Donnerstag, 31. Januar 2013

weibliche Projektionsfläche (?)

Man kann sich Don Giovanni auch ganz anders als bisher vorstellen, nämlich: als Projektionsfläche von Frauen. Die Regisseurin an der Staatsoper Hamburg stellt genau diesen Gedanken in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung....und warum können wir Frauen anscheinend ohne Don Giovanni nicht leben...ich nehme es mit Interesse zur Kenntnis und finde die Inszenierung mehr als nur gelungen.

Als ich kürzlich mit einer Frau über Brüderle und die Sternjournalistin sprach, meinte sie ziemlich angriffslustig: ach komm, wo Frauen und Männer zusammenkommen, kann es halt erotisch funken, zumal um Mitternacht in einer Bar, wo man wohl kaum bei Kamillentee über Einsteins Relativitätstheorie fachsimpeln möchte. Da hat sie wohl nicht ganz Unrecht.

Was ich nicht möchte: eine aseptische Arbeitsatmosphäre gepaart mit biederer Muffigkeit. Und so tun, als seien wir alles asexuelle Wesen, nur weil es gewisse Idioten gibt, aber auch Ignoranten (männliche wie weibliche), die erotisches Spiel (bitte, ich spreche hier nicht von plumper Anmache!) reflexartig mit sexueller Belästigung gleichsetzen. Brüderle und die Sternjournalistin hin oder her.
P.S.: wie steht es nun mit Don Giovanni genau, liebe Frauen?

Übrigens: unter der erwähnten Prämisse ist die Inszenierung von Amsterdam noch radikaler als jene von Hamburg und fokussiert sich ganz auf die Umwelt von Don Giovanni, indem dieser zum Objekt seiner Umwelt wird. Oder anders gesagt: nicht Don Giovanni macht die Frauen zu Objekten seiner Lust, sondern er wird zum Objekt weiblicher Lust umgedeutet...eine schöne, elegante und subtile Umdeutung (Umdeutung?) all dessen, was bisher unter Don Giovanni gezeigt worden ist.

Mittwoch, 30. Januar 2013

Die brennende Kerze


Die brennende Kerze auf dem Tischchen nahe des Haupteingangs gibt jeweils bekannt, dass eine Heimbewohnerin oder ein Heimbewohner gestorben ist, und hinter der Kerze ist ein Bild mit dem Namen der/des Verstorbenen aufgestellt. So heisst es lapidar und amtlich nüchtern:  "Emma Steiner, geboren am 14. Oktober 1921, ist am 30. Januar 2013 gestorben". Die Bewohnerinnen und Bewohner des Altersheims nehmen es stillschweigend zur Kenntnis, und viele, so scheint es, schauen darüber hinweg. Man spricht nicht über den Tod. Und doch stellt sich ein jeder die bohrende Frage, ob er der Nächste sein wird.
Doch  im Altersheim schweigen die Sterbeglocken, und die Kerze brennt jeweils nicht lange. Gleich ihr gegenüber sind die Menükarten angeschlagen, und dem schwarzen Brett ist zu entnehmen, dass dienstags geturnt und mittwochs gesungen wird. Und am Samstag kommt eine Jazzband vorbei und wird Dixieland spielen. 

Dienstag, 29. Januar 2013

Vom einfühlsamen Freund, oder: eine kleine Polemik

Aufgeschnappt und zitiert (in: Magazin des Opernhauses Zürich, 02/Seite 12):

