Donnerstag, 29. Juli 2010

Verdrängung

Manchmal bin ich ein Meister der Verdrängung, so auch heute Abend. Es ist mein letzter Urlaubstag in Sils-Maria. Ich denke nicht an den kommenden Montag, ich denke nicht einmal an morgen. Das kleine Bier, das ich soeben genussvoll getrunken habe, ist mir ganz schön eingefahren, es kommt mir vor, als hätte ich bedeutend mehr getrunken, entsprechend fühlt sich mein Kopf an. Müdigkeit macht sich breit, aber auch, einmal mehr, Melancholie. Und da stellt sich wieder das vertraute Gefühl ein, im rasenden Zug zu sitzen. Wenigstens hat es darin einen Speisewagen, in dem ich mich gleich setzen werde, um etwas Feines zu essen und einen schweren Barolo zu geniessen.

Dienstag, 27. Juli 2010

wohltuende Illusionen

Ferien.

Ich sitze im Hotelzimmer und weiss noch nicht, ob ich in die grosse Hotelhalle will. Bin unschlüssig, ob ich nun schreiben oder mich in einem Buch vertiefen soll. Melancholie macht sich breit, es liegt natürlich auch daran, dass ich in Sils-Maria bin, meiner zweiten Heimat. Hier liebe ich die Frische und die kalten Nächte. Morgen früh sollen es gerade mal 2 Grad sein. Es ist kein Zufall, dass ich immer wieder hier in die Ferien komme, denn dieser Ort vermittelt die Illusion der Zeitlosigkeit. Namentlich in „meinem“ Hotel wird dies zum nicht ausgesprochenen Prinzip erhoben. Als Thomas Mann mit seiner Familie da war, sah es gleich aus, die Rituale waren dieselben, nur dass damals die Kinder noch artig sein mussten und es abends kein Kinderkino gab. Wenn ich vom Fenster aus den Silsersee und die dunklen, wolkenverhangenen Berge, die ihn umgeben, betrachte, so erfasst mich eine spezifische Wärme von seligmachender Gleichgültigkeit. Dann denke ich nicht an morgen, denke nicht an das Büro, an die Politik oder an andere weltliche Gegebenheiten. Dann bin ich nur noch hier, in der puren Gegenwart und doch umhüllt von Geschichte und gelebter Tradition.

Ich möchte gerade in jenen Augenblicken meine unerfüllte und unerreichbare Liebe in meinen Armen halten, wissend, dass dies einer Illusion gleichkommt, so wie Manches hier eine Illusion ist, aber ich lasse mich für eine Weile gerne von Illusionen einvernehmen, ja sie tun mir gut, ich darf für eine Weile einfach vergessen, das Abendessen geniessen, ebenso den obligaten Kirsch aus Zug als Schlummertrunk und die in Szene gespielte Salonmusik. Der Leiter des Haustrios, ein begnadeter Pianist aus der Slowakei, hat kürzlich gesagt, mit seinen Kompositionen wolle er die Jugend seines Herzens vor dem Leben retten. Wenn ich seiner Musik genau hinhöre, so beginne ich ihn zu verstehen. Ja, es tut zeitweise gut, in einer Art Trutzburg (hinter deren Mauern freilich modernste Haustechnik versteckt ist) das Altmodische zu zelebrieren. Ich liebe es, hier von Menschen umgeben zu sein, die abends vertieft in ihren Sesseln einfach nur lesen wollen und sonst nichts. Hier gibt es keine Disco, keine Luxusboutiquen und dergleichen mehr, dafür eine wunderschöne alte Bibliothek. Mein kleines Doppelzimmer, das ich mit meiner Tochter teile, gleicht einer komfortablen Mönchszelle.

Morgen soll es schön sein, mit angenehmen Wandertemperaturen. Dann werden wir aufbrechen und ins autofreie Fextal wandern, vielleicht werden wir dabei allerlei Tieren begegnen. Und vor allem werden wir der Ruhe begegnen und der Besinnung.

Samstag, 24. Juli 2010

Sommerfrische

Am Mittwoch bin ich endlich angekommen in Sils-Maria.

