Donnerstag, 29. April 2010

Vom Bügeln

Eigentlich sollte ich heute Abend wieder einmal bügeln, der Wäschekorb ist gnadenlos voll und will abgetragen werden. Aber ich mag nicht bügeln, weil es mich erwischt hat und ich demzufolge mit anderem beschäftigt bin. Man kann es auch anders formulieren: ich habe innert kurzer Zeit starke Gefühle für eine Frau entwickelt. Und das ist zurückhaltend formuliert. Aber jene Frau wohnt nicht hier um die Ecke, und überhaupt ist alles etwas kompliziert. Aber ich will mich auf diesen Prozess einlassen, es gibt für mich keinen anderen Weg. Ich bin oftmals mental und emotional nicht hier, wo ich physisch zu Hause bin, sondern anderswo, nämlich bei ihr. Liebe kann ganz schön schmerzen, es tut so weh und tut so gut. Der Wäschekorb erinnert mich gleichzeitig daran, dass ich ihn abtragen muss. Also werde ich dies tun und gleichzeitig in die Röhre gucken, mich ablenken, kurz: den Alltag bewältigen. Und in Gedanken bin ich trotz all dem anderswo. Geschenke des Lebens sind selten - und sollten als solche wahrgenommen und geschätzt werden.

Dienstag, 27. April 2010

Wenn Zufälle keine Zufälle sind

Ich lese gerne sehr persönlich gehaltene Blogs, weil ich wohl etwas voyeuristisch veranlagt bin. Der Blog von autum gefällt mir dabei besonders gut, weil er seine Sehnsüchte und Kämpfe mit sich selbst auf den Punkt bringen kann. Heute lese ich, dass er an seinem jetzigen Urlaubsort mit jener Frau, mit der er eine leidenschaftliche Affäre hatte, wieder Kontakt aufgenommen hat. Er konnte, wie er schreibt, nicht anders, er musste es also tun, was, aus meiner Sicht, zu erwarten war.

Er wartet nun auf sie, dort, wo sie sich schon einmal begegneten, nämlich an ihrer gemeinsamen Bucht. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet in seiner Ferienwoche auch sie an diesem Ort zugegen sein wird, wie sie ihm per sms mitteilt? Ich denke, dass das Leben uns immer wieder Hinweise gibt, Spuren legt, an die wir uns orientieren können. Wenn besagte M. noch vor der Abreise von autum tatsächlich auftaucht, sollte er darüber nachdenken, wie er dieses erneute und vor dem Urlaub nicht vereinbarte Wiedersehen bewerten soll. Fügung, Schicksal, ich weiss es nicht. Aber eines möchte ich ausschliessen: dass es ein Zufall sein soll.

Warum autum (und M!) wieder an dem "Ort mit der magischen Wirkung" zurückkehrte, weiss ich auch nicht, allein wegen der schönen Landschaft oder des guten Essens dürfte als Antwort nicht überzeugend wirken....

Was tun, wenn uns das Leben etwas mitteilen will? Ignorieren? Oder dem Leben Recht geben?

Montag, 26. April 2010

aus den Fugen

Mein Leben gerät aus den Fugen, zum Glück. Die Logik der ewigen Wiederkehr des Gleichen (Nietzsche) wird durchbrochen. Der zu bezahlende Preis lässt sich mit Wehmut und Sehnsucht umschreiben, die Umstände bzw. die Konstellation sind kompliziert. Die Konzentration auf die Arbeit wird schwierig, an durchgehenden Schlaf ist zur Zeit nicht zu denken. Ich bin aufgewühlt, ja, und ungeduldig. Die Nüchternheit sagt: bleib auf dem Boden, das Leben sagt: gut so! Ich will nicht immer alles unter Kontrolle haben, so tun, als hätte ich alles im Griff. Wer kriecht, wird nicht stolpern. Aber das Kriechen will ich mir nicht aneignen.

Samstag, 24. April 2010

Samstagabend

Der Samstagabend hat eine spezielle Atmosphäre. Als junger Mann war er stets der Höhepunkt meiner Woche: Samstagabend, endlich! Der obligate Discobesuch war stets voller Erwartungen (dementsprechend hoch war aber auch der Frust, wenn kein Mädchen abgeschleppt werden konnte), das Drehbuch banal: abtanzen und im Hinterkopf stets die Hoffnung: möge bald die langsame Runde kommen...dann werde ich es zum Tanz auffordern, jenes blonde (dunkle) Mädchen dort hinten links mit den blauen (braunen) Augen...
Heute sind mir nach einer Wanderung viele Jugendliche aufgefallen, die am Bahnhof auf den Zug Richtung Stadt gewartet haben, und man hat ihnen die Anspannung regelrecht angemerkt, sie waren voller Hoffnung, den Zug endlich besteigen zu können, um sich ins "Abenteuer Samstagabend" zu stürzen. Der Alkoholpegel war schon recht hoch, und die Lieder, die angestimmt worden sind, kannte ich nicht (wohl eine Alterserscheinung). Und die Anmache beginnt aus praktischen Gründen schon auf dem Geleise.
Ich bin -ganz ehrlich- froh, nicht mehr so jung sein zu müssen. Das "Alter" hat eben auch seine Vorzüge - oder etwa nicht?

Heute Abend bin ich wieder etwas melancholisch. Kein Wunder, dass ich in einer solchen Stimmung eine CD von R. Newman hervornehme...ich habe ihn im übrigen vor nahezu 10 Jahren live erlebt, allein am Klavier, ohne jegliche Begleitung...was für ein Künstler...

Freitag, 23. April 2010

Sehnsucht

Wenn mich die Sehnsucht packt, höre ich meistens Musik, heute Abend ist es Billy Joel, den ich für mich neu entdecke, ich finde, mit zunehmendem Alter wird er immer ausdrucksstärker.

Träumen und Hoffen

Hab die ganze Nacht geträumt, dass am Tag du zu mir kämst;
Und den ganzen Tag gehofft, dass du nachts im Traum erschienst!

Haidar Kalicha,
gefunden in: Ursula Priess, Sturz durch alle Spiegel. Eine Bestandsaufnahme, Zürich 2009

Ich habe soeben angefangen, das Buch der Tochter von Max Frisch zu lesen. Darin schildert sie die schwierige Beziehung zum Vater. Ein bewegendes Buch, das lässt sich schon nach wenigen Zeilen erahnen...

Blauer Himmel, warmer Wind

Rotes Meer:
Blauer Himmel
Warmer Wind
Warmes Wasser
Die Zeit, zähflüssig hält sie die Momente fest
Muscheln am Strand suchen
Sandburgen bauen
Blauer Himmel
Warmer Wind
später
an der Poolbar
beobachte ich am Nebentisch
eine Frau
sie dürfte zwischen 55 und 60 sein
in Begleitung ihres zur Zeit abwesenden Mannes
der schon morgens glaubt Brandy trinken zu müssen
sie schäkert mit Mustafa
oder hiess er Ahmed
von der Poolbar
der mit viel Witz die Kinder glücklich machen kann
er dürfte nicht älter als 25 sein
sie ist allein
ihr Mann ist anderswo
am Trinken
sie schäkert mit Ahmed
blauer Himmel
warmer Wind
darf ich dich küssen, sagt sie mehr bettelnd als fragend
Aber natürlich darfst du, meint Ahmed, der am Goethe-Institut
in Kairo
Deutsch gelernt hat
wie er mir -zu Recht mit Stolz- erklärte
sie küsst ihn also
ich sehe eine einsame Frau
die Liebe sucht
Zuneigung
offene Ohren, die zuhören können
sie küsst ihn,
mehr verlegen als lüstern
Ahmed lässt es geschehen
Blauer Himmel
Warmer Wind
Kinder spielen
und springen in den grossen Pool
ich sitze da
ein stummer Zeuge
oder ein Voyeur
denke mir
ist das jetzt jenes Bild grosser Einsamkeit
eine Frau, die nach Zuneigung sucht
derweil ihr Mann sich leise betrinkt
so stelle ich mir die Hölle vor
auf diese Art und Weise älter zu werden
Januar bis Dezember
Menschen auf der Suche
nach ein bisschen Glück
getrieben, weil
unerfülltes Leben
unerfüllte Leidenschaften
unerfüllte Sehnsucht
und wohl vor allem:
verpasste Chancen
nicht erkannte
oder schlicht
ignorierte Wendepunkte
nicht wahrgenommenes Lebensglück
aus Angst
aus Bequemlichkeit vielleicht
ich weiss es nicht
und masse mir kein Urteil an
die Frau lehnt sich nun zurück
zündet sich eine Zigarette an
schön ist es hier, ruft sie mir zu
was denn hier anders sei als zu Hause
will ich wissen
die Wärme
die Sonne
ruft sie mir zu
und ihr Mann kommt zurück
setzt sich an den Tisch
und bestellt bei Ahmed
eine Cola mit Rum

