach tun. Der Alltag kennt seine kleinen und grossen Herausforderungen. Nicht immer bin ich dafür gerüstet.

Donnerstag, 9. Juni 2011

Kinderzeichnung

Eine kleine und spontan angefertigte Zeichnung meiner Tochter, die mich seltsam berührt. Mozarts Musik scheint sie ganz und gar zu beflügeln und anzuregen. So auch heute Abend unter der Dusche, da höre ich aus lauter Kehle nur noch Mozarts Melodien erklingen.

Ja, dies möchte ich keinesfalls verlernen: Das Glück des Moments wahrnehmen zu können, wo immer ich auch sein mag.



Mozart. Das bedeutet,
die Welt hat einen Sinn
und er ist uns erspürbar
im Gleichnis der Musik.
Hermann Hesse, Tagebuch 1920/21

Traurig bin ich sowieso

Wenn wir unsre Kinder schlagen
Ins Gesicht und auf den Po
Weil wir uns nicht ertragen
Traurig bin ich sowieso

Wenn ich mich bespitzelt sehe
Überall und nirgendwo
Ganz egal, wohin ich gehe
Traurig bin ich sowieso

Wenn die offne Meinung ausstirbrt
Niemand contra, niemand pro
Wenn man nur um Heuchelei wirbt
Traurig bin ich sowieso

(...)

Wenn man höchste Preise bietet
Für gedroschnes leeres Stroh
Und man sein Gehirn vernietet
Traurig bin ich sowieso

Wenn das Ideal am Arsch ist
Und die Hoffnung weiß nicht wo
Uns die Langeweile auffrisst
Traurig bin ich sowieso

Und ich denke an den Dichter
Der in Optimismus floh
Nur für freudige Gesichter
Traurig bin ich sowieso

Wenn die Häuser uns erschlagen
Mit dem Stacheldrahtniveau
Tränen nur bei Saufgelagen
Traurig bin ich sowieso

Wenn ich ans Gefängnis denke
Das von uns und anderswo
All die abgessesnen Bänke
Traurig bin ich sowieso

Wenn ich trotzdem weitersinge
Trag ich auch das Risiko
Und den Kopf schon in der Schlinge
Traurig bin ich sowieso

Mensch, solange wir noch lachen
Und wir fühl’n uns nicht allein
Und wir können noch was machen
Kann ich ruhig traurig sein

Bettina Wegner

Das Fondue

Das trübe, regnerische und eher kühle Wetter erlaubt es den Käseliebhabern, zu ungewohnter Jahreszeit Fondue zu essen. So habe ich also heute Mittag ein Käsefondue gegessen. Mit allem drum und dran, d.h. mit einem kühlen Weissen aus dem Waadtland, mit viel Weissbrot und Kartoffeln, Essiggurken und feinem Kirsch. Dies alles in einer alten Spelunke in der Altstadt, wo seit Jahrzehnten eben dieses Gericht Tag für Tag aufgetischt wird.

Um uns herum ein eher älteres Publikum, Notare und dergleichen mehr, die erstaunlich hohe Dosen Wein ertragen können und ziemlich laut lachen. Fröhliche Tischrunden überall, es scheint, als gebe es auf dieser Welt keine Probleme. Auch ich gebe mich diesem frivolen Treiben hin, bestelle nochmals einen kühlen Weissen und fabuliere mit der Mama meiner Tochter über Gott und die Welt, ja, wir haben es feuchtfröhlich. An den langen Holztischen kommt man schnell ins Gespräch mit fremden Leuten. Zwei ältere Damen machen deftige Witze, am Nebentisch wird lautstark politisiert, und die flinken Kellnerinnen sind vor allem damit beschäftigt, den Wein zu servieren. Ich stelle fest: es ist ein normaler Donnerstag, es ist Mittag, trüb und grau und kühl ist es. Die Leute sind fröhlich, einige sind beschwipst, von Melancholie ist hier keine Spur zu spüren. Ich gebe mich also diesem Treiben hin, tue so, als sei alles in bester Butter, der Kirsch schmeckt in Kombination mit dem Fondue vorzüglich.

Ich denke nicht daran, wie schön es wäre, dich hier am Tisch zu haben. Und doch verfolgst du mich, bei jedem Schluck Weissen, bei jedem Bissen Fondue. Umso mehr hüte ich mich davor, eine weitere Runde zu bestellen. Weil ich dann umso mehr spüren würde, wie weit weg du doch bist.

Manchmal brauche ich verdammt lange, um dies endlich zu kapieren. Trotz Weisswein und Fondue.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Fern und doch so nah

Zufällig (?) und zum richtigen Zeitpunkt aufgeschnappt:

Es gibt ferne Telefonate, die mich durch ihre Nähe mehr berühren,
als ein naher Händedruck,
den ich nur ferne und oberflächlich spüre.
Peter Sereinigg

So ist es:
so fern - und doch so nah.

Der alte Mann im Café

Heute Morgen beim Kaffee in der Altstadt.
Ich plaudere mit der Mutter meiner Tochter über Gott und die Welt.

Dann kommt ein alter Mann ins Café.
Sucht einen Platz, seinen Platz.
Unsicher auf den Beinen.
Altes Gesicht.
Ich erschrecke.
Nicht wegen des alten Mannes.
Ich erschrecke vor mir selbst.
Weil ich registriere (einmal mehr), dass ich verdränge.
Dass ich in wenigen Jahrzehnten auch ein alter Mann sein werde.
Leichte Panik erfasst mich.
Das Leben rast an mir vorbei, denke ich mir.
Wehrlos kommt man auf die Welt
Oftmals wehrlos geht man von dieser Welt.
Was liegt dazwischen?
Wachstum.
Lebenspläne.
Hoffnungen.
Ängste.
Illusionen auch.
Vieles wäre möglich, lässt sich aber dennoch nicht realisieren.
Aus Ängstlichkeit.
Aus Feigheit.
Aus Unvermögen.
Aus Einsicht auch.