Ich geniesse die Sommerfrische, den zügigen Wind aus Maloja und die Wetterküche, die allerlei Überraschungen aufbieten kann. Hier erlebe ich ein ganz spezielles Gefühl von Erhabenheit, Sanftheit und Stille.

Am Ufer des Silsersees hat es keinen Platz für Aufregungen, hier spüre ich bloss den Malojawind, betrachte das Spiel des Lichts, geniesse das frisch-kühle Seewasser an meinen nackten Füssen.

Ich beginne zu ahnen, was Nietzsche wohl meinte, als er hier an eben diesem Seeufer sass und wartete, doch auf nichts. Hier oben versöhne ich mich mit dem Leben, lasse es treiben, wohin es auch gehen mag. Vielleicht wird es irgendwann Antworten geben auf die zahlreichen Fragen des Lebens. Darauf warte ich, ohne es jedoch erzwingen zu wollen.

Sonntag, 18. Juli 2010

Vernunftehe

Irgendwann, so lautet eine gängige These (und die sich empirisch auch durchaus belegen lässt), wird aus einer Liebesbeziehung eine "normale" Beziehung, die sich dem Alltag stellen muss. Dann, wenn dieses Stadium erreicht ist, arrangiert man sich gegenseitig. Der Alltag wirkt zeitweise zermürbend, die Erotik bleibt eh auf der Strecke, beide haben ihre Pflichten zu erfüllen. Alltag halt. Von Romantik bleibt da nicht mehr viel übrig.

Wenn dem so ist, so müsste man sich konsequenterweise für eine sog. Vernunftehe bzw. Vernunftpartnerschaft aussprechen. Demnach ginge es in erster Linie wohl darum, von Beginn einer Partnerschaft an nach dem Optimum zu suchen, ganz im Sinne der ökonomischen Maximierung. Wenn ich dies auf meine Situation übertrage müsste ich also nach einer Frau Ausschau halten, die ein etwa gleichaltriges Kind hat wie ich (damit die Kinder schön zusammen spielen und aufwachsen können), die ähnliche Interessen hat wie ich und das Leben aus einer ähnlichen Perspektive betrachtet. Natürlich wären beide auch daran interessiert, eine gemeinsame ökonomische Basis zu haben. Emotional müsste man sich nicht gross verstehen, und körperliche Anziehungskraft wäre sekundär. Diese würde sich allenfalls mit der Zeit einstellen, weil, ganz pragmatisch gedacht, beide halt auch ihre diesbezüglichen Bedürfnisse haben, und die würde man wohl zwei mal wöchentlich ausleben, einem mechanischen Akt gleich. Aber da wäre kein Feuer, keine Leidenschaft, keinerlei Begierden, kein Berühren des Herzens und der Seele, nichts. Und wenn der eine geht, wird seine Wärme, wenn sie überhaupt da ist, nicht vermisst.

Und genau hier, an diesem Punkt, werden mir die Anhänger der Vernunftehe sagen: eben, genau dort wirst du ohnehin mal ankommen, Romantik und Leidenschaft hin oder her.

Im Ernst: das kann es ja wohl nicht sein. Ich könnte mich nicht dazu überwinden, eine Beziehung primär aufgrund rational-ökonomischer Gründe einzugehen und diese während Jahrzehnten (!) zu leben. Vermutlich bin ich ein hoffnungsloser Fall, indem ich immer noch an die romantische Liebesbeziehung glaube.

Oder habe ich etwas Wesentliches übersehen?

Dienstag, 13. Juli 2010

Herz und Verstand

Heute Abend habe ich kein Altersheim vor meinem geistigen Auge, wie das noch gestern um diese Zeit der Fall war. Nein, heute Abend habe ich vielmehr Endorphine in meinem Blut, ich merke, wie mein ganzer Körper überschüttet wird von diesem Glückshormon. Ich habe in solchen Momenten ungebändigte Lustmomente, ich sehe eine blühende, bunte Sommerwiese mit vielen Faltern, über die ich springe, ich rieche die Alpenblumen und trinke frisches Wasser ab der Quelle. Meine Sehnsucht kann mich manchmal lähmen, sie kann mich zeitweise aber auch antreiben, aufwühlen, bis ich das Gefühl habe, ich würde regelrecht explodieren vor lauter Energie, die meinen ganzen Körper in Beschlag nimmt. Natürlich, Sehnsucht schwingt immer mit, aber sie ist in solchen Augenblicken eine angenehme Begleiterin, eine, die mich trägt und nicht erschlägt.