Mittwoch, 14. April 2010

Kurz vor dem Abflug

Morgen fliege ich mit meiner Tochter ab Richtung Rotes Meer. Angesichts des herrschenden Wetters bin ich froh, endlich etwas Sonne tanken zu können. Von Frühling ist hier wenig zu spüren.

Der Koffer ist gepackt, eingecheckt habe ich auch schon, ein Fensterplatz für meine Tochter ist ergattert. Was uns erwartet: Tagestemperaturen von 30 Grad, Wassertemperaturen ca. 24 Grad. Was ich mit Genugtuung registriere: Ich freue mich auf diesen Urlaub, ohne in Euphorie zu verfallen (weshalb denn auch). Meine innere Unruhe wird zusehends von einer eigenartigen Gelassenheit verdrängt, d.h. ich nehme die Tage, wie sie kommen, ich muss nicht alles bewerten, registriere vielmehr die kleinen Freuden des Alltags, und sei dies "bloss" die schöne Melodie eines zufriedenen Vogels.

Und ich denke mit warmem Herzen an dich, meine Begegnung.

Ich stieg wohl auf die Berge
Und jubelte und sang;
Ich ging an's Meer und weinte
Beim Sonnenuntergang.
Mein Herz ist wie die Sonne
So flammend anzuseh'n,
Und in ein Meer von Liebe
Versinkt es groß und schön.

Heinrich Heine

Dienstag, 13. April 2010

Entscheidungen

Meine Exfrau erzählte mir heute abermals von ihrem Seelenverwandten, der zwar ganz in ihrer Nähe wohnt, aber dennoch so weit entfernt von ihr sei. Aufgrund der Konstellation kann er nicht gänzlich auf sie zugehen (oder glaubt zumindest, nicht auf sie zugehen zu können), er ist verheiratet und Gefangener seiner selbst. Wir einigen uns in unserem Gespräch darauf, dass der Mensch um Entscheidungen letztlich nicht herumkommt. Irgend wann wird der Mensch am Ende seines Lebens Bilanz ziehen und sich fragen: wie habe ich gelebt? Und: waren meine Entscheidungen die richtigen Entscheidungen für mein Leben? Mit Betonung auf mein Leben. Noch pointierter vielleicht: habe ich für mein Leben meine Entscheidungen bewusst gefällt? Was ich vom Leben erwarte ist die eine zentrale Frage. Ebenso muss die Frage beantwortet werden, was das Leben von uns als Individuen erwartet. Und hier denke ich, dass das Leben uns immer wieder an Situationen heranführt, die einer Klärung bedürfen, ob uns das passt oder nicht. Ständig müssen wir im Alltag Entscheidungen fällen, und seien sie noch so banal: es gehört zum Leben. Ich weiss aber auch, dass schwierige, d.h. weitgehende Entscheidungen eines langen Prozesses bedürfen, eines inneren Ringens, einer Befragung seiner Selbst. Entscheidungen sind mitunter von Ängsten begleitet, natürlich, von Unsicherheit und Frustration. Aber der Tag wird kommen, an dem man sich entscheiden muss, weil sonst das Leben uns diese Entscheidung abnimmt, aber dann sind wir Getriebene der Umstände, nicht aktiv Handelnde, "die Umstände" entscheiden dann für uns. Der Mensch, weil er Mensch ist, ist aber dazu verurteilt, Standpunkte einzunehmen und zu entscheiden. Ich bemühe mich, diesem Lebensgesetz -ja ich glaube, es sei ein Gesetz des Lebens- gerecht zu werden. Ein schwieriges Unterfangen.

Montag, 12. April 2010

Die Kirschenzeit

Heute bin ich in einer eigentümlichen Stimmung. Draussen ist es halb grau, halb blau, ein kalter Nordwind geht. Die Sonne scheint, doch dunkle Wolken ziehen wieder vorbei.

Wehmut macht sich breit
von der Ferne höre ich die Züge des Güterbahnhofs;
Lust auf Nähe und Berührungen
trotz räumlicher Distanz
meine Vernunft sagt: sei vernünftig
mein Gefühl sagt: lass dich darauf ein
unbestimmte Hoffnung
naive Hoffnung auch, vielleicht
und die Angst, das Leben verrinne;
Sonne und Wolken lösen sich gegenseitig ab
Aprilwetter
nochmals vernehme ich durch das offene Fenster
die Züge des nahen Güterbahnhofs
wie weit darf ich mich in meinen Emotionen verlieren?
Panzer anziehen als Gegengift? - nein
was hilft: nicht bewerten
diesen eigentümlichen Gefühlen nachspüren
fabulieren? ja
so wie Kinder noch fabulieren können
wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flügel hätt'
käm' ich zu dir
weil 's aber nicht sein kann
bleib' ich halt hier
und das französische Lied in den Ohren
auf immer bleibt mir die Kirschenzeit lieb
auch wenn mir davon im Herz stecken blieb
die Wunde, die nie mehr heilt
es gibt kein Leben ohne Schmerzen
ein steriles Leben ohne Schmerzen wünsche ich mir nicht



Über das Vertraute

Paare bleiben in einer Beziehung, weil das Vertraute berechenbar ist. Das Ungewisse wird mit einem Unbehagen betrachtet. Ich denke viel über diese beiden Sätze an, sie provozieren mich in einem positiven Sinne, sie treiben mich an, darüber nachzudenken.

Das Vertraute ist berechenbar: warum ist es denn berechenbar? Weil die Partner voneinander wissen, welche „Knöpfe“ sie jeweils betätigen müssen, um beim anderen dieses oder jenes Gefühl auszulösen (Angst, Freude, Langeweile etc.)? Das Vertraute wäre so gesehen Ausdruck einer Routine, ich habe bei meinem Partner grundsätzlich nichts Neues zu entdecken (und er nicht bei mir), das Bild, das ich mir von ihm mache, ist komplettiert, erstarrt, konserviert. Das Du wird in diesem Kontext zu einem Kumpel, gewiss zu einem lieben Menschen (das ist ja schon viel), aber nicht zu einem umfassenden Du, das uns erkennt, trägt und uns in unserer Entwicklung –emotional, intellektuell, auch in sinnlich-erotischer Hinsicht- weiterführt. Wenn Paare zusammen bleiben aus einer solchen Vertrautheit heraus, deren Basis die Routine ist, die keine Geheimnisse mehr beinhaltet, die kaum Platz zulässt für mythische Augenblicke der Zweisamkeit, wenn das Gespräch sich bloss um den Alltag dreht (im Sinne von: soll ich den Abfallsack heute heruntertragen und: im Aldi gibt es heute eine Aktion, ich besorge sie uns), wenn bei Abwesenheit des Partners ein Vermissen sich nicht einstellt und seine Wärme nicht spürbar ist (selbst dann nicht, wenn er anwesend ist), wenn auch der Beischlaf zur Routine wird und der schnelle (und vorzüglich eigene!) Orgasmus im Vordergrund steht, ja wenn der Zauber des Augenblicks ausbleibt, dann ist diese Vertrautheit eine erstarrte Vertrautheit, eine administrierte Vertrautheit, einem Verwaltungsakt gleichzusetzen, dem jede sinnliche Basis abhanden gekommen ist. Der gegenseitige Kuss mutiert –auch er- zur Routine, verkommt zu einem mechanischen Akt.

