Freitag, 10. Mai 2013

...wie ein Zuviel an Sonne

Ich bin mittlerweile auf Seite 440 angekommen in jenem Buch, das die Liebe in groben Zügen behandelt. Meine Zwischenbilanz: das Buch fällt nicht ab, im Gegenteil, das fein ausgelegte Netz gegenseitiger Abhängigkeiten wird immer sichtbarer. Vila und Renz, das Paar, das sich, so scheint es, nicht mehr viel zu sagen hat, geht konsequent "fremd", er macht es nicht einmal heimlich bzw. bemüht sich kaum, es unter dem Deckel zu behalten, sie aber macht aus ihren gelegentlichen Affären ein Geheimnis (oder Renz sieht es einfach nicht, weil er sich das von seiner Frau gar nicht vorstellen kann), auch jetzt, da sie Bühl kennengelernt hat, jenen Mann, der das gemeinsame Ferienhaus des Ehepaars in dessen Abwesenheit hegt und pflegt und ein etwas komischer Kauz ist. Und sie liebt ihn, so scheint es und so glaubt sie es auch, anders als ihre bisherigen Seitensprünge, weil diese eher als Rache gedacht waren, um es ihrem Mann heimzuzahlen. Und so sehnt sie sich nach Bühl (immer wieder Bühl!) und schafft es doch nicht, ihrem Mann klaren Wein einzuschenken, stattdessen wirft sie ihm seine bisherigen Affären wie auch seine aktuelle Affäre mit einer krebskranken Frau, die nicht mehr lange zu leben hat, vor. Auf einer längeren Autofahrt mitten durch die Schweiz dann ihre Erkenntnis, dass sie Renz auf ihre Art doch liebt, Renz als ihre Rüstung, Renz als Voraussetzung, dass sie sich fallen und gehen lassen kann. Und dann die alles durchflutende Erkenntnis, dass Renz ihr Netz ist, weil "Bühl minus Renz ihr zu viel werden könnte wie ein Zuviel an Sonne" (S. 436). Dieser wie beiläufig notierte Satz hat mich gerüttelt. Vila und Renz: da ist einfach zu viel an Wurzeln vorhanden, zu viel an gemeinsamer Geschichte, zu viel an gemeinsamen Momenten nachts in der Küche, als sie beide einen Prosecco zusammen trinken, sich zwar gegenseitig Vorwürfe machen, mal verbal, dann nonverbal, und doch lachen sie gemeinsam, wenn auch die Grenze zum Komischen und Tragischen fliessend ist. Die Bäume bzw. deren Wurzeln sind mehrfach und untrennbar ineinander verkeilt, von aussen nicht sichtbar, eine Symbiose, aus der es kein Entrinnen gibt, nur kleine sachte Nebenwurzeln, die der Hauptwurzel entspringen, aber letztlich von ihr abhängig bleiben und somit aus sich selbst heraus nicht überlebensfähig sind, sind sichtbar und doch dem Leben abgewandt.

"...Bühl minus Renz ihr zu viel werden könnte wie ein Zuviel an Sonne"...
so wie sie -wer das auch immer sein mag- ihr Handy bewusst nicht ausschaltet, wenn sie fremdgeht, weil das Handy die Verbindung sicherstellt zu ihrer Rüstung, die sich in Form ihres Ehemanns auch prompt meldet und wie beiläufig fragt, wo sie jetzt gerade sei, und sie, während sie das pralle Leben ihres Liebhabers in ihrer rechten Hand hält und massiert, bloss etwas stammelt wie ach unterwegs, soll ich das Abendbrot besorgen?, und dann wie erschlagen da sitzt und nicht weiss, ob das, was sie tut, sich richtig oder falsch anfühlt und kampflos das Liebes- bzw. Abenteuernest auf Zeit räumt. Die allumfassende Wurzel kann sich tief eingraben, uns besetzen, so dass es kein Entrinnen mehr gibt, nur -oder immerhin- kleinere Fluchten zulässt, so wie ein Baum kurz vor seinem Sterben noch Angsttriebe erblühen lässt - was für ein schöner, trauriger Anblick, einer Agonie gleich, die im Angesicht des Todes noch kurz rebelliert und all jenes noch zum Blühen bringen will, das ein Leben lang tief in ihm schlummerte.

2 Kommentare:

  1. Und wenn man das Netz als Chance sieht, die Verletzungen unterlässt, offen wird für neue Möglichkeiten, andere Sichtweisen und letztlich eine andere Form des Weges, dann können Bühl + Renz sich ergänzen. Dann gibt es kein erschlagenes Gefühl mehr, kein stammeln sondern pures, sattes Leben mit viel Gefühl.

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    1. Verlangt aber Kraft, Ehrlichkeit und Offenheit von beiden Seiten....und das ist die Krux an der ganzen Sache. Bin da erst kürzlich schmerzhaft verletzt worden.

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