Texte können abstossend wirken, andere wiederum können Nähe und Geborgenheit zum Ausdruck bringen. Texte können sehr stark wirken und direkt das Herz und die Seele berühren. Texte uns unbekannter Personen können, wenn sie unsere ureigenen Gefühls- und Gedankenwelten aufnehmen, weiterspinnen, aus einer anderen Perspektive beleuchten, wie ein Blitz einschlagen, plötzlich, ja buchstäblich über Nacht ergreift uns ein Zauber, den wir uns schlicht nicht erklären können und den wir am Liebsten nie wieder loslassen möchten. Werden dann später, aufgrund des offenkundig gegenseitigen brennenden Interesses, auch noch Bilder der eigenen Person ausgetauscht, ferner Skizzen von Lebenswegen, Überlegungen zu diesem oder jenem, und wird bei all dem immer mehr und immer intensiver ein Gefühl des Vertrauten ausgelöst, spätestens dann stehen Fragen im Raum. Doch vielleicht will der Mensch zu sehr bewerten, analysieren, ordnen, sagen, was ist und was nicht.
Heute Nachmittag lese ich die Entwürfe zu einem dritten Tagebuch von Max Frisch, während die Tochter allerlei bastelt. Ich habe eine berührende Stelle gefunden, mitten aus dem Leben gegriffen, schlicht, unspektakulär und voller Zärtlichkeit.
Ich kann vollkommen glücklich sein.
SILS-MARIA:
wenn wir an dem See sitzen, wo Nietzsche seinen Zarathustra gehört hat, und wenn die Gebirge dunkler sind als der abendliche See, der, wo kein Wind ihn kräuselt, ihre Silhouette spiegelt, und wenn es nichts zu sagen gibt; wenn wir um Mittag auf dem glitzernden Firn stapfen und einander mit Schneebällen beschiessen, wenn sie das Picnic ausbreitet auf einem Stein und wenn ich dazu eine Flasche Fendant entkorke, wenn sie hundert Schritte vor mir wandert, als gehörten wir nicht zusammen, und wenn sie vor sich hin singt, bis sie plötzlich wartet (...), wenn wir abermals an dem See sitzen und wenn sie weiter und weiter liest (...), und wenn ich auf einem moosigen Fels hocke und irgendeine Zeitung lese oder mich für die Rinde verschiedener Bäume interessiere (wie Rinden sich anfühlen, wenn man sie in der Hand zermürbt), bis ich nach Stunden in der Ferne zwei Pferde erkenne; wenn sie zwischen den Lärchen zurückkommt im Trab, ihr geknotetes Haar hat sich inzwischen aufgelöst und weht offen (S. 112).
Ja, Peter, eine wundervolle Textstelle...
AntwortenLöschenDu bist ein sehr emotionaler Mensch...schön;-)
herzlich, Rachel