Vertrautheit kann auch in einem anderen Sinne verstanden werden, wenn nämlich Vertrautheit mit Heimat gleichgesetzt werden kann, Heimat im umfassenden Sinn verstanden, d.h. die gemeinsame Schnittmenge der Gefühls- und Gedankenwelt müsste zwar nicht deckungsgleich sein, aber doch in einem hohen Ausmass übereinstimmend. Wenn Paare aus dieser Vertrautheit heraus zusammen bleiben, ist dies ein Geschenk und die Basis einer dauerhaften und dynamischen Beziehung. Oder mit einem Bild gesagt: wenn der eine eine Melodie zu singen beginnt und der andere diese fortführt, ohne die Melodie zuvor gehört zu haben, aber intuitiv führt er sie fort, und wenn daraus sich ein harmonisches Duett entwickelt, dann muss es sich dabei um Liebe - in einem umfassenden Sinne verstanden - handeln.

Wohlgemerkt: ich bin nicht naiv und gehe nicht davon aus, dass Schmetterlinge ständig ausfliegen. Auch sie haben ihre Pausen und Zyklen, aber ich gehe davon aus, dass sie immer wieder aufs Neue ausfliegen, sonst wäre unsere Welt um einiges ärmer. Es geht um Vertrautheit in einem umfassenden Sinn verstanden, die Neues zulässt, Überraschendes, noch-nie-da-gewesenes, als Individuen und als Paar. Dann schaffen wir ein Biotop, in dem sich die Schmetterlinge wohl und glücklich fühlen.

Beim Schreiben dieser Zeilen denke ich an autum und seinen Blog, ich denke aber auch an mich selbst und an eine zauberhafte Begegnung.

Warum löst das Ungewisse Unbehagen aus? Darüber will ich später schreiben.

Sonntag, 11. April 2010

Im Familienwagen

Heute war ich unterwegs im Zug im sogenannten Familienwagen. Der Wagen ist voll, überall spielende Kinder in Begleitung ihrer Eltern. Gegenüber von mir beobachte ich eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Was mir auffällt: der Vater sitzt einfach da, scheinbar anteilslos, die Mutter macht alles, kümmert sich um die beiden kleinen Kinder, die ganz mamafixiert sind (bei diesem Vater kein Zufall, schoss es mir spontan durch den Kopf). Fällt der kleine Junge um, ist sie es, die aufsteht und ihn tröstet. Will die ältere Schwester etwas, ist es wiederum die Mama, die sich um das Mädchen kümmert, der Papa schaut entweder gelangweilt zu oder liest. Die Kinder scheinen sich auch nicht besonders für ihren Vater zu interessieren. So dauert das eine ganze Stunde. Ich beobachte nun nochmals den Mann, wie er da sitzt bzw. thront, die Beine weit von sich gestreckt, in einem Buch vertieft, dann auch mal schlafend. Es fehlte nur noch das Bier. Kann eine solche Ehe Bestand haben?

Samstag, 10. April 2010

...und bleibe am liebsten hier

Ich möchte am liebsten weg sein, und bleibe am liebsten hier. Kann man die innere Zerrissenheit eines Menschen besser zum Ausdruck bringen? Ich weiss: es gibt nicht immer ein klares Ja oder ein klares Nein. Namentlich Übergangsphasen sind von Zerrissenheit geprägt. Der Monat April weiss oftmals nicht, ob er nun zum Winter oder zum Frühling gehört. Eines ist gewiss: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, wie ein afrikanisches Sprichwort besagt. Mit diesem Bild im Kopf und dem Lied von Wolf Biermann über das Ankommen am Ufer gehe ich nun zu Bett.






Das Unaussprechliche benennen

"Wie brauche ich deine Nähe, wie bin ich, seit ich Dich kenne, ohne deine Nähe verlassen".
Ein Satz kann so vieles zum Ausdruck bringen, innerste Gefühle präzis wiedergeben. So spricht Frieda zu K. in Kafkas Schloss. Begegnungen können unbeschreiblich bereichernd sein und den inneren Kern der Seele berühren. Zur Zeit lese ich, getrieben von innerer Unruhe, dieses und jenes, eher unsystematisch, ich suche nach Autoren, von denen ich glaube, sie hätten mir etwas zu sagen, vorzugsweise in Frageform. Heute bin ich zufälligerweise auf Roland Barthes aufmerksam geworden, einen französischen Philosophen der Nachkriegszeit. Nun ist sein "Tagebuch der Trauer" auf Deutsch erschienen. Barthes war zeitlebens ein Suchender, getrieben vor Angst vor der Sterblichkeit, wie ich einem Feuilleton-Artikel entnehme. Er glaubte an die Sprache und ihre Möglichkeit, letztlich therapeutisch wirken zu können: "Mein Kummer ist unausdrückbar, aber gleichwohl sagbar: Schon die Tatsache, dass mir die Sprache das Wort 'unerträglich' zur Verfügung stellt, bewirkt unmittelbar ein gewisses Ertragen". Ich denke, dass Musik einen Gemütszustand (Kummer, Freude etc.) ebenso auf wundervolle, magische Art zum Ausdruck bringen kann.

Loslassen

Texte (wie auch Musik oder Naturerlebnisse) können berühren, beängstigen, Glück oder Ängste auslösen.

Texte können abstossend wirken, andere wiederum können Nähe und Geborgenheit zum Ausdruck bringen. Texte können sehr stark wirken und direkt das Herz und die Seele berühren. Texte uns unbekannter Personen können, wenn sie unsere ureigenen Gefühls- und Gedankenwelten aufnehmen, weiterspinnen, aus einer anderen Perspektive beleuchten, wie ein Blitz einschlagen, plötzlich, ja buchstäblich über Nacht ergreift uns ein Zauber, den wir uns schlicht nicht erklären können und den wir am Liebsten nie wieder loslassen möchten. Werden dann später, aufgrund des offenkundig gegenseitigen brennenden Interesses, auch noch Bilder der eigenen Person ausgetauscht, ferner Skizzen von Lebenswegen, Überlegungen zu diesem oder jenem, und wird bei all dem immer mehr und immer intensiver ein Gefühl des Vertrauten ausgelöst, spätestens dann stehen Fragen im Raum. Doch vielleicht will der Mensch zu sehr bewerten, analysieren, ordnen, sagen, was ist und was nicht.

Heute Nachmittag lese ich die Entwürfe zu einem dritten Tagebuch von Max Frisch, während die Tochter allerlei bastelt. Ich habe eine berührende Stelle gefunden, mitten aus dem Leben gegriffen, schlicht, unspektakulär und voller Zärtlichkeit.

