Freitag, 31. August 2012

September

Ich freue mich auf dich,
September.
Morgennebel.
Farbige Blätter.
Mittags löst sich der Nebel auf.
Es ist mild.
Ich laufe dann gerne dem Flussufer entlang
und atme tief durch
und registriere
die Vergänglichkeit allen Lebens.
Nachmittags sitze ich draussen in einem Café
und beginne leicht zu frösteln.
Sonnenlicht wie durch Watte.
Die Freibäder werden ihre Tore bald schliessen.
Saisonende.
Abends
ein wärmendes Bad
und ein gutes Buch in der Hand.
Aufbruch nach Innen.

Donnerstag, 30. August 2012

Erinnerungen, zum Beispiel an das Rheinufer



Feig, wirklich feig ist nur, wer sich vor seinen Erinnerungen fürchtet.
Elias Canetti

Am Rheinufer.
Es könnte in Mannheim gewesen sein,
in Basel,
in Worms auch
auf den Spuren Luthers,
im Pott
oder auch anderswo.
Es spielt ja auch keine Rolle.
Denn
wo wir auch gewesen wären
wortlos
gingen wir entlang des Ufers.
Ab und zu ein Kuss.
Nicht irgend ein Kuss.
Ein Kuss,
der unsere gegenseitige Sehnsucht zum Ausdruck brachte,
und unser Verlangen nach Nähe
und
Feuer.
Später in einem kleinen Restaurant.
Erinnerst du dich an unser Menü?
Dazu ein kleiner Tropfen Wein.
Abermals dem Ufer entlang.
Unsere Hände, wie sie sich berührten.
Unsere Lippen, wie sie sich immer wieder begegneten,
stehend
laufend
sitzend,
immer wieder,
immer verlangender.
Wissend, dass es keine Zukunft gibt.
Aber beseelte Gegenwart,
die durch
nichts
zu ersetzen ist.
Es ist schon ein Weilchen her.
Und doch.
Du weiss ja:
Erinnerungen
befreien.
Und manchmal
erwärmen sie auch das Herz.
Auch wenn es schmerzt.

Erinnerungen, zum Beispiel an die Sonnenfelsgasse



Erinnerung und Wiederholung sind die gleiche Bewegung -
nur in entgegengesetzter Richtung.
Kierkegaard



Es gibt Momente, da verlässt mich die Gegenwart, um deren Präsenz in meinem Leben ich so bemüht bin. Und trotzdem: sie verlässt mich auf einmal ungefragt (als wollte sie mich abstrafen, doch nicht wissend, wofür) und lässt mich in vergangene Zeiten katapultieren. Und dann erinnere ich mich zum Beispiel an meine regelmässigen Flüge nach Wien. Freitagmittag, Gate A88, Flug LX 8745. Es ist ein schöner Herbsttag, ich fühle mich so verdammt frei und unbeschwert. Ich trinke einen frischen Orangensaft und warte ungeduldig auf den Abflug. Für 48 Stunden bin ich ganz weg, nichts und niemand wird mich in dieser kurzen und doch unendlich scheinenden Zeitspanne an mein Leben erinnern, das ich sonst führe. Leichtigkeit, die mich beinahe fortträgt.

Für den Samstag hat er einen Tisch bei Bauer im ersten Bezirk bestellt. Dort, wo man noch richtig und ausgiebig tafeln kann. Stundenlang. Sie zelebrieren das vorzügliche Essen mit dem dazu passenden Wein. Und am Tisch herrscht dieses intensive Gefühl absoluter Zeitlosigkeit, die einem Triumpf gleichkommt und der banalen Existenz des Alltags ein hämisches Lachen schenkt. Diesen magischen Moment verdichteter Zweisamkeit möchte er konservieren, in sich aufsaugen und immer wieder davon kosten können, vor allem dann, wenn die Banalität des Alltags ihn zwangsläufig wieder einholen wird. Doch im Lokal kommt der Gedanke an den Montag gar nicht auf. Zu intensiv ist die Gegenwart, die nur eines kennt: Unbeschwertheit. Das Abendessen schmeckt vorzüglich und lässt beide erahnen, was danach noch alles kommen mag.

Leicht beschwipst verlassen sie gegen 23 Uhr das Lokal und betreten erneut die Sonnenfelsgasse. Hier, im alten Wien, scheint es keine Zeitdiebe zu geben. Beinahe glaubt er im leichten Rausch dort hinten am Ende der Gasse dem Wolferl zu begegnen, und hört ihn schon das Vogelfängerliedchen pfeifen. Gelächter. Leichtigkeit, immer wieder Leichtigkeit des Moments. Und später, wenn sie mit der U-Bahn den ersten Bezirk längst hinter sich gelassen haben, werden sie sich die ganze Nacht lang lieben. Atemlos, gierig und mit zügellosem Appetit.