Das eigene Leben reflektierend und ständig bemüht, sein Handeln und Fühlen sensibel wahrzunehmen, nach aussen zu kehren und zu optimieren, hat sich der Mann auf einer ewigen Metaebene verheddert, von der er nicht wieder herunterkommt. Auf die junge Frau wirkt die neue männliche Innerlichkeit, das subtile Nachhorchen in die tiefsten Windungen der Gefühlsregungen schrecklich kompliziert. Und auf die Dauer furchtbar unsexy (...). statt fordernd zu flirten, gibt er sich als einfühlsamer Freund. Er achtet auf sich, ist höflich, lieb, immer gepflegt und gewaschen, benutzt Parfums und Crèmes, macht Diäten und hört wunderbar melancholische Mädchenmusik (...). Spiegeln gleich stehen sich die Geschlechter gegenüber und hyperreflektieren ihre Beziehung zu Tode, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Diese Zeilen stammen von Nina Pauer, der Autorin des Buches "wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen". Wie soll ich diesen (postfeministischen??) Beitrag interpretieren? Als Plädoyer für den starken Mann (braun gebrannt dank Solarium - Skilehrertyp für Arme), bitte sehr mit obligatem Drei-Tages-Bart und pseudo verwaschenen Jeans, lässigem Hüftschwung (gut eingeübt vor dem häuslichen Spiegel im Schlafzimmer) und mit ausrangierter Zigarette zwischen den Mundwinkeln (sie wissen schon: die Marlborowerbung von anno dazumal)? Der nicht lange fackelt (man muss ja nicht immer reden) und dessen intellektuelles und moralisches Niveau irgendwo (Ballermann?) und irgendwann (spätestens mit 16) auf der Strecke geblieben ist? Der verdammt genau weiss, was er will (und sei es bloss das eine) und auf Heavymetal oder Jürgen Drews steht?

Ich frage.
Und ich staune ein bisschen.
Gerade im Kontext der jüngsten Debatten.
Was wird eigentlich "vom Mann" erwartet?
Soll er vielleicht verschiedene Gesichter haben?
Allenfalls je nach Tages- und Nachtzeit?
Mal Macho, dann sanft, dann Vater des gemeinsamen Kindes (so vorhanden), dann Freund, dann Draufgänger, dann was denn noch?
Oder nichts von dem oder alles von dem ein bisschen?

Ich glaube schon, dass man von einer Orientierungskrise sprechen kann.
Von einer männlichen, ja - und gewiss auch von einer weiblichen.
**
Und hier noch
als Gutenachtkuss (ist das fordernd genug?), liebe Nina Pauer,
wunderbar melancholische Mädchenmusik.
I like it!

kleiner Willkommensgruss

Herzlich Willkommen, liebe neue Leserinnen und Leser.
Und ein Kalispera meinem neuen Leser aus Griechenland mit diesem wunderschönen kleinen Lied hier

Montag, 28. Januar 2013

Alles zu seiner Zeit

Ein Hauch von Frühling weht durch die Luft.
Die Natur spielt verrückt, und
aus den ruhenden Knospen 
entspringen
bereits die ersten Triebe.
Illusionen früher Lust, 
verursacht durch eine 
verfrühte und bloss 
vorübergehende 
Wärme.

Doch der Winter 
wird sich zurückmelden,
ja zurückschlagen,
und den Trieben den Garaus machen.

Alles zu seiner Zeit.

Sonntag, 27. Januar 2013

Tag des Gedenkens

Heute geht der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zu Ende. Ich las in der Sonntagspresse nichts darüber. Weshalb bloss? Das Erinnern an das letztlich Unaussprechliche ("wir wissen viel , aber verstehen wenig") ist unsere Pflicht, und ich meine dies ohne jeglichen Pathos. Es braucht nur -doch immerhin- immer wieder neu ein kurzes Innehalten, ein Nachdenken, ein tiefes Durchschnaufen.
Weil Erinnerung immer auch Befreiung ist. 

Tanzen auf Beton

Den Zustand des Kleinkindes jenseits der Sprache wieder erreicht, keine Worte mehr zu haben, das ist das Glück. Darum strebt alle Kunst danach, wie Musik zu sein: weil Musik mit ihrer Struktur deutlich als etwas Menschgemachtes zu erkennen, zugleich aber jenseits der Worte ist.

