Montag, 1. August 2011

Zum 1. August

Ich bin Schweizer, dafür kann ich nichts. Ich könnte mir gut vorstellen, auch anderswo zu leben, in Deutschland zum Beispiel (mit Ausnahme von Bayern), Skandinavien wäre auch eine Möglichkeit, ferner Österreich (mit Ausnahme von Kärnten). Doch bin ich froh, hier zu sein. Weil die Schweiz übersichtlich und klein ist, und weil hier verschiedene Kulturen leben. Ich brauche nur in den Zug zu sitzen und schon bin ich nach kurzer Zeit in einer Stadt, in der Französisch gesprochen wird. Mir gefällt es dort, in einer gemütlichen Spelunke in der Altstadt zu sitzen und mit den Leuten auf Französisch ins Gespräch zu kommen oder in einer fröhlichen Runde französische Lieder zu singen. Neuenburg ist nun mal ganz anders als Zürich, und Genf ist anders als Chur. Und Locarno ist nochmals anders, und von Basel will ich hier gar nicht sprechen. Ich mag keinen Einheitsbrei und keine Monokulturen. Wenn ich im Engadin unterwegs bin, freue ich mich, Rätoromanisch sprechen zu hören, obwohl ich kein Wort verstehe, aber der warme Klang dieser Sprache erfreut mein Herz.

Die direkte Demokratie ist eine der besten Erfindungen überhaupt. Ich mag es, auf der Strasse von fremden Menschen angesprochen zu werden, die ein politisches Anliegen haben und dafür Unterschriften sammeln, so wie gestern eine alte Frau in der belebten Einkaufsstrasse. Ich bin, ganz ehrlich, stolz darauf, dass wir vor Jahren auch über die Abschaffung der Armee abstimmen konnten. Nach diesem historischen Abstimmungstag war die Schweiz nicht mehr dasselbe Land wie zuvor, ein frischer Wind wehte durch die Köpfe und läutete einen grundlegenden Mentalitätswandel ein. Wir müssen gelegentlich auch über unsinnige Anliegen abstimmen, etwa über ein Verbot von Minaretten. An jenem Sonntagabend musste ich mich für das Ja der Stimmenden schämen.

Meine Tochter mag den Wilhelm Tell, wie er von Schiller dargestellt wird. Dass er womöglich eine erfundene Person ist, habe ich ihr (noch) nicht gesagt, Kinder mögen nun mal Märchen und tapfere Helden, die wider das Böse kämpfen. Und Gessler war nun mal ein Bösewicht.

Die Schweiz ist ein komplexes Gebilde. Im Grunde der Dinge gibt es sie gar nicht. Jedenfalls nicht so, wie sie die Touristen zu sehen bekommen. Ich gebe zu: etwas "mehr Europa" täte unserem Land gut, doch meine ich auch im selben Atemzug: etwas mehr Schweiz täte Europa auch gut, namentlich was die (direkt)demokratische Mitbestimmung und die Rechtsstaatlichkeit anbelangt. Es wird Zeit, dass wir vermehrt voneinander lernen.

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