Und die Uhr zeigt bereits 0930 Uhr.

Nachtrag (gefunden bei MadameB - Danke!)
Im Alter bereut man vor allem die Sünden, die man nicht begangen hat
(William Somserset Maugham)

Dienstag, 7. Juni 2011

Das ist Liebe....

wenn sie vollständig ist:
Rührung und Lust auf einmal,
Zärtlichkeit und Begehren.

Thomas Mann
Treffender in seiner Knappheit kann man es kaum formulieren.

Ich vermisse Dich, dass es weh tut.

Kennst Du das auch?

Kennst du das auch, dass manchmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehen musst?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf,
wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt- Kennst du das auch?

Hermann Hesse

Montag, 6. Juni 2011

Auf der Wanderung

Ich probiere Geschichten an wie Kleider
Max Frisch

Wandern in den Bergen hat etwas Befreiendes. Alles relativiert sich angesichts der scheinbar unendlichen Weiten, wenn man auf dem Gipfel angekommen ist und sein Herz vor Anstrengung spürt und pochen hört. Ich stelle mir vor:

Sie haben eine ausgiebige Wanderung vor sich. Im Rucksack: eine Thermosflasche mit Schwarztee (versetzt mit viel Zucker), Birnen, Wurst, etwas Gemüse, Wasser. Sie haben ein bestimmtes Ziel auf 2800 Meter vor Augen, welches sie mit zügigen Schritten anpeilen. Unterwegs reden sie nicht viel miteinander, weil es angesichts dieser Weiten nicht viel zu erzählen gibt. Er findet bald seinen eigenen Rhythmus und kommt in eine Tiefenatmung. Er sieht, wie sie dem Grat entlang aufwärts läuft, mit sicheren Schritten, die langen Haare zu einem Rossschwanz gebunden. Sie ist keine Fremde mehr, und doch bleibt sie ihm in einem gewissen Sinne fremd, auch nachts, wenn sie neben ihm liegt und friedlich schläft. Er will auf dieser Wanderung vor allem eines: in dieser schmalen Gegenwart bleiben, aber es gelingt ihm nicht. Alles mögliche geht ihm durch den Kopf, längst Vergessenes auch. Er will sich üben im Loslassen. Je mehr er sich anstrengt, umso mehr muss dieses Unterfangen misslingen.

Bald ist er mental woanders, in seiner Kindheit, dann, zum Beispiel, am Rheinufer. Zuvor haben sie in der Flughalle abgemacht, seine Maschine landet pünktlich. Hoher Pulsschlag bei der Begrüssung. Dann vertraute Momente mit einer Frau, die er doch nicht kennt, aber glaubt zu kennen. Projektionen? Mag sein. Er spürte ihre zärtlich-zierliche Hand, mehr war gar nicht notwendig. Ein Gefühl, angekommen zu sein.

Rast. Er isst seinen Apfel und erzählt etwas Belangloses. Smalltalk. Er schwitzt aus allen Poren und geniesst es, seinen Körper zu spüren, wie er noch voll im Saft ist und den steilen Weg ohne Probleme meistern kann. Die Sonne unbarmherzig heiss, Bäume sind kaum mehr vorhanden, da die Baumgrenze längst überschritten ist. Gegen den Durst hilft der warme Schwarztee. Er will ganz hier in den Bergen sein, was ihm nach wie vor nicht gänzlich gelingt. Seine Gedanken machen ihm einen Strich durch die Rechnung.

Was er lernen will: Loslassen-Können.
Oben angekommen: tief durchatmen. Die Aussicht ist atemberaubend. Er kennt längst nicht alle Gipfel, die er zu Gesicht bekommt. Die Karte verschafft Orientierung.

Gibt es so etwas wie eine Lebenskarte?
Dann: Shit, wie schnell die letzten drei Jahrzehnte vergangen sind!

Was mache ich hier oben überhaupt?

Ganz im Moment ist er in der Gegenwart seiner Tochter. Augenblicklich vermisst er sie, ihre Unbekümmertheit, ihre offene Art, auf das Leben zuzugehen. Das verlängerte Wochenende dauert noch wenige Tage, er wünscht sich den Montag herbei.

Später werden sie zusammen kochen. Safranrisotto, Kalbspiccata, Salat. Dazu einen Roten aus Sizilien. Woran denkst du? fragt sie. Er weiss es, verraten will er es aber nicht. Stattdessen thematisiert er die Gründung des Königreichs Italien vor 150 Jahren (passend zum Essen und zum Wein), das verschafft ihm Distanz. Grappa mag er heute nicht.

Mittwoch, 1. Juni 2011

vor der Auffahrt

Was ich aktuell empfinde: eine durchaus nicht unangenehme innere Leere und so etwas wie fröhliche Gleichgültigkeit. Ich lass mich vom Leben treiben, bleibe aufmerksam, gehe aber auf Distanz. Verbindlich bin ich nur gegenüber meiner Tochter. Ich geniesse das graue, kühle Wetter, erfülle meine Pflichten, treibe mässig Sport. Morgen ist Auffahrt - und damit Feiertag. Nichts Aussergewöhnliches wird mich erwarten, und nichts Aussergewöhnliches erwarte ich. Was ich vor allem brauche: ausgedehnte Bergwanderungen, Musik und Ruhe. Und abends ein gutes Glas Wein.

Der neue Monat beginnt mit anderen Worten ohne jegliche Euphorie, ich meine: gut so.