Ich erinnere mich gerne.
Nicht aus nostalgischen Gründen.
Sondern weil Erinnerung immer auch Befreiung ist.

Mittwoch, 29. August 2012

Der Frauentisch


Traum - vorerst ohne Deutung





















Er sitzt an einem langen Tisch, der reichlich gedeckt ist.
Um ihn herum sitzen ausschliesslich Frauen.
Alle reden miteinander
und durcheinander.
Entspannte Stimmung.
Käseplatten hat es auf dem Tisch,
Wein,
Brot,
Früchte,
Trockenfleisch.
Eine muntere Runde.
Und dann bemerkt er, dass er alle Frauen kennt.
Mehr noch: alle spielten in seinem Leben
eine bestimme Rolle.
Für kurze Zeit, für längere Zeit.
Alle haben sich hier versammelt.
Und reden vor allem über ihn.
Es sind nicht nur Worte des Lobes.
Weshalb denn auch.
Ist es eine Art Gericht?
Er hat nichts Böses getan, davon ist er überzeugt.
Und dann beginnen sie fröhlich zu singen.
Die Melodie freilich kommt ihm gänzlich unbekannt vor.

Montag, 27. August 2012

Von der Schnecke

Manchmal
möchte ich wissen,
wie das Leben einer Schnecke ist.
Sich gänzlich zurückziehen können
in sein Haus.
Einfach nur da sein.
Nichts tun müssen.
Nichts beweisen müssen.
Nichts wissen müssen.


Keine Erwartungen erfüllen müssen.
Und überhaupt.

Kann die Schnecke glücklich
und damit auch traurig sein?

Freitag, 24. August 2012

Wahre Aufmerksamkeit

Man setze sich irgendwohin – möglichst an einen reizarmen, belanglosen, von Hektik freien Ort – und schenke der Umgebung während einer Viertelstunde seine volle Aufmerksamkeit: dem Boden der Dusche, einer eingefallenen Gartenmauer oder – für schon Fortgeschrittene – dem Bildschirm des ausgeschalteten Computers. Halte ich diesen Offline-Modus aus? Wer das kann, lernt, dass wahre Aufmerksamkeit damit zu tun hat, Leere und Langeweile ertragen zu können – und Warten. Warten lässt einen in einer Gegenwart ankommen, aus der man sich nicht herausschnattern kann: bei sich selber. Wahre Aufmerksamkeit ist – ernst genommen – eine Extremerfahrung. 

Ich habe diesbezüglich Fortschritte gemacht, indem ich jene Leere und Langeweile besser ertragen kann als noch vor wenigen Jahren. Die Leere ist für mich keine Bedrohung mehr, ich muss weder vor ihr flüchten noch sie bändigen wollen. Vielmehr lasse ich mich durch sie in einen intensiven Zustand des Gegenwärtigen führen. Dass ich von Rückschlägen heimgesucht werde, will ich jedoch nicht ausschliessen: wahre Aufmerksamkeit ist in der Tat eine Extremerfahrung. 

Das Chaos durchwandern

Manchmal muss das Chaos unermessliche Dimensionen annehmen, damit Ordnung überhaupt hergestellt werden kann: das Chaos zwingt uns zur Prioritätensetzung und weist uns den Weg zur inneren Ordnung. 

Mittwoch, 22. August 2012

Handgeschriebene Karte

Manchmal vermisse ich ganz simple Sachen.
Eine handgeschriebene Karte zum Beispiel.
Die, um das Glücksgefühl noch steigern zu lassen, rechtzeitig ankommt.
Zum Geburtstag zum Beispiel.
Oder zu Weihnachten.
Keine sms, keine email.









Nein, eine handgeschriebene Karte,
überreicht vom Briefträger.
Mit einer Briefmarke versehen und abgestempelt in deiner Stadt.
Mit deiner Schrift.
Mit nur wenigen Worten, weil es wärmende Worte sind.
Ach.
Erinnerungen an dich.

von der roten Rose

Beim unstrukturierten Lesen gefunden und gleich mal gelb markiert:

Noch einmal fällt in meinen Schoß
die rote Rose Leidenschaft;
noch einmal hab ich schwärmerisch
in Mädchenaugen mich vergafft;
noch einmal legt ein junges Herz
an meines seinen starken Schlag;
noch einmal weht an meine Stirn
ein juniheißer Sommertag.

