Mittwoch, 20. Juli 2011

An einem Freitagabend

Ich stelle mir vor:

Er ist in diese Geschichte hineingeschlittert. Er wollte es nicht soweit kommen lassen. Nun sitzt er trotzdem da, an diesem gewöhnlichen Freitagabend in einem italienischen Restaurant irgendwo in der Stadt, umgeben von ihr und ihrer Familie. Er sitzt am Rand des Tisches, das konnte er noch gerade beim Eintreten in das Lokal beeinflussen. Neben ihm sitzt ihre Mutter, gegenüber sitzt die eine Schwester von ihr. Weitere Familienmitglieder: zwei Brüder mit Anhang, ein Kind (schätzungsweise 10 jährig auffallend ruhig). Eine fröhliche Runde, die Geschwister löschen gleich beim Apéro ihren Durst über Gebühr, der Weisswein aus der Toscana schmeckt denn auch vorzüglich. Sie sitzt am anderen Ende des Tisches und scheint ebenso fröhlich zu sein. Manchmal zwinkert sie ihm zu, was ihm etwas peinlich ist, weil es zu sehr Vertrautheit impliziert. Doch er ist präsent und nicht schlechter Laune, er beteiligt sich am small talk, auch wenn ihm die Themen langweilen: Fussball interessiert ihn nun mal nicht sonderlich, und Formel-I-Rennen mag er nicht ausstehen. Er hütet sich davor, Politik ins Gespräch zu bringen, da er den Abend -ihren Abend- nicht verderben will. Nach der Vorspeise wird es noch lauter, die ersten Witze fallen, die er nicht besonders lustig findet, weil sie platt daherkommen. Er schwitzt, vermutlich kommt das vom Alkohol. Er gibt sich kaum zu erkennen, die banalen Gespräche sind ihm mittlerweile recht, weil sie an der Oberfläche bleiben, er ist hier schliesslich nicht an einem philosophischen Seminar. Der Vater, bodenständig wie die ganze Familie, ist ein gutmütiger Mensch, 41 Jahre solide Arbeit bei der Post (Briefträger, später im Schalterdienst tätig, dann Disponent), das prägt und lässt hochtrabende Exkurse über Gott und die Welt überflüssig erscheinen.

Bei der Hauptspeise -Teigwaren mit Kalbfleisch- kommt bei ihm wie angeschossen Panik auf, er fragt sich augenblicklich, was er da eigentlich tut. Aus einer an sich trivialen Affäre ist so etwas wie Freundschaft -oder sollte er eher von Kollegialität sprechen?- entstanden, gewiss, aber er weiss und spürt, dass dies nicht mit Liebe gleichzusetzen ist. Er wird, zumindest für einen Abend lang, Teil einer Familie, die er nicht kennt und die er im Grunde der Dinge auch nicht näher kennen lernen möchte (wozu denn auch?). Gegen Mitternacht löst sich die Runde nach dem Konsum starker Espressi gelassen auf, was bei ihm Erleichterung auslöst. In der darauffolgenden Nacht schwitzt er wieder, das Essen (oder liegt es eher am Alkohol?) liegt ihm schwer auf. Neben ihm schläft sie friedlich. Er mustert sie an und weiss nicht, was er dabei denken soll. Ihre nächtlichen Berührungen lösen Ängste in ihm aus, da ist zu viel an Nähe, zu viel an Intimität, er muss unwillkürlich aufstehen und in der Küche Wasser trinken. Wasser, endlich! Danach sucht er das Bett nicht wieder auf, vielmehr geht er wie ein Tier in der Wohnung auf und ab, die Hände in den Taschen seines schwarzen Pyjamas.

Er hat sich das alles anders vorgestellt, damals, als er sie per Zufall kennen lernte. Umso mehr will er diesem Abend keine weitere Bedeutung zukommen lassen. Es war bloss ein nettes Abendessen mit vielen Leuten in einem italienischen Restaurant in der Stadt. Nein, es ging auch nicht darum, dass er der Familie vorgestellt wird, er wüsste nicht, was solches für einen Sinn haben könnte. Er atmet tief durch und ist froh, dass es bald hell wird und der Samstagmorgen anbricht.