Diese Bemerkung von Iris Hanika, wie beiläufig notiert, entspringt meiner Meinung nach einer tiefen Wahrheit. Worte, Sätze, ganze Abhandlungen haben ihre Grenzen, die nur Musik sprengen kann. Und Iris Hanika weiss, wovon sie spricht, wenn man ihren Roman "Tanzen auf Beton" liest. Nicht, dass ihre Sprache versagen würde. Aber das Unaussprechliche lässt sich trotz intensiver Selbstbefragung letztlich nicht mit absoluter Sicherheit auf den Punkt bringen, doch immerhin erahnen, sie, die während Jahren eine sogenannte Affäre mit einem verheirateten Mann hatte, und dabei dennoch nie so etwas wie einen kleinen Moment des Glücks erlebte. Der Sex war eindimensional, einseitig und von Routine geprägt - und mehr als dies gab es in dieser Beziehung nicht. Aus dem anfänglichen Abenteuer entwickelten sich bald und schnell banale Begegnungen -die kaum länger als zwei Stunden dauerten - der oberflächlichen Art. Erstaunlich, dass sie es dennoch so lange aushielt: "es fanden keine weiblichen Orgasmen statt, weder klitorale noch vaginale. So gut wie keine. In fünf Jahren vielleicht drei; wirklich erinnern kann ich mich allerdings nur an einen". Und schreibend sucht sie nach Antworten auf diese einseitige Affäre, die im Grunde der Dinge gar keine war. Sie sucht und schreibt sich frei. Und indem sie dies tut, kommt sie sich näher und lotet ihre Widersprüche und Ängste meisterhaft aus.

Noch muss ich das Buch zu Ende lesen, aber ich weiss schon jetzt: es ist ein Buch voller kluger Fundstellen, verpackt in einer präzisen Sprache der feinen Beobachtungen.
Ein tolles Buch.

Ticket To Ride

Winterliche Grüsse der Beatles.
und schönes Wochenende mit viel Schnee und sicherem Skifahren :-)!

Samstag, 26. Januar 2013

Crystal Meth oder: von der Gegenwart


Schockierend, was man da zu sehen bekommt. Zwischen beiden Aufnahmen liegen bloss 2,5 Jahre. Und in diesen 2,5 Jahren hat diese Frau "Crystal Meth", eine synthetische Leistungsdroge, konsumiert. Die Droge kommt aus Tschechien, wie ich gelesen habe, und breitet sich offenbar (auch) in Deutschland aus. Sucht hat viele Gesichter, und doch einen gemeinsamen Nenner: Sucht, so schnappte ich einmal auf, ist die Unfähigkeit, in der Gegenwart zu leben, genauer: die Gegenwart zu akzeptieren und sich ganz mit ihr -und nur mit ihr- auseinandersetzen. Ich kann dem nicht widersprechen. 

Dienstag, 22. Januar 2013

Anna (doch für einmal nicht Ternheim)

Wieder Anna.
Heute jedoch nicht Anna Ternheim.
Heute ist es Anna Järvinen.
Ich mag beide Annas.

Stille

Je intensiver man sich der Stille stellt, umso deutlicher mögen die Antworten aus ihr hervorkommen. Vielleicht deshalb neigen wir dazu, die Stille vertreiben zu wollen, weil wir sie als etwas Bedrohliches wahrnehmen: dabei flüstert sie uns bloss zu, was wir zu verdrängen versuchen. Wir müssen ihr hierfür dankbar sein und sie pflegen und sie als unsere Begleiterin mit ins Boot nehmen, weil sie uns so etwas wie einen Echoraum zur Verfügung stellt. Wenn wir ihr fragen, wird sie uns -nicht immer!- antworten, auch wenn es dauern kann und das Gefühl dabei aufkommen mag, den Boden unter den Füssen zu verlieren. Ja, manchmal kann die Stille unerträglich sein, weil sie uns Wahrheiten zuflüstert, die wir nicht hören möchten, die uns beängstigen, beunruhigen. Oder sie lässt uns zappeln, indem sie das Schweigen zu ihrem Programm erklärt. Dann kommt nichts, kein Flüstern, keine Orientierung, nichts. Solche Momente sind schwierig auszuhalten, ja, davor fürchte ich mich. 