Theodor Storm

Dienstag, 21. August 2012

Liebesversicherung

Ich stelle mir vor:
Der gut gemeinte und sentimental anmutende Satz "mit dir möchte ich alt werden" hat ihn gänzlich aus der Fassung gebracht. Nein, bitte keine Liebesversicherung in Aussicht stellen. Weil die dazugehörige Prämie im Sinne erstarrter Rituale und fulminanter Erwartungen schlicht zu hoch ist - und das Kleingedruckte ein ganzes Telefonbuch füllt. Und weil morgen nicht zwingend heute ist.
Und ohnehin gilt: wenn es für die Beteiligten stimmt und beide dasselbe wollen, dann kommt es, wie es zwangsläufig kommen muss.

Und er schob nach:
Dies ist kein Plädoyer für Unverbindlichkeit.
Vielmehr für die Freiheit, sich immer wieder neu für die Liebe zu entscheiden.
Ohne Versicherung.

Sonntag, 19. August 2012

Aletschgletscher

Ich leide unter dieser Affenhitze. Grund genug, in solchen Momenten in die Berge zu flüchten. Möglichst hoch hinauf. Es kann nicht genug hoch sein.















So war ich heute auf einer Wanderung entlang des Aletschgletschers. Wenn man ihn sieht, gerät man schnell einmal ins Meditieren, und der Alltag mit seinen Problemen und Problemchen ist längst nicht mehr präsent. Von ihm geht eine atemberaubende Kraft aus, die in sich ruht. Es scheint, als stünde etwas Zeitloses vor uns. Etwas, das uns in jeder Hinsicht überleben wird. Das Menschliche und allzu Menschliche relativiert sich in seiner Gegenwart gewaltig. Umso mehr werde ich ihn wiederholt aufsuchen müssen. 

Samstag, 18. August 2012

Inneres und äusseres Chaos

Mag sein, dass das Bedürfnis nach Ordentlichkeit - auf dem Schreibtisch, in der Wohnung etc.- den Versuch darstellt, das innere Chaos zu bändigen. Der Umkehrschluss trifft jedoch nicht zu: Menschen, die im sichtbaren Chaos leben, verfügen deswegen nicht zwangsläufig über eine innere Ordnung bzw. Festigkeit. 

Samstagmorgen

Samstagmorgen
in Erwartung
eines heissen
Wochenendes.
Noch ist es einigermassen kühl.
Aufgeräumte Stimmung.
Der Frühstückstisch reichlich gedeckt.
Der Morgen ist die schönste Tageszeit.
Weil er, trotz aller Routine, noch alles offen lässt
was kommen mag.
Man nimmt sich dieses und jenes vor
und denkt dabei nicht
an Illusionen.
Geht pfeifend aus dem Haus.
Einkaufen für das Wochenende
und für die bevorstehende Wanderung.
Unterwegs
ein Schwätzchen hier, ein Schwätzchen dort.
Austausch liebevoller Belanglosigkeiten.
Zeitung lesen in der Gartenwirtschaft
und dabei registrieren,
dass man auf einer Insel lebt.
Samstagmorgen.
Für einen Moment
entrückte Zeit.

Donnerstag, 16. August 2012

Heidi

Genau in jener Stimmung bin ich heute Abend.
Mit gefällt diese Heidi aus Luzern :-)

Mittwoch, 15. August 2012

Die jüngste Leserin

Herzlich Willkommen, Wiebke. Du bist hier womöglich die jüngste Leserin, gerade mal 13 Jahre alt bist Du. Meine Tochter, die ein paar Jährchen jünger ist, findet meine Texte alleweil etwas komisch (wie meinst du das genau, Papa?). Wie auch immer: gute Lektüre wünsch ich Dir!

Dein Blog habe ich übrigens "durchgeblättert". Gut gemacht und: weiter so! 

Dienstag, 14. August 2012

Eingefangene Leichtigkeit

Traum und mögliche Deutung:

Und indem er die Katze, welche die zahlreichen, entlang des Flussufers herumhüpfenden Vögel angreifen wollte, erfolgreich vertrieb, rebellierte er gegen das Einfangen von Leichtigkeit.

Eingefangene Leichtigkeit wiegt schwer und tötet jegliche Freiheit. 

Montag, 13. August 2012

Véronique Gens

Es gibt Gesichter, die ich lange betrachten kann.
Immer wieder.
Auch Männergesichter oder
Gesichter alter Menschen.

Gesichter.
























So wie jenes Gesicht.
Was für ein Geheimnis mag sich hinter diesem Gesicht verbergen?
Was für ein wacher, sanfter und ruhiger Blick.
Hier scheint alles zu passen,
die Proportionen, die Frisur, die Farben.
Sanfte Lippen, in sich ruhend.

