Samstag, 19. Juni 2010

Sophie Scholl

Während meines Studiums habe ich mich schwergewichtig mit dem deutschen Faschismus und dem zweiten Weltkrieg beschäftigt. Damals hatte ich einen nüchternen Zugang zum Thema, ich verschlang die Quellen und Fachliteratur und war nie in irgend einer Weise emotional mit dem Thema belastet. Berichte über Massenerschiessungen oder industrieller Tötung erschütterten mich wohl intellektuell, aber kaum emotional.

Ich merke, dass ich mich offensichtlich verändert habe: Heute habe ich aus unbekanntem Anlass und wie aus heiterem Himmel über Sophie Scholl nachgedacht, es war heute Nachmittag, als ich in der guten Stube sass und über alles mögliche sinnierte. Je mehr ich über sie nachdachte, umso mehr registrierte ich eine unendliche Trauer in mir. Ich nahm ein altes Buch hervor und sah mir Bilder von Sophie Scholl an, ich las nochmals die Verhörprotokolle, schaute mir die Flugblätter an, die damals in München und anderswo in aller Heimlichkeit verteilt worden sind. Diese junge Frau mag naiv vorgegangen sein, aber sie hatte Mut, grossen Mut, sie war bereit, alles zu riskieren, sie folgte ihrem Gewissen und ihren Überzeugungen. Zwar verneinte sie anfänglich bei ihrer Verhaftung, mit den Aktionen der Weissen Rose irgend etwas zu tun zu haben, später aber bekannte sie sich zu den Aktivitäten und war stolz darauf, es getan zu haben, wissend, dass dies ihr Tod bedeuten würde. Es beelendet mich, wenn ich an diese Geschichte denke. Sophie Scholl, mit 22 Jahren umgebracht, nur weil sie Flugblätter herstellte und verteilte. Dabei hatte sie ihr ganzes Leben noch vor sich. Heute wäre sie drei Jahre älter als meine Mutter.

Warum berührt mich diese Geschichte heute so sehr? Als junger Student hatte ich die Aktivitäten der damaligen antifaschistischen Opposition aus einer wissenschaftlich-distanzierten Perspektive analysiert, einem Chirurgen gleich, heute aber kommen mir (beinahe) die Tränen, wenn ich darüber lese und nachdenke. Ich kann mir mein Verhalten nicht erklären. Hat es etwas mit meinem aktuellen Gemütszustand (labil) zu tun? Bin ich "weich" geworden, emotional, fehlt mir die abgeklärte Nüchternheit?

Ich bewundere ihren Mut, ihre Aufrichtigkeit und ihr konsequentes Handeln.

1 Kommentar:

  1. mir geht es genauso.
    das letzte mal, als ich meinen schülern "schindlers liste" gezeigt habe, saß ich am ende da und kämpfte mit den tränen und musste erst denn abspann durchlaufen lassen, ehe ich wieder zu ihnen sprechen konnte.
    ich denke, man wird tatsächlich weicher, wenn man älter wird.
    weil man beginnt zu ahnen, was es WIRKLICH bedeutet, zu leben...

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