Ich kann vollkommen glücklich sein.
SILS-MARIA:
wenn wir an dem See sitzen, wo Nietzsche seinen Zarathustra gehört hat, und wenn die Gebirge dunkler sind als der abendliche See, der, wo kein Wind ihn kräuselt, ihre Silhouette spiegelt, und wenn es nichts zu sagen gibt; wenn wir um Mittag auf dem glitzernden Firn stapfen und einander mit Schneebällen beschiessen, wenn sie das Picnic ausbreitet auf einem Stein und wenn ich dazu eine Flasche Fendant entkorke, wenn sie hundert Schritte vor mir wandert, als gehörten wir nicht zusammen, und wenn sie vor sich hin singt, bis sie plötzlich wartet (...), wenn wir abermals an dem See sitzen und wenn sie weiter und weiter liest (...), und wenn ich auf einem moosigen Fels hocke und irgendeine Zeitung lese oder mich für die Rinde verschiedener Bäume interessiere (wie Rinden sich anfühlen, wenn man sie in der Hand zermürbt), bis ich nach Stunden in der Ferne zwei Pferde erkenne; wenn sie zwischen den Lärchen zurückkommt im Trab, ihr geknotetes Haar hat sich inzwischen aufgelöst und weht offen (S. 112).

Freitag, 9. April 2010

Alles fliesst

Heute gehe ich wieder relativ spät ins Bett. Aber mein Lebensgefühl ist ein anderes geworden, seit ich ihr vor wenigen Tagen begegnet bin. Vertrautheit stellt sich ein, Gelassenheit auch, gepaart von Sehnsucht, Unruhe auch, aber keine Unruhe aus dem Dunkeln der Seele. Fragen über Fragen, der Kopf will dominieren, derweil die Gefühle eine deutliche Sprache sprechen. Alles fliesst, gut so. Vertrauen darauf, dass das Gras ohnehin wächst. Akzeptieren, dass das Leben letztlich voller Rätsel ist.

Morgen hat meine Exfrau Geburtstag. Mein Geschenk: ein iPod. Gemeinsames Frühstück in einer gemütlichen Beiz im Quartier. Dann trifft sie in Zürich ihre Schwestern, ich bleibe hier und unternehme mit der Tochter irgend etwas, vermutlich gehe ich ins Kommunikationsmuseum, einmal mehr, weil man dort so wunderschön experimentieren und alles anfassen kann. Ich habe schwere Beine und müde Augen. Das Wochenende kommt zum richtigen Zeitpunkt.

Herzlichen Dank

Deine email hat mich soeben erreicht, sie hatte eine unglaublich lange Reise hinter sich (abgeschickt hast Du Deine Nachricht gestern um 16.08 Uhr, heute in der Früh erhalte ich sie). Hast Du eine Ahnung, wie ich mich darüber gefreut habe? Ja, ich denke schon, weil Du dieses Gefühl auch kennst. Ich weiss, was ich heute Morgen im Büro tun werde, nachdem ich die Post sortiert habe: ich werde Dir antworten, dabei beflügelt sein, mit Mozart im Herzen, ich merke, wie das Grau von einem zarten Grün verdrängt wird. Mein Tag beginnt friedlich, mit einem ausgiebigen Frühstück, mit viel Kaffee und frischem Brot, und, nicht vergessen, mit Appenzeller Käse. Der gehört zwingend zu einem guten Frühstück :-).

Donnerstag, 8. April 2010

Rotes Meer

Heute in einer Woche bin ich am Strand des Roten Meeres, zusammen mit meiner Tochter. Ich habe eine Woche Ferien gebucht, in einem Ferienghetto, grosse Anlage, direkter Zugang zum Meer, Kaffee und Kuchen am Nachmittag, und ich habe darauf geachtet, dass es auch eine italienische Pizzeria hat (Kinder mögen halt Pizzas und Spaghetti, egal, wo sie sich gerade aufhalten). Eigentlich freue ich mich, eine Woche lang mit meiner Tochter allerlei Unfug anstellen zu können, Schnorcheln, Burgen bauen, Tischtennis spielen, abends ein Schachspiel, meinetwegen Bauchtänze aufführen (na ja), Zeichnungen kritzeln, aus einem Märchenbuch vorlesen (1001 Nacht?). Ich gehe vor allem deshalb an die Wärme, weil meine Tochter gerne badet und jetzt Ferien und Sonne braucht.

Gleichzeitig fürchte ich mich etwas vor diesem Urlaub, allein aus der Tatsache heraus, dass ich allerlei Paaren begegnen werde oder Familien mit Kindern, und ich, allein mit der Tochter unterwegs, inmitten dieser Leute, von denen viele glauben, im Urlaub dauernd lustig sein zu müssen. Der Sauglattismus feiert unter solchen Umständen Urstände. Meine Horrorvorstellung, dass sich die Sehnsucht wieder einstellen wird, eine Leere wird sich breit machen, vor allem abends, wenn die Kleine friedlich schläft und ich noch in der Hotelanlage herum tigern werde, getrieben aus Rastlosigkeit...draussen das Meer, die Palmen, industrielle Musik als Dauerberieselung....doch zum Glück im Gepäck: Frisch, Entwürfe zu einem dritten Tagebuch, seit diesen Tagen im Buchhandel erhältlich. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Stationen eines Lebens

1. Allein sein
2. Der Beginn einer Beziehung
3. Heirat
4. Das Ende einer Beziehung
5. Einsamkeit

So die Stationen im Spielfilmerstling "Nothing Personal" der polnischstämmigen Regisseurin Urszula Antoniak. Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber ich muss ihn sehen, da mich die Thematik verfolgt. Die fünf Stationen eines Lebens irritieren und provozieren mich zugleich. Einsamkeit als Resultat einer gescheiterten Beziehung? Das Ende einer Beziehung wäre demnach gleichzusetzen mit einer Katastrophe. Deshalb die verbreitete Angst vor dem Ende einer Beziehung, die Angst vor der Anschlussfrage nach dem wie weiter? und jetzt? was nun? Vor allem aber dies: man wird zurückgeworfen auf sich selbst, das Du existiert nicht mehr, auch wenn es zuvor schon lange geschwiegen hatte und einer Antwort nicht mehr fähig war.

Ich surfe dann und wann im "Trennungsforum" und lese die Geschichten all dieser betroffenen Personen, die während bzw. unmittelbar nach der Trennung Wut, Enttäuschung, Selbstzweifel, Trauer und vor allem Angst zum Ausdruck bringen. Mir ging es nicht anders, eine Trennung namentlich einer langjährigen Beziehung, zumal wenn noch Kinder im Spiel sind, ist mit gehörigen Krisen verbunden, mit existenziellen Ängsten und Zweifel. Aber ich halte daran fest: was ist, wenn die Seele in einer bestehenden Beziehung schreit und nicht gehört wird? Wie ist dann mit der ohne Zweifel vorhandenen Einsamkeit umzugehen, Einsamkeit verstanden als die Erfahrung, existenziell nicht verstanden zu werden? Wie lange ist die Beziehung in einer solchen Konstellation erträglich?

Stationen eines Lebens - mögliche Elemente (Stichworte)

Station 1: Das Alleinsein ist kein erstrebenswerter Zustand, er ist nur als Übergangssituation erträglich.
Station 2: Adrenalin, Neugierde, Leidenschaft, auf das Du bezogen, orgiastisch, stark gegenwartsbezogen, im positiven Sinne auch egoistisch.
Station 3: wenn als Metapher für Konsolidierung der Beziehung verstanden: Vertiefung, Heimat, Vertrautheit, Oase, aber parallel dazu auch -hoffentlich!- mit Elementen aus Station 2. Mit der Zeit Gefahr der Abnutzung, der Routine, der Selbstverständlichkeiten und der Illusion, "den anderen" durch und durch zu kennen und sich damit "ein Bild" von ihm zu machen, wodurch jegliche Entwicklung -individuell und als Paar - eingefroren wird.
Station 4: je nach Konstellation: Frustration, Angst, Selbstzweifel, Anklage, Wut, Schweiss, Orientierungslosigkeit, Leere, aber auch: Befreiung, durchatmen, durchstarten, Neuorientierung, Dankbarkeit, gereift, Metamorphose
Station 5: allgegenwärtig vorhanden, mit Ausnahme allenfalls in Station 2. Lässt sich Einsamkeit verbannen? Vermutlich schon. Unabdingbare Voraussetzung: Seelenverwandtschaft und Freundschaft im besten Sinne des Wortes. Grundsätzlich gilt jedoch: Einsamkeit als existenzielle Erfahrung des Menschen.
Aber auch: ist selbstgewählte Einsamkeit leichter zu ertragen als das Verlassen werden? Wäre dies eine Option für ein erfülltes Leben? Ich glaube nicht, dass man sich gegen das Leben schützen kann und soll. Was wohl am Ende eines Lebens besonders schwer wiegt sind nicht eingegangene Risiken und ignorierte Optionen.