Ich höre die Kirchenglocken, es ist 23 Uhr. Absolute Stille, dabei ist die Stadt keine 10 Minuten von meiner Wohnung entfernt. Was ich jedoch immer höre sind die mir vertrauten Geräusche der vorbeifahrenden Züge des Güterbahnhofs, ja, diese Geräusche verursachen in mir immer wieder ein Gefühl von Unruhe, sie treiben mich an, als ob sie mir sagten wollten: geh! Ich bleibe, weil es die Vernunft gebietet. Das Herz spricht eine andere Sprache. Herz (Neigung) und Verstand (Pflicht) müssen lernen, vermehrt im Dialog zu sein, sie müssen sich besser kennen lernen mit dem Ziel, letztlich voneinander zu lernen und sich nicht als Gegner, sondern als Freunde zu begegnen, die aufeinander angewiesen sind.

Ich gebe zu: manchmal liebe ich es, den Verstand in die Irre zu führen, mein Herz ganz zu öffnen und damit dem Leben Recht geben. Denn Leben ist mehr als Kontrolle und Abwägung.

Montag, 12. Juli 2010

Das Altersheim

Einmal mehr erwische ich mich in meinem undisziplinierten Denken. Wie angeschossen bin ich heute Abend mental im Altersheim gelandet. Ohne ersichtlichen Grund werden Bilder vor meinem geistigen Auge aktiviert:

Ich sehe ein kleines Zimmer in einem Altersheim. Links das Bett, rechts davon das kleine Lavabo. Es hat noch Platz für einen kleinen Sessel und einen Minitisch im Zimmer. Dann eine Stehlampe und ein TV-Gerät. Neben dem Bett ein schmaler Nachttisch. Und genau hier bin ich in meinen Gedanken gelandet, nicht heute, nicht morgen, aber halt dann, wenn es soweit ist. Wann mag das sein? Das Bild lässt mich nicht mehr los, ich sehe mich genau in einem solchen Zimmer, einsam, gewissermassen verlassen von allen guten Geistern. Vielleicht ab und zu ein Besuch, na ja, meine Tochter wird wohl sporadisch vorbei kommen. Und sonst: der Freund x, der ehemalige Arbeitskollege y, und sonst: nichts. Leere. Frühstück ist stets um 0830, Mittagessen Punkt 1200, Abendessen 1730. Und es gibt immer zwei Menüs zur Auswahl. Mittwochs ist Bewegungstag, Donnerstag kommt ein Clown vorbei und spielt mit seinen Hunden. Einmal im Monat werden alte Lieder gespielt, und am 1. August kommt ein Mann mit seinem Alphorn vorbei. Schlimm sind vor allem die Wochenenden und die Feiertage, die sind halt voller Erinnerungen. Und lesen geht auch nicht mehr so gut. Und das Gehen bereitet zusehends Mühe. Eine weitere Reise nach Berlin oder Paris ist jetzt realistischerweise nicht mehr denkbar. Man muss dann halt von seinen Erinnerungen leben.

Und zwischen all diesen Tagen und Stationen gibt es nur noch eine Gewissheit: dass man hier letztlich auf das Sterben wartet. Wenn einer im Altersheim gestorben ist, wird der Sarg halt unten durch den Eingangsbereich weggetragen. So wird man immer wieder daran erinnert, warum man eigentlich da ist.

Mein Gegengift zu solch destruktivem Denken: ich denke an meine Mutter. Sie ist 86. Und sie ist nicht im Altersheim, sie wohnt noch bei sich zu Hause. Sie denkt oftmals an ihren verstorbenen Mann, an "damals", wie es so war. Alte Geschichten halt, aber von denen zehrt sie.

