Dienstag, 16. Februar 2010

Der Ekel holt mich wieder ein

Heute Abend bin ich in einem gewissen Sinne rastlos, getrieben von innerer Unruhe. Beruflich stehe ich an einem Scheideweg, und auch sonst geht bei mir einiges drunter und drüber. In solchen Situationen fehlt es mir oftmals an mentaler Stärke, ich hadere (jammere aber nicht) und fühle mich einsam - einsam im existenzialistischen Sinn.

Dann kommt der Ekel auf, die Existenz an sich wird zu einer schier unerträglichen Belastung. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich a) nach draussen gehen soll, an die Kälte des späten Abends b) ein Bad c) Musik hören d) Gitarre spielen e) ein Buch lesen soll - oder was auch immer. In solchen Momenten ist Konzentration kaum möglich, schreiben wird zur Therapie, die immerhin temporär wirkt, solange ich schreibe, ich lasse mich treiben vom Schreiben, was mich beruhigt. Aber ich weiss: es ist eine vorübergehende und letztlich trügerische Therapie, weil sie nur momentan hilft, der Ekel ist da, er wird dominanter und wird mich des Nachts heimsuchen.

Was schwer wiegt, ist das Warten. Warten worauf? Auch dies ist nicht klar zu umschreiben, aber ich ahne, dass es ein Warten ist auf Befreiung, Befreiung von den Ängsten und Zwängen der Existenz. Auch habe ich mittlerweile erfahren müssen, dass diese Befreiung nur von Innen her kommen kann. Alles, was von Aussen "Abhilfe" verschafft (oder Abhilfe verspricht), ist volatil, unberechenbar und letztlich vergänglich.

Der Zustand des Ekels ist, zumindest für mich, gottlob vorübergehender Natur. Er kommt und geht in regelmässigen Abständen. Nicht Eingeweihte verwechseln diesen Zustand mit Depression oder depressiver Verstimmung, aber es hat nichts damit zu tun. Es ist vielmehr Leiden an der Existenz.

Antoine Roquentin widerfährt etwas Unglaubliches: Sein normales, belangloses Leben plätschert plötzlich nicht mehr so dahin wie vorher, sondern wird für ihn zur Belastung, zur Qual. Ein Stück Papier, ein Kieselstein, selbst seine eigene Hand erregen in ihm ein diffuses Unbehagen: den Ekel. Dieser Zustand verschlimmert sich zusehends. Die Menschen in der Bibliothek, seine verflossene Geliebte, seine Tischgenossen – alle rufen in ihm den Ekel hervor. Es braucht knapp 300 Seiten minutiöser Selbstbeobachtung, bis Roquentin herausfindet, was bei all diesen Gelegenheiten das Ekelgefühl in ihm ausgelöst hat: Es ist die schiere Existenz – und ihre Sinnlosigkeit. Angesichts einer Welt, in der alles ziel- und sinnlos existiert, muss sich der Mensch selbst sinnlos vorkommen. Mit Der Ekel stellte Sartre schon Jahre vor seinem philosophischen Hauptwerk Das Sein und das Nichts die Kernfragen des Existenzialismus vor. Das Buch ist schwierig, gerade weil es einen mühsamen Erkenntnisprozess beschreibt und weil Sartre unterschiedliche Darstellungsformen verwendet, um Roquentins Ekel zu schildern. Der Roman machte Sartre schlagartig bekannt und stellt die wichtigste literarische Verarbeitung seiner existenzialistischen Philosophie dar.

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