Seelenverwandtschaft

Sehnsucht macht sich breit
an diesem gewöhnlichen Donnerstagmorgen
ohne Morgenröte
grau und regnerisch daherkommend
naive Sehnsucht, verbunden mit dem Drang, aufzubrechen
wissend und ahnend
dass Seelenverwandtschaft möglich ist
oftmals verborgen
und wenn das Leben uns ärgern will:
weit weit weg
Lichtjahre entfernt
und doch so nah
virtuelle Umarmungen
das Gefühl des schon-einmal-begegnet-sein
gleichzeitig wachsam sein
den Boden unter den Füssen wahrnehmen
ebenso die Augenblicke des Alltags
ein schönes Gefühl
ein menschliches Gefühl zu registrieren
dass man lebt
und bei all dem: sich nicht verlieren
und dennoch dankbar sein
auch wenn es schwer fällt

Mittwoch, 7. April 2010

I Cried for you

Ich danke Dir für Deinen Tipp - was für eine Stimme, für eine Musik, für einen Text, und was für eine Stimmung, die in diesem Song transportiert wird. Ich werde heute Nacht friedlich einschlafen können...aufgewühlt auch, um nicht zu sagen aufgekratzt.

Berufsalltag und das Denken im Konjunktiv

Ich sitze hier im Büro und schreibe an irgendwelchen Berichten (deren Inhalt mich nicht wirklich interessieren), muss Stellung nehmen zu Vorstössen und dergleichen mehr. Berufsalltag. Dieser schützt mich auch vor der immerwährenden Auseinandersetzung mit meinen Themen, er lenkt mich ab und zwingt mich, meine Gedanken auf das berufliche Hier und Jetzt zu konzentrieren. Mein Fenster ist offen, ich höre etwas Lärm, das von der Strasse herkommt, mein Büro befindet sich mitten in der Stadt, also höre ich zeitweise Stimmen, Vogelgezwitscher auch, die elektronischen Motoren der städtischen Bahnen. Von Ferne höre ich zeitweise auch Strassenmusikanten, die irgendwelche Lieder von Dylan oder der Beatles singen, na ja, sie geben sich zumindest Mühe. Das ist nicht selbstverständlich.

Ich spüre gleichzeitig das Gefängnis, mein inneres Gefängnis, das mich zwingt, im Konjunktiv zu denken: Was wäre, wenn? Fluchten in Tagträumereien, die unrealistische, naive Lust, zum Flughafen zu fahren, abzufliegen (Destination unbekannt), das jetzige Leben zumindest für einen Augenblick abzustreifen, neue Identitäten auszuprobieren, so wie Gantenbein im Roman von Frisch, der eines Tages beschliesst, so zu tun, als sei er blind - und so mitbekommt, wie die Umwelt ihn täuscht - der Mensch, der vermeintlich blind werden muss, um die Augen zu öffnen. Doch weiss ich auch: Paris, Tokio, Berlin oder New York, wo auch immer du bist, du nimmst dich mit, du kannst nicht vor deiner selbst flüchten. Das innere Gefängnis könnte ich nicht im Archivschrank meines Büros deponieren. So einfach geht das nicht. Also hiesse das, das innere Gefängnis und damit den Gefangenen und den Wärter in sich zu akzeptieren? Ich weiss: ich bin gleichzeitig Gefangener als auch Wärter. Ein Wechselspiel, die Personen bedingen sich gegenseitig. Ihnen will ich näher auf den Grund gehen.

Morgenröte

Ich bin soeben aufgestanden.
Was sehe ich vom Fenster aus? Die Berge, wie sie am Horizont mächtig stehen und sich im zarten Morgenrot umhüllen. Der Himmel: halbwegs dunkel noch, aber die Morgenröte kündet einen schönen Tag an, die Vögel zwitschern laut.

Ich will duschen, das Frühstück zubereiten.
Innere Unruhe macht sich breit, nachdem ich gestern Abend ruhige Momente verbringen konnte. Das Frühlingswetter stachelt mich an, verleitet mich zur Annahme, ich würde etwas verpassen. Immer wieder der Gedanke: Herrgott, da draussen wartet etwas auf dich.
Aber ich merke es nicht. Registriere es nicht, laufe daran vorbei.
Der Landvermesser aus Kafkas Schloss kommt mir in den Sinn, der vergeblich um Einlass ins Schloss bittet. Eine furchtbare Geschichte, die den Menschen völlig dem Labyrinth überlässt.
Aufbruchstimmung macht sich dennoch breit.
Das Morgenrot wird immer intensiver, die Berge sind zum Greifen nah, einer Fata Morgana gleich.
Und ich schaue auf die Uhr: die Zeit läuft und läuft, ja sie rast, ich muss duschen und das Frühstück zubereiten und bald schon meine Tochter aus ihren Träumen wecken.
Sie ist wieder gesund und freut sich auf die Schule.

Dienstag, 6. April 2010

Fragebogen (II)

Fortsetzung
  1. Warum, glauben Sie, haben viele Menschen Sehnsucht nach einer Insel?
  2. Haben Sie diese Sehnsucht auch? Und wenn ja: warum, glauben Sie, haben auch Sie diese Sehnsucht? Was für Bilder assoziieren Sie mit der vielzitierten Insel?
  3. Lieben Sie Berge? Wenn nein: machen Ihnen Berge Angst?
  4. Blühen Sie jetzt, wo es Frühling wird, auf?
  5. Wovor haben Sie mehr Angst: a. vor unheilbaren Krankheiten b. vor Wendepunkten in Ihrem Leben c. vor Trennungen d. vor Einsamkeit e. vor Arbeitslosigkeit f. vor Spott
  6. Möchten Sie manchmal Ihnen unbekannte Personen küssen, einfach so spontan, weil sie Ihnen gefallen?
  7. Wenn ja: beängstigt Sie dies?
  8. Wann waren Sie zum letzten Mal a. an einer Beerdigung b. an einem Familienfest c. an einer Taufe d. an einer Hochzeit.
  9. Welche dieser Anlässe mochten Sie gar nicht, welche besonders? Warum?
  10. Waren Sie schon einmal in Ihrem Leben in einem Slum? Wenn ja: was dachten bzw. fühlten Sie dabei? a. Ekel b. Angst c. Mitleid d. Abenteuerlust e. nichts
Fortsetzung folgt

Fragebogen (I)

Meine Tochter ist immer noch kränklich, also bleibt sie heute zu Hause - und damit auch ich. Nachmittags kommt meine Mutter und löst mich ab.

