Mittwoch, 23. Mai 2012

In der mütterlichen Wohnung

Ich stelle mir vor:

Seine alte Mutter musste notfallmässig ins Spital eingeliefert werden. Wenige Tage später musste er in die mütterliche Wohnung gehen, um einige Dokumente zusammenzusuchen und Kleider für seine Mutter zu holen. Beim Betreten der Wohnung beschleicht ihn ein sonderbares Gefühl der Leere und der Angst. Seit Tagen abgestandene Luft kommt ihm entgegen und lässt ihn husten. Die Wohnung selbst ist völlig abgedunkelt, was ihn deprimiert. Nun steht er mittendrin. Sein Blick wandert durch das behaglich eingerichtete Wohnzimmer. Aufgeräumt sieht es aus, und doch herrscht eine gewisse Unordnung. Die Wohnung ist mit Möbeln überstellt, alte Rechnungen liegen herum, da und dort eine Puppe, viele Bilder. In diesem Augenblick kommt es ihm vor, als stünde die Zeit still. In der Küche liegt eine ungereinigte Pfanne herum, vermutlich hat seine Mutter kurz vor der Spitaleinlieferung noch ein Spiegelei zubereitet. Der Abfallsack sollte unbedingt entsorgt werden. Er geht zurück ins Wohnzimmer, dann ins Bad, später ins Schlafzimmer und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. In der Wohnung nimmt er nach wie vor keinerlei Zeitgefühl wahr, und ihm wird kalt. Oftmals war er hier zu Besuch, und nun ist sie plötzlich unbewohnt, diese Wohnung, die so sehr Sonnenlicht benötigen würde und frische Luft. Und er ahnt bzw. weiss sehr wohl, dass er irgendwann diese Wohnung wird räumen müssen. Er wird dannzumal nicht darum herum kommen, alles durchzugehen, Dokumente zu ordnen, dieses und jenes zu verpacken, anderes zu entsorgen usw. Er mag nicht an diesen Moment denken, vielmehr verspürt er das Bedürfnis, die leere Wohnung rasch wieder zu verlassen in der Hoffnung, dass sie bald wieder von ihrer  langjährigen Mieterin bewohnt wird. 

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