Montag, 5. März 2012

Die Furcht vor der Freiheit

Am kommenden Wochenende werden wir in der Schweiz einmal mehr zur Urne gerufen, um über verschiedene Sachvorlagen abzustimmen. Unter anderem haben wir darüber zu befinden, ob alle Arbeitnehmerinnen und -nehmer sechs Wochen bezahlte Ferien haben sollen. Für Aussenstehende mag es kaum nachvollziehbar sein, aber eine klare Mehrheit -man muss kein Prophet sein, um diese Prognose zu wagen- wird mit Nein stimmen, Nein zu mehr Ferien.

Zum einen, weil diese Mehrheit Angst davor hat, materielle Einbussen zu erleiden. Bestimmt spielt dabei die plumpe Angstpropaganda der Wirtschaft eine wichtige Rolle: mehr Ferien = weniger Jobs. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Ein bekannter Schweizer Soziologe bringt es in einem Interview auf den Punkt, worum es hier letztlich geht:

Frage:
Erich Fromm hat die Furcht des modernen Menschen vor zu viel Freiheit bereits 1941 analysiert - inwiefern treffen seine Beobachtungen auf die Schweizer zu?

Antwort:
Angst spielt sicherlich mit. Statt selber zu handeln, warten wir offenbar lieber, bis uns mehr Zeit verordnet wird. Erich Fromm hat das autoritäre Verhalten angeprangert. Wir stützen, was uns schadet. Das ist in der Schweiz ein sehr gängiges Muster. Auch heute noch. Bei jeder guten Idee finden wir sofort Gründe, um ja nichts zu verändern. Die Angst vor Veränderung ist jedenfalls ein wichtiger Faktor, denn jede Veränderung ist auch ein Appell an einen selber, die Sache in die Hand zu nehmen. Und das kostet Energie. Also ist es einfacher, sich selber einzureden, dass alles in Ordnung sei, so wie es ist.

Ich hebe aus diesem Interview hervor und behaupte, dass dies weiss Gott nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer zutrifft: 
Die Angst vor Veränderung ist jedenfalls ein wichtiger Faktor, denn jede Veränderung ist auch ein Appell an einen selber, die Sache in die Hand zu nehmen. Und das kostet Energie. Also ist es einfacher, sich selber einzureden, dass alles in Ordnung sei, so wie es ist.

Also einmal mehr: Furcht vor der Freiheit, beileibe nicht zur in der Politik zutreffend.
Wie war das schon wieder mit dem goldenen Käfig? 

3 Kommentare:

  1. Ich kann es niemandem verdenken, wenn er oder sie dieser Vorlage gegenüber misstrauisch gegenübersteht. Misstrauen, Vorsicht, kritischer Geist - tönt irgendwie besser als "Angst".

    Ich denke nicht, dass hier irgendjemand Angst davor hat, mehr Ferien zu haben. Ich finde auch, dass man die Menschen unterschätzt, wenn man ihnen Angst und nicht eigenständige Überlegungen als Motiv für ihre Abstimmungsentscheide unterschiebt.

    Für mich ist der wahrscheinliche Ausgang dieser Abstimmung ein hoffnungsvolles Zeichen. Die Leute hier denken nämlich mehrheitlich nicht primär an ihren eigenen höchstpersönlichen Vorteil, sondern daran, was für die Volkswirtschaft am besten ist. Man nennt dies auch Bürgersinn.

    Und es genügt im Moment, täglich die Nachrichten zu sehen um zu verstehen, wie sich mangelnder Bürgersinn auf Volkswirtschaften auswirkt. Und was passiert, wenn die Menschen das Bewusstsein dafür verloren haben, dass Geld erst erwirtschaftet sein will, bevor man es ausgibt.

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    1. Und wieder einmal wird der Untergang der Schweiz prophezeit, wenn es darum geht, den Sozialstaat behutsam und durchaus berechtigt auszubauen. Das war bei der Einführung der AHV (unserer Altersversicherung)so, und das war auch nicht anders 1984, als das Volk der Erhöhung von damals zwei auf vier Wochen Ferien (der heutigen Regelung) zustimmte. Und schon damals hiess es: Achtung, der Untergang der Schweiz wird eingeläutet. Ach, was für ein dümmlich-langweiliger Diskurs.

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  2. Gemach, gemach. Ich habe übrigens "ja" abgestimmt (brieflich). Es ist nur so... Ich gehe nicht davon aus, dass Leute mit einer anderen Meinung a priori angstgeleitet und dumm sein müssen. Ich respektiere die Gründe, weshalb jemand "nein" stimmt. Es sind eben auch gute Gründe. Wenn Menschen bei Abstimmungen ihren eigenen Vorteil hintanstellen und die Auswirkungen für die Allgemeinheit im Blick haben, dann ist das immer wieder bemerkenswert und ein gutes Zeichen dafür, dass direkte Demokratie funktioniert.

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