Samstag, 3. März 2012

Am Popkonzert

Leben ist geschichtlich, in jedem Augenblick definitiv, es duldet keine Variante
Max Frisch


Heute war ich mit meiner Tochter an einem Popkonzert. Nostalgie war angesagt, viele Eltern sind da und wollen ihren Kindern wohl zeigen, zu welcher Musik sie ihre ersten Küsse und Hormonschübe erlebten. Schon nach den ersten Takten tobt es im grossen Saal, auch ich werde von der "weisst-du-noch-damals-und-ach-war-das-schön-und-überhaupt"-Welle erfasst. Meine Tochter klatscht mit, sie kennt all diese Lieder, die ich manchmal auf der Gitarre spiele, schon zu Genüge. Menschen brauchen ganz offensichtlich den Bezug zu ihrer Geschichte. Für Momente tauchen sie ein in das damalige Jugendgefühl von vermeintlich grenzenloser Freiheit und Aufbruchstimmung. Ja, damals schienen noch viele Wege möglich, und man glaubte selbstverständlich daran, seine Träume realisieren zu können. Und nun sitze ich in diesem Konzertsaal und lasse die Vergangenheit Revue passieren, sehe  meine ersten Eskapaden, Abstürze, Hoffnungen, Wünsche, Illusionen, Gehversuche, Liebeleien, Trennungen und Neuanfänge. Sehne ich mich nach dieser (verlorenen?) Zeit bzw. nach den damit verbundenen Gefühlen? Verspüre ich gar den spielerisch-naiven Wunsch, den einen oder anderen Wendepunkt meines Lebens nachträglich anders gestalten zu wollen, wenn ich denn könnte?

Das Publikum schwelgt noch intensiver als zuvor in Nostalgie und singt zeitweise begeistert mit. Ich entziehe mich dem Spektakel nicht, im Gegenteil. Nach dem Konzert verspüre ich eine sonderbare Leere und kann mich von den Melodien des Nachmittags nicht befreien. Die Vergangenheit, ich weiss es schon lange, will nicht vergehen, und: viele Lebenssituationen sind mir durch den Kopf geschossen, und ich ertappe mich dabei zu sagen bzw. zu lamentieren: ach, hätte ich doch damals in dieser oder jener Situation anders reagiert/entschieden. Doch das Leben duldet keine Varianten.

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