Ich habe mich von Frisch inspirieren lassen und einen Fragebogen entworfen - einen Fragebogen über Liebe und Sehnsucht. Die mir spontan eingefallenen Fragen zwingen mich, Position zu beziehen. Fragen zu formulieren führt mich weiter, zeigt mir, was mich bewegt, beunruhigt, interessiert. Es geht nicht darum, alle Fragen zu beantworten, oftmals sind die Antworten provisorischer Natur und führen uns in unserer Erkenntnis weiter. Antworten führen allenfalls zu weiteren Fragen, einer Spirale der fortschreitenden Erkenntnis gleich.
  1. Angenommen, Ihre jetzige Beziehung sei unbefriedigend. Wären Sie bereit, die Konsequenzen zu ziehen? Wenn nein, warum nicht?
  2. Wären Sie zu einer sog. Fernbeziehung bereit? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum? Was wäre aus Ihrer Sicht eine Fernbeziehung? Liesse sie sich in der Anzahl Kilometer / Zug- bzw. Flugstunden messen? Wo liegen für Sie die Grenzen, in Stunden gemessen?
  3. Müssen Sie Ihren Partner/Ihre Partnerin täglich sehen, oder glauben Sie, dass im Gegenteil getrennte Wohnungen und zeitweise getrennte Wege von Vorteil sind?
  4. Angenommen, Sie leben in einer aus Ihrer Sicht unglücklichen Beziehung. Reizt Sie manchmal eine amouröse Affäre? Wenn ja, glauben Sie, dass dies vitalisierend auf Ihre aktuelle Beziehung wirken könnte, oder glauben Sie im Gegenteil, dass dies der Anfang vom Ende Ihrer Beziehung einläuten könnte?
  5. Falls Sie davon ausgehen, dass eine amouröse Affäre Ihre jetzige Beziehung gefährden könnte, wirkt dies a. beängstigend b. befreiend c. neutral auf Sie?
  6. Möchten Sie manchmal spontan einen Zug oder ein Flugzeug besteigen und gewissermassen Ihr jetziges Leben, wenn auch nur für ein Wochenende, hinter sich lassen? Wenn dem so wäre, warum tun Sie es nicht?
  7. Glauben Sie, dass Monogamie a. angeboren oder b. kulturell c. religiös bedingt ist?
  8. Leben Sie monogam, und wenn ja, warum (vgl. Frage 7) ?
  9. Haben Sie manchmal Phantasien, die Ihnen Angst machen? Wenn ja, kämpfen Sie gegen Ihre Phantasien an oder lassen Sie sie zu?
  10. Wenn Sie Ihre Phantasien zulassen: möchten Sie sie auch ausleben? Gänzlich oder nur partiell?
  11. Ist die Ehe aus Ihrer Sicht ein Auslaufmodell?
  12. Glauben Sie, dass Kinder eine Ehe kitten können?
  13. Sind Sie jetzt, im Frühling, abenteuerlustiger als im Winter?
  14. Kann man gleichzeitig zwei Menschen lieben? Oder ist Liebe zu einem Menschen vielmehr etwas Exklusives?
  15. Gibt es aus Ihrer Sicht ein Alter, ab dem man sich sagen muss: jetzt kann ich mein Leben nicht mehr substanziell ändern? Wenn dem so wäre, wo würden Sie diese Altersgrenze ansetzen? Bei 30, 35, 40, 45, 50, 55, 60?
  16. Oder glauben Sie, dass man sein Leben auch mit 65 oder 70 im Sinne eines Aufbruchs umkrempeln kann?
  17. Packt Sie manchmal blinde Wut, ohne ersichtlichen Grund? Wenn ja, können Sie mögliche Gründe dennoch benennen?
  18. Wie lange, glauben Sie, dauert der Zustand des Verliebtseins an?
  19. Intensive Gefühle machen Ihnen a. Angst b. regen Sie an.
  20. Können Sie sich vorstellen, sich in einen Menschen zu verlieben allein aufgrund seiner intellektuellen und/oder moralischen Fähigkeiten bzw. Ansichten?
  21. Können Sie sich vorstellen, mit einem älteren bzw. jüngeren Partner zusammen zu sein? Wenn ja, wie gross kann aus Ihrer Sicht dieser Altersunterschied sein? 5, 10, 15, 20 Jahre?
  22. Können Sie sich spontan verlieben? Wenn ja, macht Ihnen dieser Umstand Angst? Oder beflügelt er Sie vielmehr?
  23. Können Sie sich vorstellen, einem Menschen real zu begegnen, der Ihnen bislang nur virtuell aufgefallen ist?
  24. Wären Sie bereit, für einen Menschen Ihre Stadt / Ihr Land zu verlassen?
  25. Sind Sie manchmal grundlos traurig? Wenn ja, was machen Sie in einem solchen Augenblick?
  26. Falls Sie die vielzitierte Schulter, an die man sich anlehnen kann, vermissen, was tun Sie dann?
  27. Sprechen Sie Menschen spontan an? Wenn nein, warum?
  28. Wenn ja: Haben Sie die Ihnen unbekannte Person zu einem Glas Wein eingeladen? Oder zu einer Tasse Kaffee?
  29. Was halten Sie von sog. one-night-stands? Erachten Sie diese als a. verwerflich b. unnütz c. frustrierend d. belebend. e. langweilig
  30. Glauben Sie, dass die möglichen Antworten zu Frage 29 vor allem abhängig sind vom Zivilstand?
  31. Haben Sie einmal oder mehrere Male für Sex bezahlt? Wenn ja, wie fühlten Sie sich dabei? Wenn nein, warum nicht: aus a. moralischen Gründen b. weil es Sie ekeln würde c. weil Sie es schlicht nicht nötig haben.
  32. Bevorzugen Sie eher jüngere oder ältere Partner/innen?
  33. Was denken Sie, wenn Sie einen Menschen sehen, der mit einer wesentlich jüngeren Person amourös unterwegs ist? Finden Sie es a. komisch b. verwerflich c. anregend d. interessant e. nicht nachvollziehbar
  34. Fühlen Sie sich zeitweise von Personen ausschliesslich körperlich stark angezogen, also auch dann, wenn Sie sie ansonsten (intellektuell) für uninteressant halten?
  35. Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?
  36. Oder glauben Sie vielmehr, dass Liebe sich entwickeln kann, auch wenn man sich beim ersten Kennenlernen allenfalls gegenseitig sogar für unsympathisch hält?
Fortsetzung folgt.

Montag, 5. April 2010

Max Frisch


Aus dem Ausflug wurde heute nichts, meine Tochter ist ziemlich schnell krank geworden, nichts Dramatisches, eine Erkältung, Fieberschub, sie schläft tief und fest, bereits heute Nachmittag konnte sie ihren Heilschlaf antreten - das gab mir die Möglichkeit, wieder einmal alte Bücher zur Hand zu nehmen, so zum Beispiel jene von Max Frisch.

Ich lese Frisch seit rund 30 Jahren, als Jugendlicher, ja Halbwüchsiger habe ich angefangen, seine Bücher zu lesen, damals natürlich mit ganz anderen Augen, vieles verstand ich gar nicht, war nicht fähig, zwischen den Zeilen zu lesen, die Symbolkraft hatte ich auch nicht kapiert, ich war für diese Literatur wohl zu jung. Aber ich mochte seine Romane trotzdem, allen voran Homo Faber. Mich faszinierte seine Fähigkeit, Begegnungen und Ereignisse haarscharf zu beschreiben, Stimmungen zu schaffen, mit der Sprache zu spielen und eine abgerundete Geschichte zu erzählen.