Die Katze

Manchmal denke ich mir, das Leben einer wohl behüteten Hauskatze sei etwas ganz Kuscheliges. Sie braucht nichts zu tun, das Fressen kriegt sie pünktlich und ohne Gegenleistung. Tagsüber lebt sie ihren Alltag, jagt manchmal ein Mäuschen, dann ficht sie einen Zweikampf aus, aus dem sie sich problemlos zurückziehen kann. Nachts kann sie sich im Haus bequem einrichten, vielleicht gar in der Nähe des Kamins oder sonstwo, wo es trocken und warm ist. Sie ist einfach, sie frisst und lebt und ist sich ihrer Existenz nicht bewusst. Sie lässt sich gerne streicheln und spielt fürs Leben gern. Einfach so. Und wenn sie Glück hat, findet sie in der Katzenwelt einen zeitweiligen Anschluss und spaziert gemeinsam mit ihrem Liebsten  Freund durch die Gärten der Vorstadt. Was möchte sie denn mehr? Eines gewiss nicht: sich vermenschlichen zu lassen. 

Samstag, 19. Januar 2013

Catherine Leonard

Catherine Leonard: Piano
Und jetzt noch dies, weil es so wunderbar zur Stimmung passt.
Zauberhände, die zauberhafte Musik spielen.

In den Bergen

Aussicht
Ich sitze nun seit geraumer Zeit in der alten ehrwürdigen Hotelbar. Vor dem Kamin habe ich mich bequem eingerichtet. Ich beobachte das Kommen und Gehen. Dort die alte Frau, die mit leerem Blick durch das grosse Fenster auf den nächtlichen Wald  blickt, Kinder, die mit aller Freude nach dem Leben greifen, während ein älterer Herr in Manns Zauberberg vertieft ist. Das Knistern im Kamin beruhigt, die Musik spielt irgend etwas von Brahms, ich nippe an meinem Glas und geniesse den Kirsch, der angeblich aus 158 Sorten gebrannt worden ist. Später breche ich noch zu einem kleinen Nachtspaziergang auf, das Thermometer zeigt eine Aussentemperatur von beachtlichen Minus 18 Grad. Der zugefrorene See ist schwarz, der Wind ist eisig und erinnert daran, dass wir tatsächlich im Januar sind. So könnte ich es noch ein Weilchen aushalten und mich der Illusion hingeben, die Zeit stehe still. Und dies wird hier zelebriert. Handys sind grundsätzlich im Hotel verpönt, man suche dafür bitte die kleinen Kabäuschen auf, die eigens dafür eingerichtet worden sind. Laptops bitte im Zimmer belassen, sie würden einfach nur stören! Hier wird gelesen, musiziert, diskutiert und disputiert. Alle wissen, dass hier Theater gespielt wird, und jeder ist sein eigener Darsteller. Aber bitte ohne Allüren, und während des Essens geht es eher laut zu und her. Die Karaffen mit dem Hahnenwasser (Leitungswasser) stehen bereit, weshalb sollte man hier in den Bergen Mineralwasser trinken? Und statt Luxusboutiquen gibt es hier Leseräume und eine geräumige Bibliothek. Ich liebe dieses bewusst ins Szene gesetzte Altmodische, das etwas Obskures in sich trägt und dennoch so verdammt gut tut. 

Freitag, 18. Januar 2013

Wieder einmal Anna

und auch wieder einmal in der Badewanne.
Freitagabend.
Den Stress der Woche vergessen.
Sich auf das kalte Wochenende freuen.
Die Berge rufen,
und die kalte Sonne des Januars.
Harter Schnee unter den Füssen.
So muss es sein.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Die Glücksjagd

Die ständige Jagd nach dem Glück -worin dieses auch immer bestehen mag- kann uns ins totale Offside katapultieren, indem wir, atemlos geworden, das vermeintlich kleine Glück von nebenan gar nicht mehr zu erkennen vermögen. Die Jäger werden zu Gejagten ihrer Trunkenheit. 

