Mittwoch, 27. Februar 2013

Natascha Kampusch

Ich habe mich mit der kafkaesken Geschichte von Natascha Kampusch nur selektiv beschäftigt. Ihr Buch habe ich nicht systematisch durchgearbeitet, nur auszugsweise dieses oder jenes Kapitel gelesen. Extremsituationen -welcher Art auch immer- haben mich seit je interessiert, vor allem aus dem Blickwinkel des Historikers. 

Was Natascha Kampusch erlebte, ist ja eine an sich ungeheuerliche Geschichte, die für Aussenstehende in ihrer Dimension und Tragweite schlicht nicht erfasst werden kann. Dass ihre Geschichte verfilmt würde, war abzusehen, zu sehr ist der Stoff "filmreif". Dass Kampusch den Film - "ihren" Film (?) - "freigegeben" hat (ohne ihn offenbar formell autorisiert zu haben), nehme ich zur Kenntnis. Was wird die Menschen dazu bewegen, den Film zu sehen? Ich gehe mal davon aus, dass er ein Kassenschlager wird, der nicht davon gefeit ist, mitunter auch Altherrenphantasien zu bedienen. Kampusch selbst hat in ihrem Buch zwangsläufig "das Thema" ansprechen müssen und blieb dabei, wer würde es ihr verübeln wollen, im Nebulösen. Er hätte nur kuscheln wollen und sei manchmal zu ihr ins Bett "geschlüpft" - mehr wollte sie in ihrem Buch dazu nicht schreiben, auch später in Interviews gab sie sich zugeknöpft und wollte so das Intimste nicht preisgeben (was absolut nachvollziehbar ist) - und heizte damit, gewiss ungewollt, umso mehr Spekulationen an, die von einschlägigen Erzeugnissen bewusst geputscht wurden nach dem Motto "verschleppt und missbraucht" - was in der Sache selbst zutreffend ist, aber in seiner Tonalität und medialen Inszenierung andere Motive verfolgt. Anders gesagt: sie konnte es nur falsch machen. 

Die Gier des Publikums -zumindest eines Teils davon- nach Sensationen liess die Filmemacher ganz offensichtlich kapitulieren, und ihr Produkt, man musste es ahnen, kommt ohne Sexszenen nicht aus, subtil gedreht, wie ich höre (und was immer dies bedeuten mag) und "nur angedeutet". Kampusch habe auch gegen diese Szenen nichts einzuwenden gehabt. Was hätte sie denn auch tun sollen? Sie steckt in der medialen und kommerziellen Falle und musste wohl oder übel mitmarschieren. Ein "Nein" von ihr hätte bloss nur die gierige und schlüpfrige Frage provoziert: wie war es dann?

Ich bin einigermassen ratlos ob diesem sich abzeichnenden Rummel. Ich sehe schon die langen Warteschlangen vor den Eingängen der Kinos. Gehe ich zu weit, wenn ich hier einen akuten Voyeurismus, der die unterschiedlichsten Schichten menschlicher Regungen bedient bzw. bedienen will, orte? Ich will den Film nicht auf diese Aspekte reduzieren, ich spreche von der möglichen Wahrnehmung bzw. den heterogenen und durchaus widersprüchlichen Erwartungen des Publikums und nicht in erster Linie von der Absicht der Filmemacher. Diese dürften aber gewiss nicht nur hehre Motive auf ihre Fahnen geschrieben haben. 

7 Kommentare:

  1. mir gehts da ähnlich wie dir. Ich habe die ganze Sache nur am Rande verfolgt.Ich weiß nur nicht, was die Verfilmung soll. Ich frag mich: Muss ich das sehen? Sowohl als "Opfer" als auch als Außenstehender. Es ist eine Situation, die niemand erleben will, die man niemandem wünscht. Sie selbst wollte es verarbeiten, sie hat ein Buch geschrieben usw. ich Glaube, diese Filmsache ist beinahe Zwang der Medien. Die Menschen wollen heutzutage soetwas sehen, obwohl es genug schreckliche Dinge auch real zu sehen gibt, finde ich.

    Ich werde, sofern möglich, bald einen Text über Hoffnung und Nihilismus schreiben. Die Idee finde ich klasse. Hoffe, ich kann sie bald umsetzen.

    Nachtzug nach Lissabon kenne ich nicht. Aber wegen der Empfehlung (und der äußerst interessanten Inhaltsangabe) steht es auf meiner Bücherliste. Heute habe ich gesehen, dass es sogar jetzt eine Verfilmung gibt, aber in guter alter Manier, muss ich natürlich erst das Buch gelesen haben.