So habe ich heute Nachmittag Homo Faber wieder zur Hand genommen, jene Geschichte des Ingenieurs Faber, der glaubt, die Welt allein durch die Ratio erfassen zu können ("warum Mystik? Mathematik genügt mir"). An Zufall oder Fügung glaubt er nicht, das wäre unwissenschaftlich, vielmehr glaubt er an Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Korrelationen. Und dieser Faber lernt auf einer Reise eine junge Frau kennen, Sabeth, von der er nicht weiss, dass es seine Tochter ist, vielmehr glaubte er irrtümlicherweise, seine damalige Partnerin Hanna hätte das Kind abgetrieben, aber es kam anders. Und er verliebt sich in diese junge Frau, nichts ahnend, später kommt es zu einem Unfall, die junge Frau stürzt und erliegt später ihren Verletzungen im Spital, er, Faber, erfährt nun von seiner damaligen Partnerin, die er 20 Jahre lang nie wieder mehr sah, dass Sabeth seine Tochter gewesen sei, und zu allem Überdruss muss er auch noch etwas später in Erfahrung bringen, dass er todkrank ist und bald sterben muss.

Ich habe den Roman mit Genuss wieder gelesen, wieder entdeckt, viele Passagen haben mich berührt, Beobachtungen, feine Andeutungen, Fragen an das Leben...was ich bei Frisch mag: seine Schnörkellosigkeit, menschliche Begegnungen aufs Wesentliche zu reduzieren: "Ich wagte nicht zu fragen: was machen Sie heute Abend? Ich wusste immer weniger, was für ein Mädchen sie eigentlich war. Unbekümmert in welchem Sinn? Vielleicht liess sie sich wirklich von jedem Mann einladen, eine Vorstellung, die mich nicht entrüstete, aber eifersüchtig machte, geradezu sentimental" (Werkausgabe Suhrkamp, 1976, Band IV I, Homo Faber, S. 101).

Nichts wie 'raus

Die Natur ruft, heute an diesem verlängerten Wochenende machen wir eine gemütliche Wanderung entlang eines Gewässers, die Tochter freut sich schon, mit dem Wasser zu spielen und den Vögeln nachzuspringen, die dort so zahlreich zu finden sind, namentlich Rotkehlchen. Wir haben das Privileg, innert weniger Minuten mit dem Zug in einer Art Canyon zu sein. Eine Art Grand Canyon für die tiefe Provinz :-), mit einer ganz speziellen Vegetation, bedingt durch das dort herrschende Mikroklima. Loslassen können, ja. Und sei es bloss für einen Tag.

Sonntag, 4. April 2010

Seelenverwandtschaft

Ich habe einen unaufgeregten Ostersonntag erlebt. Kleines Osterritual für die Tochter, Mittagessen, dann raus an die frische Luft, das Wetter zeigte sich bei uns wechselhaft und eher kühl. Abends gemeinsames Nachtessen mit der Tochter und ihrer Mama.

Ich bin nun zu Hause und geniesse diese sonderbare Stille im Raum. Ich öffne das Fenster und höre praktisch nichts, es kommt mir vor, als würde ich in der tiefsten Provinz leben. Sehnsucht stellt sich wieder ein, es ist eine Sehnsucht nach Seelenverwandtschaft, ich schaue zum Himmel hinauf und sehe, weit weit weg, Flugzeuge, ich stelle mir vor, deren Passagiere seien Geschäftsleute, Ferienreisende, Menschen, die unterwegs sind und vielleicht auch nach Glück und Zufriedenheit suchen - oder diese bereits gefunden haben. Doch wo ist meine Seelenverwandte? Hier gleich um die Ecke (das glaube ich nicht) oder weiter weg, in der Stadt, oder jenseits der Landesgrenzen, vielleicht in einem dieser Flugzeuge? Gibt es diesen Menschen überhaupt? Ja, es gibt ihn, und ich hatte auch schon das Glück, diesem Menschen zu begegnen, jenem Menschen, der meine Seele zart berühren konnte. Ich ahne aber auch, dass es -ich gebe die Hoffnung nicht auf- noch weitere dieser seltenen Exemplare gibt, ihnen zu begegnen ist freilich ein Glücksfall. Gibt es dabei den Zufall, oder wird das viel beschworene Schicksal mir den Weg zeigen? Die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung bereitet mir immer wieder Mühe bzw. versetzt mich in eine gewisse Panik. Was, wenn die Begegnung nicht stattfinden wird? Ich kann mir ein Leben ohne Seelenverwandte ehrlich gesagt nicht vorstellen, es wäre ein nur halb gelebtes Leben, trotzdem lebenswert, sicher, aber ohne tiefere Berührung, ohne Erschütterung im besten Sinne des Wortes. Die bohrende Frage nach dem Zufall verfolgt mich: soll man ihm vertrauen, diesem Zufall? Wenn es ihn denn gibt, diesen Zufall, so gibt er sich launisch, und versprechen kann er ohnehin nichts. Kann dem Zufall etwas "nachgeholfen" werden? Oder ist es schlicht eine Lotterie, der Seelenverwandten zu begegnen?

Den Zufall will ich nicht ganz abschreiben, noch "glaube" ich an ihn *. Er hat ja auch einen schweren Stand, schliesslich sehen wir ja doch nur das, was wir vermeintlich kennen, Zwischentöne (in welcher Form auch immer) werden oftmals nicht registriert, vor allem dann, wenn sie ganz subtil daher kommen.

Ich sehe sie nach wie vor, die Flugzeuge, wie sie sich scheinbar am Himmel kreuzen und aus allen Richtungen kommen, lautlos schweben sie über meinen Kopf hinweg, ganz weit weit weg. Mein Blick wandert Richtung Stadt, gedanklich bin ich überall und nirgendwo. Meine Seele bleibt einsam, die abendliche Unruhe macht sich wieder bemerkbar, einmal mehr.

* Nachtrag: natürlich kann man sich auch auf den Standpunkt stellen, alles sei "Fügung", "Schicksal", ja das ganze Leben sei "vorbestimmt" (Calvin). So gesehen gäbe es gar keine Zufälle, auch die menschliche Geschichte wäre dann ebenso vorbestimmt, angeführt von einem "Weltgeist" (Hegel) oder angetrieben bzw. determiniert von den materiellen Bedingungen (Marx). Ich bin mir nicht sicher, woran ich glauben soll, schwanke hin und her. Ich werde in einem späteren Beitrag versuchen, darüber nachzudenken.

Dies hier ist aber bestimmt Zufall :-): ich habe eine gewisse Emily Bear für mich entdeckt, dieses Mädchen ist gerade mal gleich alt wie meine Tochter. Wie sie Piano spielt (und darüber hinaus auch schon selber komponiert), ist doch sehr bemerkenswert.

Samstag, 3. April 2010

Ostern

Heute hatte ich einen vollen Tag: morgens mit der Exfrau joggen, danach rasch duschen, umziehen, einkaufen. Um 1400 Uhr kommt dann ein alter Studienkollege mit seiner Frau und seinen beiden Kindern vorbei, um etwas Gemeinsames zu unternehmen. Auf dem Programm steht ein Kindertag, ich kenne in einer Kleinstadt unweit von hier einen absolut tollen Indoor-Spielplatz. So gingen wir hin, die Frau des Freundes geht shoppen, die Väter sind mit ihren Kindern am Spielen, stundenlang. Als sich der Hunger meldete, ging die ganze Runde in eine gute Pizzeria. Nun bin ich wieder zu Hause.

Mein Freund ist Existenzialist. Immer wieder stellt er mir die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz. Er ist ein herzengsguter Vater, dann und wann mit der Erziehung etwas überfordert. Er lässt vieles geschehen bzw. überlässt es seiner Frau. Konflikten mit seinen Kindern (aber nicht solche beruflicher Natur) weicht er eher aus. Warum leben wir überhaupt? Warum gibt es Leben, zu welchem Zweck? Und was ich von Ostern halte. Mir sagt dieses Osterfest wenig, ich kann mit der Auferstehungsgeschichte wenig anfangen. Ich denke je länger je mehr, dass alles vergänglich ist und dass die menschliche Existenz keinem wie auch immer gearteten höheren Sinn folgt. Der Mensch lebt und stirbt, das war's dann. Das heisst für mich aber noch nicht zwingend, dass es keinen Gott gibt. Wenn es ihn denn gibt, dann stelle ich mir ihn als zynisch vor, oder aber er ist in einem tiefen Schlaf. Er kann aber auch wach sein, dann bleibt er jedoch passiver Beobachter und lässt sein Werk unbeeinflusst geschehen. Morgen werde ich nicht in die Kirche gehen, nein, ich werde vielmehr Ostereier mit meiner Tochter färben. Dann verstecken wir das Ganze, und die Mama muss das Nest suchen. So haben wir das Programm vereinbart. Ob er dabei zuschaut, kann ich nicht beantworten, und die Frage beschäftigt mich nicht.