Und ich will nicht an Altersheime denken. Ich will daran denken, was mir aktuell gut tut. Wenn ich mich darauf konzentriere, geht es ein wenig besser. Vermutlich werde ich auf diese Weise besser einschlafen können. Das Schreiben hat auch geholfen, es war wie Dampf ablassen.

Samstag, 10. Juli 2010

Die Anstrengung, Mensch zu sein

Ja, es ist anstrengend, "Mensch zu sein". Jeanne Hersch, Genfer Philosophin und Schülerin von Jaspers und Heidegger, provozierte oftmals mit ihren Thesen und sorgte dabei für rote Köpfe. Nächsten Dienstag wäre sie 100 Jahre alt geworden (sie starb vor 10 Jahren in Genf). Heute Morgen habe ich folgende Sätze von ihr aufgeschnappt, ich unterstreiche sie in meinem Kopf gleich doppelt und mit roter Farbe (aus einem Referat aus dem Jahr 1995):

Pflicht, ein wirklicher Mensch zu werden: wer hat je versprochen, dass Mensch sein leicht ist? In unserer Zeit hat eine Mehrheit von Menschen das Gefühl, sie hätten ein Recht darauf, nicht zu leiden, keine Probleme zu haben (...). Wer hat das je versprochen? (...) Niemand hat uns das versprochen (...). Es ist so, Mensch sein ist schwierig (...). Ich weiss nicht, warum wir dieses Gefühl haben, dass wir ein Recht auf Leichtigkeit hätten. Wir haben kein Recht darauf (...). Wenn wir nicht fähig sind, die Beschwerlichkeit unserer Existenz anzunehmen, dann verdoppeln sie sich (...). Mensch sein heisst, seine Freiheit zu üben an dem, was man so schwer erträgt".

Jeanne Hersch provoziert auch mich - ich reibe mich an ihren Texten. Sie hat ja Recht, das Leben ist kein Spaziergang. Wir sind unterwegs und müssen manches Unwetter in Kauf nehmen, manchen Sturm durchlaufen, manche Probe bestehen. Nur dann wachsen wir. Das versuche ich auch meinem Kind beizubringen.

Aber ich bin auch widersprüchlich und rebelliere gleichzeitig gegen diese Vorstellung, ich will das ganze Leben, will auch unbeschwert leben und lieben können, will mich spüren und, ach, auch so etwas wie glücklich sein. Ja, ich suche nach dem "donnernden Leben" (Biermann), will aufbrechen und meine Sehnsucht voller Ungeduld stillen. Jetzt, sofort.

Tröstlich ist, dass ich widersprüchlich sein darf, denn dies gehört ebenso zum Mensch sein.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Spätabends

Heute Abend habe ich wieder dieses spezifische Gefühl von Traurigkeit in mir. Ist es wirklich Traurigkeit, oder ist es vielmehr Melancholie? Wenn ich das Gefühl näher beschreiben müsste, muss ich nach Worten und Erklärungen ringen. Was es nicht ist kann ich dagegen benennen: es ist keine depressive Traurigkeit, es ist auch keine verzweifelte Traurigkeit. Es ist vielmehr ein nachdenklicher Zustand über meine (aktuelle) Lebenssituation. In Verbindung mit meiner Sehnsucht ergibt sich daraus ein Gefühl, nicht in seiner Mitte zu sein, das Gefühl, dass etwas ganz Elementares nicht in meiner Nähe ist, das Gefühl (einmal mehr, ich mag es nicht!), den Zug zu verpassen, das Gefühl, etwas Vorgefundenes nicht aufnehmen zu können - kurzum und salopp formuliert: das Gefühl, den Lottoschein mit den 6 richtigen Zahlen nicht einlösen zu können. Ich grüble nun nicht darüber nach, ich stelle meinen emotionalen Zustand einfach fest, ich kann ja dieses Gefühl nicht einfach per Knopfdruck abbestellen.

