Sonntag, 31. Juli 2011
Verhaltensmuster aus der Kindheit
Wenn ich mich bedrängt fühle, namentlich von Frauen, reagiere ich mit harscher Abwehr. Was ich definitiv nicht ausstehen kann sind Ultimaten im Sinne etwa von: bis dann und dann möchte ich dies oder das von dir, oder: bis dann hast du dich entschieden. Dann schalte ich auf stur, ja breche unter Umständen den Kontakt zu der mich bedrängenden Person ab. Ich bin darauf gekommen, dass dies etwas mit der zumindest streckenweise unbewältigten Beziehung zu meiner Mutter zu tun haben muss. Vermeintlich längst vergessene (und in der Tat bloss verdrängte) Erlebnisse aus der frühen Kindheit bzw. Jugend scheinen mich zu belasten bzw. lösen gewisse Verhaltensmuster in mir aus. Ich brauchte verdammt lang, um dies zu durchschauen.
Samstag, 30. Juli 2011
Erkenntnisse auf dem Balkon
Heute Abend habe ich etwas zu tief ins Glas geschaut. Betrunken bin ich nicht, aber leicht beschwipst. Die Mutter meiner Tochter und ich haben den Abend auf dem Balkon verbracht, mit Blick auf die ruhige und doch so lebendige Quartierstrasse. Auf dem Tisch: Pizza und Salat, dazu einen Sizilianer. Gespräche über Sentimentalität. Wir einigen uns darauf, dass Sentimentalität dann vorherrscht, wenn Gefühle zur objektiven, d.h. zur gültigen und unumstösslichen Wahrheit erklärt werden. Und wir kommen zum Schluss, dass im individuellen Befolgen von Moral auch viel Unmoralisches vorhanden sein kann.
Und immer wieder schallendes Gelächter.
Nun bin ich wieder zu Hause, die Tochter schläft heute bei der Mama, weil es dort einen lustigen DVD-Film zu sehen gibt. Nun gut, ich muss noch arbeiten und bügeln und lesen. Stimmung: ausgelassen, umrahmt von einer tragenden Sehnsucht. Zum Bügeln brauche ich Musik, die mich antreibt. Ich glaube, fündig geworden zu sein.
Ehe und Alltag

(...) da lebt ihr wieder im Alltag, der nämlich die Wahrheit ist, mit Pyjama und Zahnbürste im schaumigen Mund vor dem anderen, mit musealer Nacktheit im Bad (...). Ihr kennt eure Körper, wie man seine Möbel kennt, und da geht ihr zu Bett (...). Da hat die Ehe euch wieder, und ihr gebt euch einen Kuss, der wie ein Punkt ist (...). Ihr sehnt euch nicht nach einander, denn ihr seid ja da, ihr sehnt euch über einander hinaus, aber gemeinsam. Ihr sprecht von einer Reise im Herbst, einer gemeinsamen, ihr sehnt euch plötzlich nach einem Land, das es übrigens gibt, ihr braucht nur hinzufahren im Herbst. Niemand wird euch hindern daran, ihr braucht keine Strickleiter, um euch zu küssen, und kein Versteck, und da ist keine Nachtigall und keine Lerche, die zum Jetzt und Aufbruch mahnt (...). Vergangenheit ist kein Geheimnis mehr, die Gegenwart ist dünn, weil sie abgetragen wird von Tag zu Tag, und die Zukunft heisst altern...
Max Frisch, mein Name sei Gantenbein, Werkausgabe, Surhkamp 1976, S. 136/37.
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Dieser Text vermag in mir grosses Unbehagen auszulösen. Er stellt, wenn auch überspitzt, ein Leben dar, das jeglichen Glauben an das Lebendige und an das Gestaltbare verloren hat. Die Bilder, die transportiert werden, sind beklemmend. Ein Paar hat sich arrangiert und spult das Leben nur noch ab, gewissermassen nach einem Drehbuch, an das sich beide halten. Selbst der gemeinsame Urlaub ist längst entzaubert und bloss die Fortsetzung des gemeinsamen Alltags mit anderen Mitteln. Jeder spielt jene Rolle, die von ihm stillschweigend erwartet wird. Ein Kuss, der wie ein Punkt ist: so küssen sich alte Kumpels, aber nicht Liebende. Doch man bleibt trotzdem zusammen, weil man weiss, was man hat: Kontinuität im leblosen Zustand (museale Nacktheit) als Alternative zum Lebendigen und damit auch zum Wagnis.