Dienstag, 15. Januar 2013

Ständiges Provisorium

Die scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten, die uns das Leben eröffnen, schränken uns in unserem Tun ein: vor lauter Varianten und Optionen, die uns locken, besteht die Gefahr der Lähmung. Wir sitzen fest und warten auf immer bessere Optionen. So leben wir im ständigen Provisorium und unterliegen dem Irrtum, frei zu sein. 

Lieber Dienstag

Wenn ich zu schreiben beginne, weiss ich nicht immer, wohin die Reise führt. Manchmal komme ich in eine Sackgasse und werde von Blockaden heimgesucht, so dass ich das Geschreibe gleich wieder lösche. Oder ich verirre mich in den Sätzen und komme aus dem Labyrinth nicht mehr so schnell wieder weg.

Heute habe ich Lust, dich, Dienstag, kurz anzusprechen. Du hast zu wenige Taschen, um alles, was ich besorgen und erledigen müsste, in dich platzieren zu können. Manchmal verlangst du zu viel von mir, vor allem dann, wenn ich kein Gleichgewicht finde und nur noch mit dem Kopf zu funktionieren habe. Grau warst du heute, kalt und nicht gerade einladend. Nun ja, ich habe es überlebt, bin nun zu Hause und kümmere mich bald um meine Tochter mit dem ganzen Programm: Hausaufgaben, musizieren, spielen, kochen, essen, Küche sauber machen und und und, das nenne ich einen schönen Kontrast zum bisher Geschehenen, was nicht selbstverständlich ist. Dafür will ich dir danken. 

Montag, 14. Januar 2013

Lieber Montag

Heute mag ich dich definitiv nicht.
Du bist das Eingangstor zu einer wohl eher mühsamen Arbeitswoche.
Ich möchte dich am liebsten ignorieren können.
Dich in einen Sonntag verwandeln wollen.
Du lässt dich aber nicht zähmen.
Umso mehr werde ich dir heute
trotzig
den Rücken zukehren
und eine eckige Runde drehen.
Wie auch immer.

Sonntag, 13. Januar 2013

50 Minuten Norah Jones

Weil es einfach gut tut

Nichts passiert

Was kann man an einem grauen und kalten Sonntagnachmittag machen, wenn man keinerlei Verpflichtungen hat? Ich dachte mir: gehe grundlos in die Stadt und lass dich überraschen. Kaum war ich aus dem Haus, treffe ich mich mit meinem Bruder. Es geht ab ins Café: Smalltalk, Kuchen und Milchkaffee. Ich unternehme einen nochmaligen Versuch und bin bald darauf im Zentrum. Die Menschen scheinen es eilig zu haben. Und es ist mittlerweile noch grauer als zuvor. Es beginnt zu schneien, die kleinen Flocken tanzen in der Luft und bleiben auf der Strasse liegen. Mir wird kalt, und bald einmal bin ich wieder in der warmen Stube.

Ich suche keine Ablenkung, sondern will mich dem ziellosen Moment hingeben. Keine Musik (vorerst zumindest). Keine Literatur zur Ablenkung (das kommt vermutlich später). Ich bin wachsam und registriere, dass die Gedanken im Kopf scheinbar unkontrolliert und unstrukturiert umherirren. Durch das grosse Fenster beobachte ich den grauen Himmel und die immer kleiner werdenden Schneeflocken. Bald dunkelt es ein. Ich mag diesen Moment des Übergangs, der mich an die Endlichkeit erinnert. Ich ertrage die Stille gut, sie ist längst keine Feindin mehr. Früher war das anders, da hatte ich Furcht vor ihr, suchte sie zu verscheuchen mit Ach und Krach. Jetzt beginne ich sie beinahe zu lieben.