Ich weiss sehr wohl, dass ich mich immer wieder selber widerspreche, indem ich im Zusammenhang mit meiner Sehnsucht vielfach auch von Demut und Akzeptanz spreche, doch kann ich diese Haltung nicht immer einnehmen, es packt mich manchmal schlicht diese Traurigkeit, die ich in solchen Momenten auch gar nicht deckeln mag, weil sie sonst im Untergrund munter weiter brodelt. Lieber lasse ich sie zu, ohne sie zu verdammen. Ich muss lernen, mit ihr umzugehen (statt sie verdrängen zu wollen mit Durchhalteparolen), ja diese Traurigkeit als Teil meiner Selbst zu akzeptieren.

Ganz abgesehen davon: nur wer die Traurigkeit kennt, wird die fröhlichen Momente des Lebens angemessen zu schätzen wissen.

Am frühen Morgen

Der frühe Morgen namentlich des Sommers birgt etwas Geheimnisvolles in sich: ich jedenfalls habe oftmals das Gefühl, alles sei in diesem Moment möglich, alle Wünsche und Hoffnungen, die in uns schlummern, liessen sich, wann auch immer, erfüllen. Ich nenne dies die frühmorgendliche Illusion. Spätestens gegen Mittag, wenn die bleierne Hitze unbarmherzig alles zum Kochen bringt, werde ich müde, schlapp und neige zur Trägheit. Doch frühmorgens verspüre ich die brennende Lust, meine Sehnsucht zu stillen und aufzubrechen, den Zug und das Flugzeug zu nehmen (die Destination wäre alles andere als dem Zufall überlassen), um -ganz meiner innigen Zuneigung gehorchend- zumindest für einen Augenblick ganz weg zu sein, weg vom Alltag, von der Arbeit, von den Verpflichtungen des Lebens. Doch statt dessen bin ich im Büro, Arbeit gibt es genug, doch motiviert bin ich wenig, ich erledige meine Arbeit mechanisch (da routiniert - ich kenne den Laden und die Prozesse) und ohne Enthusiasmus.

Ich lasse mich nun ablenken und werde einen frischen Orangensaft trinken gehen, werde kurz den noch vorhandenen Schatten in den Gassen geniessen und die noch angenehme Frische auf mich einwirken lassen. Sehnsucht ist wirklich ein seltsames Gefühl, ein Gefühl, das mich gänzlich packen kann. Neulich bin ich einem Sprichwort begegnet: wer die Rose liebt, wird auch ihre Dornen mögen. Ja, so ist es, auch wenn ich insgeheim die Dornen verdamme und ich vom sinnlichen Duft der Rose nie genug bekommen kann.

Dienstag, 6. Juli 2010

Langeweile, innere Unruhe und Akzeptanz

Heute Abend war mir schlicht langweilig. Ich spürte sie deutlich, diese Langeweile, wie sie mehr und mehr von mir Besitz nahm und mich unruhig werden liess. Langeweile löst bei mir unruhige Aktivitäten aus: ich nehme ein Buch hervor, beginne darin zu lesen, 2-3 Seiten schaffe ich, lege es dann wieder weg, um ein anderes Buch hervor zu nehmen, gleiches Vorgehen wie beim ersten Buch, dann hektisches Auf und Ab in der Wohnung, Gang zum Kühlschrank, um etwas Salami zu naschen, später im Internet surfen, dann Mozart auflegen, wieder ein Buch hervor nehmend, usw.

Ja, ich habe einen unruhigen Geist, ich bin oftmals ein Getriebener meiner selbst. Was mir jedoch besser gelingt als auch schon ist im Hier und Jetzt zu verharren. Ich gebe zu, dass ich dabei den Gedanken "an die Zukunft" verdränge, das heisst, ich mag nicht immer daran denken, "wie es denn wohl sein werde" in einem Jahr oder in fünf Jahren. Das bringt nichts.