    Alles Gute.
    Denise.

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    1. Liebe Denise, Danke für die lieben Zeilen!
      - ich freue mich auf Deinen Text, bin gespannt!
      - und den Nachtzug nach Lissabon darfst Du keinesfall verpassen! Und ja: zuerst das Buch!

      Herzlich
      P

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  2. lieber peter,
    mit diesem post sprichst du ein thema an, das auch ich im moment zum teil schockiert verfolge.
    schockierend ist für mich vor allem der unverhohlene hass, mit dem die österreichische öffentlichkeit dieser jungen frau inzwischen begegnet. da wird ihr vorgeworfen, etwas zu verheimlichen, nur, weil sie die demütigung, die ihr geschehen ist, nicht vor einem geifernden publikum preisgeben will. sogar eine gewisse mitschuld wird ihr vom sensationsgeilen mob vorgeworfen.
    ich denke, dass dieser film eine art kapitulation von ihr ist, ein versuch, geradezurücken und trotzdem eine gewisse kontrolle über das bild, das man sich von ihr macht, zu behalten. und ich kann auch gut verstehen, warum nach all der ohnmacht, dieses gefühl der kontrolle so wichtig für frau kampusch ist.
    ob es der richtige weg ist, weiß ich nicht.
    den film werde ich auf alle fälle nicht sehen, genauso wie ich das buch nicht gelesen habe - ich hätte das gefühl, an der fortsetzung ihres missbrauchs durch die medien und die öffentlichkeit teilzuhaben.
    ich glaube auch nicht, dass der film ein kassenschlager wird - trotz aller zugeständnisse ist er nicht das, was der mob sich wünscht: ein seelenstriptease bis zur letzten konsequenz.
    ich wünschr dieser mutigen und starken frau alles gute und wünsche ihr, dass sie für sich die richtigen entscheidungen treffen und das erlebte zumindest bis zu einer gewissen erträglichkeit in ruhe und abseits jeder bedrängung durch die medien verarbeiten kann.

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  3. Das sie in die mediale Öffentlichkeit gezerrt wurde, war der erste große Fehler für sie, denn so wird sie die Opferrolle nach Außen nie wieder los. Die wenigstens werden, wenn sie ihren Namen hören, nicht aufschauen, nicht fragend schauen und sie nicht als Opfer – das ja schon irgendwie seltsam ist und sich hätte wehren können – sehen.
    Das sie das Buch geschrieben hat, naja es gibt einige die ein Buch in dieser Richtung geschrieben haben, allerdings unter einem Pseudonym um eben nicht direkt damit in Verbindung gebracht zu werden. Ob es ihr selber außer evtl. finanziellem Erfolg etwas bringt, ich bezweifel es.
    Der Film: Ich werde ihn sicher nicht anschauen, aber letztlich gibt es über so viele reale Geschehen Filme die auf wahren Begebenheiten beruhen…Was sie letztlich empfunden hat, was abgelaufen ist, das sie in gewissen Momenten auch ein positives Gefühl für den Täter hatte, alles menschlich, normal und gehört zum Überlebenswillen. Ich hätte Skrupel so einen Film zu drehen, aus Angst die Vorlage für den nächsten zu liefern.
    Zudem bin ich mir sicher, dass wenige bis gar keine Missbrauchsopfer, aufgrund der Geschichte von ihr, den Weg der Anzeige gehen werden, wenn sie bisher dazu geschwiegen haben. Denn zu der Scham als solches kommt dann noch die Angst vor der medialen Meute, die Angst vor Schuldzuweisungen und zudem die Angst am Ende alleine zu stehen, denn auch Freunde, Verwandte und Angehörige können mit dieser Gefühlswelt meist nicht umgehen. Sie selber wird ihr Leben lang immer wieder hervorgezogen werden, Was macht „N.K. 10 Jahre danach“? „Heute ist N.K. seit 15 Jahren in Freiheit“… und wenn die Sommerflaute der Medien richtig übel ist, wird irgendein Journalienheini auch nicht vor „N.K und ihr Sexleben 20 Jahre danach“ zurück schrecken..

    Ruhe finden und mit sich selbst ins reine kommen wird für sie schwer werden.

