Montag, 4. Juli 2011

Schlaflos

Wahrheit kann man nicht beschreiben
nur erfinden.
Max Frisch

Ich stelle mir vor:

Er liegt hellwach im Bett, es ist Freitagnacht, die Uhr zeigt exakt 0340 Uhr. Er schaut zum Fenster hinaus und sieht die prächtige Bergkette, die bald von den ersten Sonnenstrahlen gestreichelt wird. Er will schlafen, aber es hat keinen Sinn, gegen die Schlaflosigkeit antreten zu wollen, er wäre ohnehin der Verlierer. Er flüchtet aus dem Bett, leise wie ein Dieb, damit sie nicht geweckt wird. Auf dem Balkon dann lässt er seinen Gedanken freien Lauf, die völlig unstrukturiert in seiner Vergangenheit hin und her pendeln. Bald ist er Kind, dann Pubertierender, dann wieder Kind, bald verheiratet, wieder Kind, so geht das hin und her.

Diano Marina, riviera dei fiori
Regelmässig ging er als Kind und junger Erwachsener ans Mittelmeer nach Italien mit seinen Eltern,. Er sieht sich schwimmen, er hört das Stimmengewirr unten am Sandstrand, er sieht sich eine Burg bauen mit anderen Kindern, er sieht auch, dass er voller Hemmungen ist, das fremde Mädchen mit den Zöpfen anzusprechen, aus Angst, eine Absage zu bekommen. Er riecht die Pizzastücke, wie sie morgens um 11 Uhr als Apéro serviert wurden. Er war ganz glücklich in diesen Ferien und beschliesst, wieder einmal nach Diano Marina zu gehen. Er will alles nochmals nochmals durchleben, will das im maurischen Stil erbaute Hotel wiedersehen, in dem er mit seinen Eltern war. Ob er es freilich wirklich tun wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Er will die Bilder seiner Vergangenheit vielleicht doch nicht mit jener der Gegenwart konfrontieren.

0445 Uhr.
Von Schlaf keine Spur. Aus der Ferne hört er eine Amsel, und die ersten sanften Strahlen der Sonne vertreiben nun endgültig die Nacht. Er versucht erneut, seine Gedanken zu strukturieren, aber es gelingt ihm nicht. Er möchte inskünftig nicht mehr von der Vergangenheit heimgesucht werden, er möchte sich nicht mehr unproduktiv mit der Zukunft auseinandersetzen. Er möchte nur die pure Gegenwart spüren und in ihr leben, aber es gelingt ihm nicht so recht. Er ist ein Schwelger und lässt sich von den schönen Momenten der Vergangenheit treiben. Ob er sie verklärt? Das wäre möglich. Vielleicht war es ja gar nicht so toll in Diano Marina, und die Sandburg war wohl niemals so gross, wie er sich das soeben vorgestellt hat.

Seine Vergangenheit ist sein Konstrukt, seine Zukunft ebenso. Was bliebe, ist die Gestaltung der Gegewart.

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