Am liebsten aber mag ich ihre Stimme.
Wie gemacht für Mozart.

Von Männer- und Frauenbeinen (zum Beispiel)
















Heterosexuelle Frauen gucken sich die Beine von Fussballern an und warten zusammen mit den Schwulen auf den Moment, wenn nach dem Spiel die Trikots getauscht werden, meint Peter Rehberg in einem Interview über die "Sexualisierung des Sports".

Ich gucke mir ganz gerne Frauenfussball an - bin ich also demzufolge insgeheim ein Lüstling? 

Männerfussball -vor allem, wenn es um ein Finale geht- mag 
ich auch. Trage ich also homophile Züge in mir? 

Tennis hingegen langweilt mich, auch Frauentennis. Bin ich deswegen asexuell?

Mal ganz im Ernst: ticken wir wirklich so trivial? 

Sonntag, 12. August 2012

Und wieder ruft der Berg
















Es ist ein Tag, wie er zum Wandern kaum schöner sein kann, ein blauer und nicht allzu warmer Tag. Wie weisse Watte hängen die Wolken über dem Tal, ganz still, und in den Wiesen zirpen
die Grillen. 

Noch ist es Sommer; nur dass das Licht, das über den Feldern flimmert, schon eine goldene Milde hat, und es genügt ein einzelnes Blatt, das einmal am Wege liegt und braune Ränder hat, und man denkt an den Herbst, obgleich noch alles grün ist, obgleich die bunten Schmetterlinge flattern und das reifende Korn noch an den Hängen steht.

Max Frisch - Antwort aus der Stille, Suhrkamp 2009, S. 7

Samstag, 11. August 2012

Lust auf Schreiben


Gerne würde ich etwas Liebes schreiben
etwas voller Hoffnung und Leidenschaft.
Gerne würde ich die Tage lobpreisen
die sommerliche Frische des Morgens
und die abendliche Abkühlung im Fluss.
Gerne würde ich über schöne Erlebnisse schreiben
über kühle Bergseen und strahlende Kinderaugen.
Aber gelingen will es mir nicht
ich sitze da und spüre nichts weiter als die Leere in mir.
Und doch geniesse ich den Sommerabend
und höre die fernen Züge
als ob sie mir etwas zu sagen hätten.
Bald holt mich der Schlaf ein.

Donnerstag, 9. August 2012

50. Todestag von Hermann Hesse

"Die Wirklichkeit ist das, womit man unter keinen Umständen zufrieden sein, was man unter gar keinen Umständen anbeten und verehren darf, denn sie ist der Zufall, der Abfall des Lebens. Und sie ist, diese schäbige, stets enttäuschende oder öde Wirklichkeit, auf keine andere Weise zu ändern, als indem wir sie leugnen, indem wir zeigen, dass wir stärker sind als sie".

Hermann Hesse, der heute vor 50 Jahren gestorben ist.

Mittwoch, 8. August 2012

Überraschungen

Ich stelle mir vor:

Es fühlt sich seltsam an, von einer attraktiven, alleinerziehenden Frau bei ihr zu Hause zum Abendessen eingeladen zu werden, von der ich intuitiv weiss, dass sie schon seit geraumer Zeit keinen Sex mehr hatte.
Was aber nichts zu bedeuten hat.
Doch auf die Komposition des Essens bin ich schon sehr gespannt.
Wie bei einer Oper: die Ouvertüre verrät vieles über die Handlung, ja sie nimmt letztere vorweg.
Man muss aber sehr genau hinhören können. 

Dienstag, 7. August 2012

Von der Sehnsucht

Es geht gar nicht so sehr darum, seine Sehnsüchte gänzlich erfüllt zu sehen. Es ist schon viel erreicht, für seine Sehnsüchte eine angemessene Ausdrucksweise zu finden. Viele finden diese in Landschaften vor, in der Kunst, in der Literatur, in der Musik, wo auch immer. Doch ein Mensch wird unsere innerste Sehnsucht in ihrer unendlichen Breite und Tiefe niemals gänzlich zu erfüllen vermögen. Ich jedenfalls sehe diese Möglichkeit nicht - eine zusehends befreiende Erkenntnis, auch wenn sie zeitweise schmerzlich sein mag. 

Donnerstag, 2. August 2012

Aufgeschnappt

Bei der gestrigen Lektüre spätabends markiert:
"Für den entschlossenen Blick ist so gut wie alles entbehrlich, für den melancholischen so gut wie nichts".
Adolf Muschg. Sutters Glück