Und doch, es packen mich Momente der Sehnsucht, ich hadere dann mit dem sog. Schicksal und kann in solchen Augenblicken schlicht melancholisch werden. Ich nehme dieses Gefühl nicht als bedrohlich wahr, ja so paradox es klingen mag, ich habe mich mit diesem Gefühl so etwas wie befreundet. Und manchmal, trotz aller Einsicht in die Vernunft, möchte ich meine aktuelle Lebenssituation dennoch verdammen, ich fühle mich in solchen Momenten ohnmächtig (im wahrsten Sinne des Wortes: ohne Macht), ich komme mir als Spielball des Lebens vor und denke mir dabei, wie gemein doch das Leben sei. Dann klingelt in mir die innere Stimme der Vernunft: Achtung, Selbstmitleidsfalle ! Spätestens dann versuche ich mich wieder zu disziplinieren, ich atme tief durch und versuche, ganz im Augenblick anzukommen, denke nicht an morgen, sondern nehme einfach den Augenblick wahr. Das sind alles schwierige Übungen für mich, denn mein unruhiger Geist lässt sich nicht gänzlich fesseln und pendelt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin und her, er malt sich dieses oder jenes aus, spekuliert über mögliche Handlungsstränge, die jenseits jeglicher Beeinflussungsmöglichkeiten von meiner Seite sind etc.

Was mich wirklich zu beruhigen vermag ist das Schreiben, Schreiben als Selbsttherapie und als Ausdrucksmöglichkeit. Es mag mich zu besänftigen, der Gang Richtung Bett wird dadurch etwas angenehmer. Beim Einschlafen gebe ich mich meinen Träumen und Phantasien hin, es gelingt mir, für einen Moment die Wirklichkeit auszublenden und in meine Phantasiewelt einzutauchen. Ja, eigentlich wüsste ich sehr genau, was mir gut täte. Und dann höre ich im gleichen Moment meine innere Stimme rufen: die Umstände, die Umstände! Dann heisst es für mich, in Demut Akzeptanz zu üben - und nicht wieder die innere Unruhe über mich triumphieren zu lassen.

Sonntag, 4. Juli 2010

Vom Schreiben

Wenn ich einen Text zu schreiben beginne, weiss ich im Grunde der Dinge nicht, wohin mich die Reise jeweils hinführen wird. Natürlich beginne ich das Schreiben mit einem Grundgefühl (Angst, Trauer, Freude, wie auch immer), entsprechend gefärbt wird der Text dann auch ausfallen. Aber das effektive Endergebnis ist mir beim Auftakt des Schreibens nicht bekannt, ebenso wenig die Selbsterkenntnis, die ich aus meinen eigenen Texten allenfalls gewinnen kann - wenn es denn überhaupt eine Selbsterkenntnis gibt (was an sich Ziel des Schreibens wäre). Meine Texte können mich auch ratlos zurücklassen, aber ich bin in jedem Fall erleichtert, wenn ich meinem Drang folge und schreibe. Dies ist auch heute Morgen nicht viel anders.

Meine Tochter ist für zwei Wochen an der Ostsee mit ihrer Mama. Ich werde während dieser Zeit arbeiten und meinen Alltag so gut wie möglich gestalten. Danach werde ich Ferien machen und mit meiner Tochter nach Sils-Maria fahren. Ich habe die Absicht, dort an einer Schreibwerkstatt, die jeweils morgens unter der Leitung der Schweizer Schriftstellerin Gabrielle Alioth stattfinden wird, teilzunehmen. Einen besseren Ort kann ich mir für eine solche Tätigkeit nicht vorstellen. Meine Tochter wird in der gleichen Zeit vom hoteleigenen "Kindergarten" betreut werden, nachmittags werden wir dann zusammen wandern gehen, Spielplätze hoch in den Alpen aufsuchen, Teile des Bergells durchwandern, im Fextal nach Rehen und anderen Waldtieren Ausschau halten, Musik hören, spielen, vorlesen, malen, dem Geläut der Pferdekutschen zuhören, im wunderbar kühlen Silsersee baden...neuerdings darf sie abends mit mir auch in die Hotelbar kommen - selbst dort wimmelt es im übrigen von Kindern in ihrem Alter, auch abends :-).

In den letzten Tagen verspürte ich intensive Glücksgefühle, welche andauern. Ich geniesse dies und bin unendlich dafür dankbar, meiner Seelenverwandten begegnet zu sein.