Donnerstag, 20. Dezember 2012

Sich selber lesen

Indem man es nicht verschweigt, sondern aufschreibt, bekennt man sich zu seinem Denken, das bestenfalls für den Augenblick und für den Standort stimmt, da es sich erzeugt. Man rechnet nicht mit der Hoffnung, dass man übermorgen, wenn man das Gegenteil denkt, klüger sei. Man ist, was man ist. Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. Schreiben heisst, sich selber lesen.
Max Frisch, Tagebuch 1946-49

5 Kommentare:

  1. Du hast ein besonderes Faible für Max Frisch, nicht wahr?

    Ich muss aber gestehen, dass ich mich in seinen Worten oftmals treffend wiedererkenne.

    Einen lieben Gruß von der,
    die im Schatten tanzt

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    1. Ja, so ist es. Ich lese sein Werk kreuz und quer, mal dies, mal das. Und ich entdecke dabei immer wieder Neues, Überraschendes...sei gegrüsst, liebe Schattentänzerin - wirst Du einmal jenseits des Schattens Deine Runden drehen? Ich mag den Schatten übrigens, weil er auch Schutz bietet, und in einem gewissen Sinn auch Halt.
      Alles Liebe. P.

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    2. In gewisser Weise bin ich ja schon aus dem Schatten herausgetreten, indem ich mich von meinem früheren Partner getrennt habe. Dadurch haben sich viele Heimlichkeiten in Luft aufgelöst. Die Reflexion meiner erotischen Neigung freilich muss und soll weiter im Schatten stattfinden.

      Wobei sich mir gerade die Frage stellt: Was hieße es denn für dich, wenn ich jenseits des Schattens meine Runden drehen würde? Was genau wäre dann anders? Sind wir hier im Netz nicht alle mehr oder weniger Schattentänzerinnen und -tänzer?

      Alles Liebe,
      Schattentänzerin

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    3. Es war eine rhetorische Frage, weil wir alle -oder doch sehr viele- aus dem Schatten heraus agieren, uns bedeckt halten, eine andere Identität annehmen...aus dem Schatten heraus kann ich meine ehrlichen Runden drehen, ohne mich dabei outen zu müssen. Darum mag ich ihn ja, den Schatten.
      Alles Liebe auch Dir! Deine Beiträge lese ich übrigens immer mit Genuss und Gewinn.
      Peter

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