Das Leben wird nur noch verwaltet. Eigentlich wird hier, und ich meine dies nicht zynisch, das Warten im Altersheim geschildert: ein blosses Warten auf den sicheren Tod (und die Zukunft heisst altern).
Ruxandra Donose

Ich liebe ihre warme Stimme und ihre Ausdruckskraft.
Ich kann mich nicht satt hören, da Balsam für meine Ohren. Heute Abend wird sie mich sanft in den Schlaf wiegen.
Zu später Stunde
Mitternacht. Die Stadt schläft bereits, jedenfalls höre ich weit und breit nichts, nur von Ferne die vorbeifahrenden (Güter)züge. Die Luft angenehm frisch. Kein Lichtermeer ist zu sehen, gut so, wir sind hier nicht in New York. Es kommt vor, dass ich in solchen Momenten der Ruhe spätabends gerne bei einem Gläschen Kirsch über die vergangenen Tage bzw. Wochen nachdenke: was war gut, was war weniger gut? Gab es Situationen, die ich als mühsam bzw. als schön empfand, und warum? Was hätte ich besser tun können, wo habe ich versagt? Nicht immer habe ich Antworten auf meine Fragen. Oft zögere ich mit Bewertungen. Ich kann in meinen Gedanken bei Details verharren oder mich in Tagträumereien verlieren. Eine Marotte von mir ist, gewisse Erlebnisse immer wieder Revue passieren zu lassen, zum Beispiel einen schönen Nachmittag in Zweisamkeit. So sehe ich mich etwa auf der Sitzbank warten auf dem grossen Platz im Zentrum der Stadt, Samstag, 1230 Uhr, so lautete unsere Abmachung. In solchen Momenten des Innehaltens verspüre ich nicht selten eine melancholische Stimmung, die Wehmut aufkommen lässt. Auch der feine Kirsch vermag in dieser Situation (gottlob) keinen Trost zu spenden.
Freitag, 29. Juli 2011
Die blaue Truhe im Keller

Heute Morgen habe ich sie mit Ehrfurcht geöffnet. Langsam sichte ich das Material, sortiere es und beginne die diversen Briefe, Tagebucheinträge etc. aufmerksam zu lesen und die alten Fotos zu bestaunen. Das Material ist in erstaunlich guter Qualität, die Briefe bzw. Fotos kaum vergilbt. Wie eine Faust schlägt mir die Vergangenheit mit voller Wucht entgegen. Mit staunenden Augen gehe ich einen kleinen Teil des Lebens meines Vaters durch und nehme von seinen diversen Lebensstationen Kenntnis: mein Vater als Artillerieangehöriger im Militärdienst an der Grenze (1943-45), mein Vater mit mir nicht bekannten Leuten in der Kronenhalle in Zürich am Feiern (die alte Speisekarte einschl. der Rechnung liegen bei), mein Vater als kleines Kind, als junger Liebhaber oder Ehemann, mein Vater in der Badehose am Meer, mein Vater als Kaufmann, mein Vater in seinem schnellen Auto. Dann: alte Briefe, geschrieben von seinen Söhnen aus erster Ehe, lieber Papa, wir haben dich gern oder: danke für das schöne Geschenk, wann sehen wir uns wieder? Ich gehe das Material immer wieder durch, dabei denke ich mir Geschichten aus, wie es denn hätte sein können, damals im Militärdienst, damals im Zürich der frühen 50er Jahre, damals am Meer, damals in der Stadtwohnung in Zürich. Mein Vater muss bereits als junger Mann gut verdient haben, das verraten seine Kleider auf den Bildern, die diversen Rechnungen von Restaurants, Hotels und dergleichen mehr, die Aufnahmen aus der damaligen (ersten?) Wohnung, da ist wenig Kleinbürgerliches zu spüren. Mein Vater hatte seine Ausgaben, zumindest eine Zeit lang, minutiös protokolliert, selbst Ausgaben für Briefmarken und Gespräche aus der Telefonzelle wurden vermerkt: Ausdruck von Pedanterie oder von zwinglianischer Tugend. Ich kann mich von diesem historischen Material kaum lösen, gierig gehe ich es als Sohn (also emotional) und als Historiker (mit dem Versuch, Distanz und damit Objektivität einzunehmen) immer wieder durch, lese die alten Zeitungsausschnitte, nehme von dieser oder jener Notiz Kenntnis. Und ich ertappe mich dabei, wie ich mir immer wieder Geschichten ausmale, wie es denn hätte sein können. Alltagsgeschichte (nahe stehender Menschen) als Ausgangspunkt für allerlei Phantasien und Projektionsflächen.