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  4. Goldi sagt es.
    Ich kann mir gut vorstellen, in welcher Ausweglosigkeit sie sich befunden haben mag, wie sie auf (falsche) Berater gehört haben mag, die ihr zum Gang in die Öffentlichkeit rieten - immerhin hat sie die Zeit des Lebens, die man normalerweise mit einer Ausbildung verbindet in ihrem Gefängnis verbracht.
    Dass ein Gang in die Öffentlichkeit gnadenlos sein würde, diese Öffentlichkeit nach absoluter (!) Öffentlichkeit gieren würde und keinen Raum mehr für privates lassen würde war abzusehen, N.K. aber sicher nicht bewusst.
    In mir kommen dort Gedanken über den mangelnden Respekt gegenüber Mitmenschen. Muss es ein Schwarz-Weiss geben? Kann es nicht trotz Öffentlichkeit Bereiche geben, über die man nicht sprechen mag?

    Darüber hinaus fand ich die Geschichte dramatisch und finde auch die Geschichte der N.K. in der Gegenwart dramatisch. Wie mag sie sich dabei fühlen, auf die Zeit ihrer Gefangenschaft reduziert zu werden? Macht sie das wirklich freiwillig so mit?
    Allerdings gestehe ich: Ich verschliesse vor der Präsentation dieser Geschichte die Augen. Sowohl Buch als auch Film werden keine Einblicke in ihre persönliche Tragödie gewähren - und ich will auch gar keinen Einblick in ihre Tragödie bekommen. Die Präsentation, sowohl Buch als auch Film, kann schliesslich nur dazu dienen, die Sensationsgeilheit einer voyeuristischen Masse zu bedienen. Da mag ich nicht mitmachen.

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  5. Der ORF macht mit diesem Opfer sehr, sehr viel Geld.
    Der Chefermittler, der der Zweitätertheorie nachging, und damit bei den Staatsanwälten aneckte, sollte auf einmal Selbstmord begangen haben? Einmal gab es Schmauchspuren, dann wieder nicht?
    E.H. war stundenlang mit dem Täter unterwegs, bevor der sich umgebracht hat und das Polizei-Unfallkommando hat nicht die Körpertemperatur der Leiche am Bahndamm gemessen?!

    Ich finde es gut, dass der Fall noch nicht abgeschlossen ist.

    Von NK wird man nicht mehr erfahren. Dass sie die tausenden Tag NICHT im Keller verbracht hat wird inzwischen wohl keiner mehr abstreiten. Auf den Fotos im Keller, die als Beweis dienen, sind mal Dinge zu sehen, dann wieder nicht. Es gibt offenbar Leute in diesem Land, die ein großes Interesse daran haben, dass die Geschichte, so wie NK sie verkauft hat (das hat sie schließlich) weiterhin "steht". Zig Staatsanwaltschaften wurde der Fall entzogen, weil sie alle irgendwie befangen waren. Entsetzlich! Der Ermittler Kröll wurde angewiesen, die Nachforschungen zu beenden, die auch Richtung EH gingen. Warum erhält ein Ermittler die Anweisung, nicht mehr weiterzuforschen?
    Es ist leider auf Polzie und Staatsanwaltschaftsseite so vieles offen geblieben. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu sehen, dass die Ermittlungen unsauber waren und es Interessen dahinter gegeben hat. So große Interessen, dass der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs, der seine berechtigten Zweifel äußerte, für dumm und deppert erklärt wurde. So dumm kann er nicht gewesen sein, wenn inzwischen das FBI zu Hilfe gezogen wurde, die Vertuschungen aufzudecken.

    NK flüchtete mit 18. Inzwischen ist das wohl auch allen klar, dass sie verhindern wollte, dass sie zur Mutter zurückkommt, die den Täter kannte.

    Ich könnte noch endlos fortfahren ....

    @lautenist:
    NK hätte nicht an die Medien gehen müssen. Elisabeth Fritzl z.B. ging einen anderen Weg. Einen, wo sie ihr Leben so weit das mögich ist bestimmt und nicht erkannt wird.
    Darum tut mir NK in der Rolle, die sie heute ausfüllt nicht leid. Du weißt, dass NK ziemlich unmittelbar nach der Flucht eine TALKSHOW moderierte?!!!

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  6. Ich habe den Film gestern gesehen. Wie es mir im Kino - und danach - ergangen ist, habe ich in meinem Blog ausführlich beschrieben. Und natürlich treiben auch mich die in den obigen Kommentaren beschriebene Ambivalenzen und das Unbehagen um, umso mehr als ich in der Vergangenheit fiktive literarische Variationen dieses so erschreckend realen Geschehens entwickelt habe.

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