Donnerstag, 30. August 2012

Erinnerungen, zum Beispiel an die Sonnenfelsgasse



Erinnerung und Wiederholung sind die gleiche Bewegung -
nur in entgegengesetzter Richtung.
Kierkegaard



Es gibt Momente, da verlässt mich die Gegenwart, um deren Präsenz in meinem Leben ich so bemüht bin. Und trotzdem: sie verlässt mich auf einmal ungefragt (als wollte sie mich abstrafen, doch nicht wissend, wofür) und lässt mich in vergangene Zeiten katapultieren. Und dann erinnere ich mich zum Beispiel an meine regelmässigen Flüge nach Wien. Freitagmittag, Gate A88, Flug LX 8745. Es ist ein schöner Herbsttag, ich fühle mich so verdammt frei und unbeschwert. Ich trinke einen frischen Orangensaft und warte ungeduldig auf den Abflug. Für 48 Stunden bin ich ganz weg, nichts und niemand wird mich in dieser kurzen und doch unendlich scheinenden Zeitspanne an mein Leben erinnern, das ich sonst führe. Leichtigkeit, die mich beinahe fortträgt.

Für den Samstag hat er einen Tisch bei Bauer im ersten Bezirk bestellt. Dort, wo man noch richtig und ausgiebig tafeln kann. Stundenlang. Sie zelebrieren das vorzügliche Essen mit dem dazu passenden Wein. Und am Tisch herrscht dieses intensive Gefühl absoluter Zeitlosigkeit, die einem Triumpf gleichkommt und der banalen Existenz des Alltags ein hämisches Lachen schenkt. Diesen magischen Moment verdichteter Zweisamkeit möchte er konservieren, in sich aufsaugen und immer wieder davon kosten können, vor allem dann, wenn die Banalität des Alltags ihn zwangsläufig wieder einholen wird. Doch im Lokal kommt der Gedanke an den Montag gar nicht auf. Zu intensiv ist die Gegenwart, die nur eines kennt: Unbeschwertheit. Das Abendessen schmeckt vorzüglich und lässt beide erahnen, was danach noch alles kommen mag.

Leicht beschwipst verlassen sie gegen 23 Uhr das Lokal und betreten erneut die Sonnenfelsgasse. Hier, im alten Wien, scheint es keine Zeitdiebe zu geben. Beinahe glaubt er im leichten Rausch dort hinten am Ende der Gasse dem Wolferl zu begegnen, und hört ihn schon das Vogelfängerliedchen pfeifen. Gelächter. Leichtigkeit, immer wieder Leichtigkeit des Moments. Und später, wenn sie mit der U-Bahn den ersten Bezirk längst hinter sich gelassen haben, werden sie sich die ganze Nacht lang lieben. Atemlos, gierig und mit zügellosem Appetit.

Ich erinnere mich gerne.
Nicht aus nostalgischen Gründen.
Sondern weil Erinnerung immer auch Befreiung ist.

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