Später stösst meine Tochter dazu und bestaunt mit grossen Augen das vorhandene Material. Ja, sage ich ihr, so war es damals, glaube ich.
Donnerstag, 28. Juli 2011
Das Kopfkissen teilen

das Kopfkissen mit dir zu teilen.
Deinen Kopf auf meiner Brust zu spüren,
Deinen Atem wahrzunehmen,
Dich sanft zu streicheln.
Dir flüsternd eine Geschichte zu erzählen.
Die Ruhe in uns und um uns zu geniessen.
Das beredte Schweigen zu geniessen.
Einfach zu sein.
Das Glück ist eine leichte Dirne
Manfred H, Karl-Liebknecht-Strasse, Berlin
Ich stelle mir vor:
Er kann nicht schlafen, einmal mehr. Die Uhr zeigt 0350 Uhr. Je mehr er versucht, gegen die Schlaflosigkeit anzurennen, umso mehr wird sie ihn necken. Er wälzt sich hin und her. Was tun? Aufstehen und Tee trinken? Er bleibt liegen und denkt sich eine Geschichte aus, hütet sich aber davor, immer wieder denselben Traum durchzugehen, oder nochmals die Gassen und Strassen in Erinnerung zu rufen, die er kürzlich gegangen ist: nein, er will jetzt nicht an den See denken, an den grünen Park, nichts dergleichen (weil er sich vor nächtlichen Tränen fürchtet). Stattdessen fällt ihm Manfred ein:
Manfred H. war ein Jugendfreud von ihm. Damals, als er Student war, war Manfred rund doppelt so alt wie er. Überzeugter Kommunist, wohnhaft in Berlin-Ost, Karl-Liebknecht-Strasse, vom Wohnzimmer aus mit direktem Blick auf den Alexanderplatz. Manfred arbeitete bei den städtischen Behörden und war, zumindest offiziell, für Städteplanung zuständig. So viel er weiss, war Manfred Mitglied der SED, wahrscheinlich aus Überzeugung. Als er Manfred jeweils besuchte, überliess er ihm seine kleine Wohnung, Manfred hauste in dieser Zeit bei seiner Lebenspartnerin Hannah, Ärztin an der Charité. Punkt 0700 Uhr tauchte Manfred wieder auf und weckte ihn stets mit den Worten: guten Morgen Peter. Ich habe dir das Neue Deutschland mitgebracht, dazu Brötchen und Schinken. Und Marmelade. Wünsche Dir einen guten Tag, bis heute Abend. Und schon war er wieder verschwunden. Tagsüber dann schlenderte er durch Ost-Berlin, nein: durch die Hauptstadt der DDR, Ost-Berlin war ein Schimpfwort für Manfred, er achtete also darauf, in seiner Gegenwart nicht von Ost-Berlin zu sprechen. Abends dann mit Manfred unterwegs, entweder im Palast der Republik oder zur letzten Instanz. Eisbein und Bier. Und Vitaminsalat, er musste über diese Bezeichnung immer schmunzeln. Manfred war ein ernster Mensch, gerne dozierte er über den Sozialismus, über Planwirtschaft und natürlich auch über die Mauer, die für ihn ein notwendiges Übel darstellte. Er hörte ihm gerne zu, widersprach da und dort, was Manfred umso mehr in Fahrt kommen liess. Er versuchte, Manfred mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, schleuderte ihm Marx-Zitate um den Kopf, um ihn in Widersprüche zu verwickeln. Doch Manfred war ein harter Knochen, belesen und stur und nicht empfänglich für sozialdemokratisches Gedankengut. In der Nacht, als dann die Mauer