Ich habe mich mit der kafkaesken Geschichte von Natascha Kampusch nur selektiv beschäftigt. Ihr Buch habe ich nicht systematisch durchgearbeitet, nur auszugsweise dieses oder jenes Kapitel gelesen. Extremsituationen -welcher Art auch immer- haben mich seit je interessiert, vor allem aus dem Blickwinkel des Historikers.
Was Natascha Kampusch erlebte, ist ja eine an sich ungeheuerliche Geschichte, die für Aussenstehende in ihrer Dimension und Tragweite schlicht nicht erfasst werden kann. Dass ihre Geschichte verfilmt würde, war abzusehen, zu sehr ist der Stoff "filmreif". Dass Kampusch den Film - "ihren" Film (?) - "freigegeben" hat (ohne ihn offenbar formell autorisiert zu haben), nehme ich zur Kenntnis. Was wird die Menschen dazu bewegen, den Film zu sehen? Ich gehe mal davon aus, dass er ein Kassenschlager wird, der nicht davon gefeit ist, mitunter auch Altherrenphantasien zu bedienen. Kampusch selbst hat in ihrem Buch zwangsläufig "das Thema" ansprechen müssen und blieb dabei, wer würde es ihr verübeln wollen, im Nebulösen. Er hätte nur kuscheln wollen und sei manchmal zu ihr ins Bett "geschlüpft" - mehr wollte sie in ihrem Buch dazu nicht schreiben, auch später in Interviews gab sie sich zugeknöpft und wollte so das Intimste nicht preisgeben (was absolut nachvollziehbar ist) - und heizte damit, gewiss ungewollt, umso mehr Spekulationen an, die von einschlägigen Erzeugnissen bewusst geputscht wurden nach dem Motto "verschleppt und missbraucht" - was in der Sache selbst zutreffend ist, aber in seiner Tonalität und medialen Inszenierung andere Motive verfolgt. Anders gesagt: sie konnte es nur falsch machen.
Die Gier des Publikums -zumindest eines Teils davon- nach Sensationen liess die Filmemacher ganz offensichtlich kapitulieren, und ihr Produkt, man musste es ahnen, kommt ohne Sexszenen nicht aus, subtil gedreht, wie ich höre (und was immer dies bedeuten mag) und "nur angedeutet". Kampusch habe auch gegen diese Szenen nichts einzuwenden gehabt. Was hätte sie denn auch tun sollen? Sie steckt in der medialen und kommerziellen Falle und musste wohl oder übel mitmarschieren. Ein "Nein" von ihr hätte bloss nur die gierige und schlüpfrige Frage provoziert: wie war es dann?
Ich bin einigermassen ratlos ob diesem sich abzeichnenden Rummel. Ich sehe schon die langen Warteschlangen vor den Eingängen der Kinos. Gehe ich zu weit, wenn ich hier einen akuten Voyeurismus, der die unterschiedlichsten Schichten menschlicher Regungen bedient bzw. bedienen will, orte? Ich will den Film nicht auf diese Aspekte reduzieren, ich spreche von der möglichen Wahrnehmung bzw. den heterogenen und durchaus widersprüchlichen Erwartungen des Publikums und nicht in erster Linie von der Absicht der Filmemacher. Diese dürften aber gewiss nicht nur hehre Motive auf ihre Fahnen geschrieben haben.