Freitag, 25. Juni 2010

Radikal genug?

Folgende Fragen eines Lesers oder einer Leserin sind mir als Reaktion auf einen Beitrag gestellt worden:

Hast du schon einmal (...) den Entschluss gefasst, nicht mehr vom Sofa aufzustehen, bevor du nicht eine endgültige, eine absolut unumstössliche Antwort auf deine Frage gefunden hast? Wie stark ist deine Entschlusskraft? Wie hilfreich sind Dusche, Kaffee und Sonntagszeitung wirklich?Wie ernst ist es dir wirklich, mit diesen existentiellen Fragen? Wie weit geht deine Opferbereitschaft, wenn es darum geht, herauszufinden, wer du bist? (Wärest du bereit, deinen Job hinzugeben? Deine Altersvorsorge? Deine Hand? Dein Sehvermögen? Deine Erinnerungen? Das, was dir am liebsten ist?)

Nun, Buddhist bin ich nicht, noch weniger ein Buddha, und an endgültige, unumstössliche Antworten glaube ich ohnehin nicht, weil endgültige Antworten nach Ideologie, um nicht zu sagen nach Fanatismus und Starrheit riechen, und das mag ich definitiv nicht (vielmehr dies, Biermann zitierend: "nur wer sich ändert, bleibt sich treu", und dies kann nur, wer sich nicht an endgültige Antworten klammert und sich vielmehr dem Fluss des Lebens und der Erfahrungen anvertraut). Um zu mehr Selbsterkenntnis zu kommen bin ich durchaus bereit, einiges in Kauf zu nehmen, aber nicht alles radikal umzukrempeln. Dazu bin ich vermutlich zu feige, zu träge, zu bürgerlich, was weiss ich. Aber ich bin trotzdem offener geworden, was Veränderungen anbelangt. Was mir dabei am meisten hilft ist Widerspruch und das gnadenlose Spiegeln. Ich bin kritikfähig geworden und lass es gerne zu, wenn ein Mensch, den ich mag, mich auf diese oder jene Widersprüche aufmerksam macht. Das war nicht immer so, früher reagierte ich zeitweise heftig und beleidigt auf "Kritik".

Auch gebe ich zu, dass ich mich gerne ablenken lasse, ja, ich liebe Rituale, ich liebe meine Sonntagszeitungen und heissen Kaffee. Ich bin kein Asket, habe aber dennoch eine gewisse Affinität (oder zumindest Sympathie) zu calvinistischer Strenge, wobei mir diese in den letzten Jahren zusehends abhanden gekommen ist. Ich habe zudem einen unruhigen Geist, bin emotional wenig diszipliniert, lasse mich manchmal zu unüberlegtem Handeln hinreissen und neige zeitweise zu Pessimismus und Trübsal. Die Frage, was morgen sein wird, treibt mich stets an, und die Tatsache, dass ich nächstes Jahr den 50. Geburtstag über mich werde ergehen lassen, kann mich zeitweise beelenden, weil ich das Gefühl habe, ich würde den Zug verpassen, ich mag mich noch so anstrengen, die Fahrpläne studieren, die Uhr richtig einstellen, aber der Zug fährt immer wieder weg, ohne mich. Dann habe ich in solchen Momenten das Gefühl, bloss Beobachter dieser Welt zu sein und nicht aktiv das Geschehen beeinflussen zu können. Gerade in solchen Momenten wünschte ich mir mehr Gelassenheit.

4 Kommentare:

  1. Fühlst du dich von dem Kommentar angegriffen, lieber Peter, oder ergriffen? Natürlich hat der Kommentar recht, wenn er sagt, wie ernst es einem ist mit Veränderungen. Auf mich trifft die Aussage genauso zu, wie auch deine Antwort, in der du mit der Vermutung nach Trägheit und Passivität antwortest. Das trifft es aber nicht, weil du (und ich mir) damit nicht gerecht wirst/werde, weil es wieder nur eine Art Schlag ins Gesicht ist, den man sich selbst verpasst. Ist es nicht auch so, das Leben, dass wir so anzweifeln doch irgendwie zu lieben, möglicherweise aber nicht zulassen dürfen, es doch zu lieben, aus der Erziehung begründet. Du sprichst von Calvinismus, ich sage Evangelistentum, norddeutsche Strenge, wie auch immer. Wer brachte uns bei, sich freuen zu dürfen? Ein meinem Kinderalltag herrschte schon immer so eine gespannte Furcht vor, so als fiele einem bald der Himmel auf den Kopf. Unsere Eltern- und Großelterngeneration erlebte genau dies im Krieg, diese Eindrücke gaben sie weiter. Das wirkt noch immer. Spürbar, wie ich jeden Tag erlebe.
    In der Jugend erlebte ich Freude doch nur unter Freunden. Spaß zu Hause gab es nicht, nicht, weil alle böse waren, sondern weil die Last des Alltags und die eigene Erziehung sie nach unten zog, die Eltern und Großeltern. Wie kann da ein junger Mensch damit umgehen?
    Andere Freunde hatten diesen Nachteil nicht, sie waren ungezwungener. Aber ob sie heute genauso weit sind?
    Ich würde gern unendlich viel darüber reden, weil es viel leichter macht, die Gedanken darüber weitergeben. Aber wer hört schon zu und belächelt einen dann nicht? Du siehst es an dem Kommentar, nimm ihn an und ernst, lass dich nicht runterziehen. Du hast deine Gründe, lieber Peter. Die musst du finden. Das ist dein Job. Deine Lebensaufgabe.
    liebe Grüße
    autumn

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  2. Lieber autumn, herzlichen Dank für diesen ausführlichen Kommentar. Gerne werde ich darauf zurückkommen. Solche Kommentare und Stellungnahmen sind mir immer sehr wichtig.
    Ich wünsche Dir einen guten Urlaub !!

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  3. Lieber Peter,
    ich verstehe, dass du keine Ideologien magst. Ich auch nicht. Und von einem Buddha bin ich meilenweit entfernt.
    Aber ich hatte deinen Kommentator gar nicht so verstanden, dass du alles aufgeben sollst. Ich glaube, er spricht von einer Reise in die Tiefe, einer zu sich selbst. Und das ist manchmal schwer auszuhalten. Dann steht man auf, läuft davon, rennt blindlings im Kreis herum. Deswegen braucht es eine feste und stabile Entscheidung. Und wenn man dem Ziel näher kommt, gelassen und beharrlich, sich mag und aushält, unabhängig von äußeren Rahmenbedinungen, seien sie menschlicher oder materieller Natur, dann stellen sich viele Fragen nach Existenz, Zielen oder Einsamkeit nicht mehr. Dann ist es gut, wie es ist.

    @autumn: Ich komme aus einer katholischen Erziehung mit dem passenden Heiligen für jede Gelegenheit und dem Ablass Beichte, so wie der Freund, mit dem ich gestern Fußballgucken war. Die Fragen sind trotzdem die gleichen ... :-)

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  4. Liebe Mayarosa, danke auch Dir für Deine Bemerkungen. Ich werde mir alles nochmals und in Ruhe anschauen...danke für die Anregungen!
    Wünsche Dir einen guten Tag, Peter

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