Dienstag, 1. Mai 2012

Nah und fern

Wie nah sind uns manche Tote, doch
wie tot sind uns manche, die leben
Wolf Biermann

Ich mag diese schlichten Worte aus Biermanns Ballade zum Hugenottenfriedhof. Weil sie so verdammt wahr sind. Sie bedeuten für mich auch: Wie nah sind uns manche Fernlebende, doch wie tot sind uns manche, die um uns leben. Sie, die Fernlebenden, können uns nah sein, vielleicht zu nah, als uns lieb ist. Schwierig und anspruchsvoll, ja wohl illusorisch, dass sich daraus ein entwickeltes "wir" entwickeln könnte: Und das Du bleibt räumlich fern und meistens unnahbar. Still ist es vor allem dann, wenn man es ansprechen und schlicht berühren möchte. Gerade in schwierigen Lebenssituationen bräuchte man so sehr ein Du, das uns vertraut ist, das mit uns in einen Dialog treten kann und dabei, nur scheinbar widersprüchlich, auch die vertraute Stille erträgt und herbeiführt. 

Und umgekehrt gibt es die "Nahlebenden", die uns manchmal fast aufzufressen drohen, die eine unerträgliche Nähe einfordern und dabei vor allem eines provozieren: Flucht, weit weit weg, so dass sie bald einmal für uns tot sind. 

Doch bitte kein Entweder-Oder, das wäre schön. 
Und ja, man wählt sich seine Lebenssituation nicht immer aus. 
Zufälligkeiten und unergründliche Begegnungen nehmen keine Rücksichten auf Raum und Zeit. 
So bleibt es dabei: wie nah sind uns manche Tote, doch, wie tot sind uns manche, die leben. 

1 Kommentar:

  1. Hallo Peter,

    in einer meiner Blogs hatte ich über den Selbstmord des Lieven Deflandre geschrieben (über den ich über einen Blogger aus Belgien erfahren hatte). In seinen Facebook-Einträgen findet sich der Ausspruch: „Die Welt ist hübsch, das Leben ist schön, aber alles ist schade wegen den langweiligen Menschen, die einem über den Weg laufen … „. Für solche Langweiler, die eigentlich inhaltlich nichts zu sagen haben, zu denen man auch keine zwischenmenschliche Beziehung aufbauen kann, finde ich das Leben jammerschade. Das Wort "Aussortieren" finde ich bei zwischenmenschlichen Beziehungen nicht sehr schön, aber wahrschinlich bleibt einem da nichts anderes übrig ...

    Gruß Dieter

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