7 Kommentare:

  1. Das Gefühl, irgendwie im falschen Film zu sein, kommt zwischen den Zeilen sehr gut rüber. Etwas vorzuspielen, eine Rolle spielen zu müssen, um die Freundin nicht zu brüskieren und dabei nicht authentisch sein zu können. Wer hat sie nicht schon selbst erlebt, diese Situation... Kann Dir gut nachfühlen - bis hin zur (gerade noch abgewendeten) Panikattacke ;-)

    Ich hätte danach wahrscheinlich die Notbremse gezogen. Bin gespannt auf die Fortsetzung.

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  2. Die Notbremse trifft es ganz gut.
    Ich kenne dieses Gefühl auch und die Gedanken "Was mache ich hier, warum mache ich das, will ich das überhaupt?", das Kopfkino, wie sich das fortsetzen wird und der daraus resultierende Fluchtreflex.
    Und ich flüchte.
    Aus Situationen, die mir nicht gefallen, von Menschen, die mir nicht gut tun, von allem, was ein negatives Gefühl hervor ruft.

    Daher bin auch ich sehr gespannt auf die Fortsetzung...

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  3. @ Rosalie und Nori: vielen Dank für die Rückmeldung. Fortsetzung folgt - garantiert !

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  4. Lieber Peter,
    klingt ganz so, als ob du Freundschaft empfindest, sie aber Beziehung. Ich finde es gut, dass du den Abend durchgehalten hast, ohne einen Anlass für einen Eklat oder eine Szene zu geben. Aber die Notbremse wäre vielleicht doch ganz sinnvoll. Für euch beide.
    Mir fällt eine Stelle aus einem Buch ein - ich glaube es war von Watzlawick oder war es Schulz von Thun. Dort kauft sie ein Lebensmittel für ihn, das er nicht so gerne mag. Weil er sie nicht enttäuschen will, sagt er nichts und isst es auf. So kauft sie es wieder ... und wieder ... und irgendwann wird es schräg, wenn man sagen müsste: Ich kann Cornflakes nicht ausstehen. Wieso? Die hast du doch die letzten zehn Jahre gerne gegessen. (Nein, ich habe dir zehn Jahre etwas vorgelogen) ....
    LG mayarosa

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  5. Liebe Mayarosa
    Herzlichen Dank für diesen weiterführenden Kommentar. Gerne werde ich später darauf zurückkommen. Das mit den Cornflakes stimmt halt schon....schönes WE !

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  6. Lieber Peter

    Du sprichst von zu viel Nähe und Intimität, dabei wolltest Du das doch gar nicht.
    Was wolltest du dann, eine kleine Affäre?!
    Was wollte Sie?
    Auch bei einer Affäre kann, oder braucht es aus meiner Sicht Nähe und Intimität, nur eben unverbindlich.
    Auch frage ich mich warum du es hast zugelassen, war es der Preis (den zu bezahlen du eigentlich nicht bereit warst)um die Affäre weiter zu führen.
    Das Umfeld (auch bei einer Geliebten, geschweige denn bei einer Affäre) muss ja nicht zwingend bedeuten dass hochtrabende Exkurse über Gott und die Welt geführt werden können.
    Mal abgesehen davon kann man auch mit einem solider Beamten "Pösteler" sehr interessante Gespräche führen... oftmals mit mehr Tiefgang als beim Small-Talk mit Akademikern.

    Um es auf den Punkt zu bringen. Was erwartest du von einer Affäre in du (ungewollt?!) hineingeschlittert bist. Ein Augenzwinkern kann auch bedeuten, nimm es wie es ist und freu dich auf die Nacht mit mir.
    Daniel

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  7. Lieber Daniel
    Besten Dank für die Zeilen und die weiterführenden Fragen, auf die ich später eingehen werde. Nur soviel an dieser Stelle: selbstverständlich kann man mit allen Menschen sehr interessante Gespräche führen. Voraussetzung dazu sind echtes Interesse am Gegenüber und Empathie. An jenem Abend war ich aber nicht sehr interessiert, deshalb wohl auch meine Abwehr und, daraus resultierend, wohl auch meine selektive Wahrnehmung.
    Freuen tue ich mich in letzter Zeit vor allem auf ein leeres Bett, weil ich darin bedeutend besser schlafe.

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