Der Abend liegt vor mir, ich habe die Freiheit zu tun und zu lassen, was mir behagt. Und ich werde wenig tun, werde einfach da sein und dem Ticktack meiner Uhr zuhören. Später werde ich etwas Kleines essen, vielleicht baden, vielleicht ein Buch hervorkramen. Ich kann solche Momente geniessen, weil sei keinem messbaren Zweck dienen, weil sie keiner objektiven Logik folgen und an sich nutzlos sind, nutzlos jedenfalls aus Sicht des Zeitmaximierers, der möglichst "viel erleben" will und dabei doch wenig erlebt. Es tut gut, Momente bewusst einzubauen, die absolut unspektakulär sind, die nichts beinhalten und nichts wollen, die keine Ziele verfolgen und die Zeit einfach fliessen lassen. Bald ist es wieder Montag. Doch daran will ich nicht denken. Der Sonntagabend hat etwas Unaufgeregtes in sich. Ich will es Entschleunigung nennen. Bald ist es 18 Uhr, und ich habe keine Ahnung, was heute Abend geschehen wird. Wenn buchstäblich nichts passiert, ist viel passiert. Das tut gut. 

Samstag, 12. Januar 2013

Musikalische Grüsse aus Finnland

Wärmendes Finnisch zum Wochenende.

Donnerstag, 10. Januar 2013

Jennifer

Zufällig im Netz gefunden.
Und geheult wie ein kleines Kind.
Ich muss
ganz offensichtlich
dünnhäutig sein.

Albert Camus:
Die höchste Form der Hoffnung ist die überwundene Verzweiflung.

Und noch dies, weil es meine aktuelle Stimmung unheimlich exakt erfasst

Mittwoch, 9. Januar 2013

In der Badewanne (Boy)

In der Badewanne sitzen,
genauer: liegen.
Die Kerzen brennen,
der Nebel vor dem Fenster ist dicht.
Ich rieche die ätherischen Öle -
Arnika.
Denken macht jetzt keinen Sinn.
Ich nehme die ganze Wärme wahr
und geniesse das subtile Gitarrenspiel
und die sphärisch anmutenden Stimmen
beider Damen.


Otto Wels

[Photo: Otto Wels]
Wenn ich mir die Geschichte der SPD vergegenwärtige, so staune ich umso mehr, dass Figuren wie ein Steinbrück es geschafft haben, Kanzlerkandidat eben dieser einstmals so stolzen Partei zu werden. Hat seine Nomination vielleicht auch etwas mit unserem Zeitgeist zu tun? Haben wir -als Gesellschaft- tatsächlich so wenige Probleme, dass man glaubt sich den Luxus erlauben zu können, Ignoranten in politische Spitzenämter hieven zu wollen?

Wo sind die klugen Köpfe geblieben? Jene mit Rückgrat und Zivilcourage, die keine Reden für Geld halten, sondern aus Überzeugung? Otto Wels war so ein deutscher Politiker, der nur dann sprach, wenn er etwas zu sagen hatte, dann aber umso klüger und inhaltsvoller. Und er sprach von Problemen, die wirkliche Probleme waren. Und er schwieg auch dann nicht, als alle anderen schwiegen oder bereits zum Schweigen gebracht worden sind. Am 23. März 1933 hielt er seine berühmte Rede wider das Ermächtigungsgesetz der Nazis.

Wäre er heute Politiker, er würde sich keine Gedanken machen
über den angeblich mickrigen Lohn des Bundeskanzlers.
Er hätte vielmehr seiner Wählerschaft etwas mitzuteilen,
etwas,
das Hand und Fuss hat.
Und er müsste auch nicht laut werden,
weil der Inhalt seiner Rede Gewicht hätte.
Und er hätte es auch nicht nötig,
wie ein Feldmarschall zu posaunen.
Weil er wirklich etwas zu sagen hätte.

Und Frau Merkel würde sehr genau zuhören.
Und nicht nur sie.

Nachtrag (aus der heutigen NZZ):
Einen anderen Kandidaten hat man nicht. Aber wie ungeliebt, ja verhasst Steinbrück an der linken Basis der SPD mittlerweile ist, davon macht man sich im Ausland wohl keine Vorstellungen. Der wohlsituierte, in teurem Tuch teure Weine schlürfende Vortragsredner, der mehr Banker kennt als Arbeiter und sie auch besser versteht, passt zur Stimmungslage der Partei wie das Haar in die Suppe.