Freitag, 2. April 2010

Ich lebe

Heute nachmittag war ich mit meiner Tochter wieder einmal im Zoo. Es wimmelte von Leuten, viele Familien mit Kindern waren unterwegs. Ich beobachte jeweils gerne die Szenen, die sich spontan anbieten, ich sehe hilflose Väter, die mit ihren Kindern letztlich nichts anfangen können, aber auch herzensgute Väter sehe ich, die, wie mir scheint, einiges verstanden haben und sich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern. Ich sehe auch oft Mütter (Väter eher selten), die allein mit ihren Kindern unterwegs sind. Nicht selten sehe ich dabei eher verbitterte Gesichter, zumindest mürrische, von Lachen oder Lächeln keine Spur. Dann, etwas später auf dem grossen und wirklich toll gemachten Spielplatz, ist der Teufel los. Ich treffe dabei zufälligerweise auf einen alten Kollegen, der auch mit seiner Tochter unterwegs ist. Er erzählt mir von seiner Frau, bei der kürzlich Krebs diagnostiziert worden ist. Dann das übliche: Operation, Bestrahlung, Hoffnung und Angst. Im Sommer wisse man dann mehr. Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben, wie es Luther treffend formulierte. Ich bin dankbar für meine Gesundheit, dankbar dafür, dass ich jeden Morgen aufstehen und soweit sorglos leben kann.
Sollte ich mich damit zufrieden geben?
Nein.

Karfreitag

Karfreitag - ich mag als Agnostiker kirchliche Feiertage ohnehin nicht besonders. Karfreitag beelendet mich in einer gewissen Weise, es ist ein Tag des Todes, ja, der Vernichtung des Lebens. Ich sage dies nicht aus religiöser Perspektive, das Ereignis des Karfreitags ist soweit historisch belegt. Natürlich, was hierzu im Neuen Testament steht, ist eine andere Frage, die mich letztlich aber nicht besonders bewegt, vielmehr interessiert mich das Symbolische, das für Karfreitag steht. Ach nein, ich mag nicht wieder grübeln. Ich werde jetzt joggen gehen, die Sonne scheint, der Wald um die Ecke ruft, die Vögel machen sich laut und deutlich bemerkbar, die haben keinerlei Karfreitagsblues. Während des Schreibens und gleich anschliessend während des Rasierens höre ich Sophie Hunger - ihre Musik entspricht heute Morgen ziemlich genau meiner Stimmung.

Donnerstag, 1. April 2010

In der Oper

Heute Abend konnte ich wieder einmal meinen Emotionen freien Lauf lassen. An unserem Stadttheater wurde Mozarts erste Oper "la Finta Giardiniera" als Premiere aufgeführt. Beeindruckend für mich war namentlich die Inszenierung. Eine junge Regisseurin, keine 30 Jahre alt, hat diese Oper aus einer gänzlich neuen Perspektive aufführen lassen und dafür, zu Recht, einen international renommierten Preis erhalten. Und natürlich, alles drehte sich um die Liebe, um Intrigen, unglücklichen Verhältnissen, enttäuschter Liebe, um Hoffnung, Traurigkeit, Missverständnissen und Glückseligkeit. Da sass ich also, meine Tochter auf dem Schoss, rechts davon meine Exfrau. Die Musik ist mir eingefahren, einmal mehr, und in Kombination mit der Neuinszenierung erst recht. Hier hat eine junge kluge Frau Mozart durchdrungen und damit verstanden (oder eben vielleicht auch richtig missverstanden), ihn ins Hier und Jetzt transportiert und fassbar gemacht. Vor allem ist sie mit herzlicher Frische, ja vielleicht mit kluger Naivität, an das Werk herangegangen und hat etwas gewagt. Da kann ich nur sagen: Hut ab.
Hier ein Ausschnitt aus der "Zürcher Inszenierung", die auch ganz erfrischend daher kommt.

Was gut täte

In einem Kommentar meint autum, ich hätte eigentlich ein schönes Leben. Nun gut, im Grunde der Dinge hat er ja Recht, mir geht es gut, ich bin gesund, meine Tochter ist gesund, glücklich (das vor allem zählt) und munter, materiell geht es mir auch gut, ich bin körperlich und geistig fit. Vermutlich führe ich ein Leben, das viele andere auch führen, unspektakulär zwar, aber soweit okay. Vermutlich führe ich in einer gewissen Art und Weise auch ein Eheleben, wie viele andere auch, nur mit dem Unterschied, dass wir örtlich getrennt voneinander leben und darüber hinaus keinen Sex miteinander haben - aber letzteres dürfte in vielen Ehen der "Normalfall" sein, nur spricht niemand gerne darüber, aus Scham vermutlich.

Was mir gut tun würde, fragt autum im erwähnten Kommentar weiter. Vordergründige Antwort:
ich habe das Singleleben (soweit ich überhaupt mein Leben als Singleleben bezeichnen kann) satt, ich möchte, wie jeder normale Mensch auch, eine Partnerin, genauer: eine Lebenspartnerin an meiner Seite haben. Eigentlich ein ganz trivialer Wunsch, nichts Extravagantes, sondern ein menschliches Bedürfnis nach Wärme uns Verlässlichkeit.

Hintergründige Antwort:
ich bin nicht naiv und weiss, dass dadurch meine existenziellen Fragen und Ängste sich nicht in Luft auflösen würden. Die zeitweise nagende Unruhe und die bisweilen kaum in Worte zu fassende Sehnsucht lösten sich nicht in Luft auf, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod wäre nach wie vor stark präsent, die melancholische Grundstimmung bliebe auch weiterhin wohl Teil meiner Selbst - Partnerin hin oder her. Wenn ich auch dann und wann einer Frau begegne, mit der ich eine Nacht lang zusammen bin, so mag mich dies eine Zeit lang "in Laune" halten, aber danach bleibt ein schales dumpfes Gefühl zurück. Ich will über Gott und die Welt reden können, will intellektuelle Nahrung und nicht bloss "Spass", namentlich weil Spass vergänglich ist und weil "nur Spass" letztlich hohl wirkt und mich schrecklich langweilt. Und bei all dem weiss ich auch, dass meine Exfrau eine wichtige Bezugsperson bleiben wird, nur schon aus dem schlichten Umstand, dass wir ein gemeinsames Kind und damit eine gemeinsame Verantwortung haben. Und wir kennen uns seit über 20 Jahren - gemeinsam Erlebtes verbindet, das lässt sich nicht wegdiskutieren.

Was übrig bleibt ist Freundschaft (Frisch): ich stelle mir einen Holztisch vor, schön und schlicht dekoriert, darauf zwei Gläser Rotwein (vorzüglich aus dem Burgenland), Schinken aus dem Piemont, Essiggurken, dunkles Brot, Käse (Appenzeller), Früchte (Birnen, Erdbeeren, Himbeeren), gute Gespräche, im Hintergrund Musik von Bach oder Mozart, sanfte Berührungen (auch nur im übertragenen Sinn) und das Gefühl, einer Seelenverwandten gegenüber zu sitzen. Ob das zu viel verlangt ist?