fiel, rief er ihm an: Mensch Manfred, die Mauer ist offen! Ach so, meinte er trocken, ich weiss von nichts. Seine Welt brach an jenem Abend jäh zusammen. Er glaubte an ein besseres Deutschland, auch dann, als es längst offensichtlich war, dass es kein besseres Deutschland war. Im Verlaufe der 90er Jahre verlor er Manfred aus den Augen, er weiss nicht, was aus ihm geworden ist. Wenn er jeweils in Berlin ist, zögert er immer wieder, ihm anzurufen. Lebt Manfred überhaupt noch? Jedenfalls wohnt er nicht mehr an der Karl-Liebknecht-Strasse, das hat er in Erfahrung gebracht. Eigentlich wäre es schön und spannend, mit Manfred all die vergangenen Jahre Reue passieren zu lassen. Bestimmt hätten sie sich einiges zu erzählen, wie es denn damals war.
Mit diesen Bildern im Kopf schläft er ein.
Morgens wacht er auf und denkt über seine wirren Träume dieser Nacht nach.
Schlaflose Nächte sind anstregend. Irgendwie muss man sie überbrücken.
Am besten mit alten verjährten Geschichten.
Mittwoch, 27. Juli 2011
Innere Leere
Es gibt Momente, da spüre ich nur noch eine innere Leere. So wie jetzt. Ich hatte durchaus einen guten Tag, ich konnte lachen, herumspringen, fröhlich sein, und heute Abend erwartet mich ein einfaches, aber leckeres Essen bei einem kühlen Weissen. Dennoch erfasst mich zeitweise diese sonderbare Leere, gegen die ich mich gar nicht mehr wehre, da dies ein sinnloses Unterfangen wäre. Sie stimmt mich nicht traurig, sondern verursacht in mir vielmehr eine gewisse Teilnahmslosigkeit: ich bin dann einfach nur da, ich existiere, einer Pflanze gleich, ohne Emotionen, Träume oder Hoffnungen. Und damit grundsätzlich auch ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, verletzt zu werden - zumindest für einen Moment.
Kein Schlaf
Eigentlich wollte ich heute Abend nicht zu spät ins Bett. Nun ist es bald halb zwei: halb wach und doch müde. Unschlüssig, was tun. Stille umgibt mich, und dennoch von innerer Unruhe angetrieben. Noch etwas Randy Newman hören, dann ab in die Feder. Möge der Schlaf gnädig mit mir sein und mich bald heimsuchen.
Dienstag, 26. Juli 2011
Der Anschlag in Oslo
Ich denke an das Massaker von Oslo. Und ich denke über den Attentäter nach, der als verrückter Einzeltäter geschildert wird.
Je länger ich darüber nachdenke, umso zorniger werde ich auf jene, die mit ihren kalkulierten Hasstiraden, ihren kruden Verschwörungstheorien und ihrem Fanatismus den Humus für diese Tat gelegt haben. Ich denke dabei in erster Linie an Geert Wilders, dem Rechtsextremisten aus Holland, der in heuchlerischen Dementis jeglichen Zusammenhang zwischen ihm und dem Attentäter abstreitet.
Wo Figuren wie Geert Wilders (welche es überall in Europa gibt) täglich hetzen, sind Figuren wie Breivik nicht weit weg und bereit, irgendwann und irgendwo "zur Tat" zu schreiten. Eine beängstigende Vorstellung.
Fragt sich bloss: wann werden die geistigen Brandstifter gestoppt?
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