Tanz dich frei


Ich würde gerne wissen, wie Historiker/innen in 100 Jahren unsere Zeit bewerten werden. Wenn ich mir gelegentlich diese Frage stelle, so schwimme ich im Teich des Nichtfassbaren. Was treibt uns in unseren saturierten Gesellschaften wirklich an? Warum gehen die Menschen auf die Strasse, und wogegen protestieren sie bzw. wofür setzen sie sich ein? Jugendliche und jene, die sich trotz arriviertem Alter immer noch als solche halten, setzen sich in meiner Stadt für eine grossflächige Tanzparty ein nach dem Motto "tanz dich frei". Und geben sich dabei der Lächerlichkeit preis, dieses Postulat als "antikapitalistisch" zu bezeichnen. Das kann es ja ernsthaft nicht gewesen sein. Oder hat dies alles mit ungewolltem Dadaismus zu tun?

Montag, 7. Januar 2013

Wish you were here

Das Album erschien 1975. 
Und hört sich noch heute gut an - nicht nur abends beim Zähneputzen. 

Vom Reisen

Vor dem Einschlafen gefunden und notiert:
Warum reisen wir? Auch dies, damit wir Menschen begegnen, die nicht meinen, dass sie uns kennen ein für allemal; damit wir noch einmal erfahren, was uns in diesem Leben möglich sei - es ist ohnehin schon wenig genug.
Max Frisch, Tagebuch 1946-1949

2013 und die drei Stühle

Ich halte nichts von "guten Vorsätzen" für das neue Jahr. Weil diese ohnehin bloss Chimären sind. Morgen sind sie längst überholt und landen dorthin, wo sie hingehören: auf den Misthaufen der bunten Illusionen. Und trotzdem habe ich mir vorgenommen, in diesem Jahr gewisse Dinge zu tun, die letztes Jahr zu kurz bzw. überhaupt nicht zum Zug gekommen sind. Ob ich es schaffen werde, wird sich weisen.

2013 will ich weniger, dafür aber umso konzentrierter schreiben. Vielleicht werde ich dabei gegen eine Mauer des inneren Schweigens anrennen, mag sein. Auch will ich gewisse Handlungen und Routinen hinterfragen, mithin dem Tagesablauf in seinen scheinbar geordneten Bahnen vermehrt auf den Grund gehen. Morgens wache ich in der Regel recht erholt auf und stehe guten Mutes auf. Ich frühstücke, dusche und rasiere mich. Parallel dazu höre ich Musik und trinke Kaffee, die "Droge der Vernunft", wie ich irgendwo gelesen habe. Im Geschäft erledige ich meine Arbeit offensichtlich zur allgemeinen Zufriedenheit, und dennoch ohne Begeisterung. Ich kann mich in Tagträumen verlieren, mich mental irgendwo aufhalten. Die dahinter stehenden Mechanismen will ich genauer verstehen.

Ansonsten werde ich die kleinen Freuden vermehrt suchen. Wichtig ist mir, vermehrt von äusseren Zwängen -welcher Art auch immer- freier zu sein, was, jedenfalls für mich, nicht immer einfach ist. Aber ich habe in der letzten Zeit immerhin dazu gelernt. Äussere Reize sind ohnehin temporärer Natur und unterliegen einem schnell eintretenden Verfalldatum. Auf Stubbe will ich aber auch 2013 nicht verzichten, ebenso wenig auf gute Literatur, eine gute Flasche Wein oder dann und wann auf ein feines Gedeck. Und auf dieses und jenes auch nicht. Die Aussicht, bloss mit drei Stühlen zufrieden zu sein, gehört also nicht zu meinem Wunschkatalog, da für mich unerreichbar. 

Donnerstag, 3. Januar 2013

Im Januar

Viele mögen den Januar nicht. Ich eigentlich auch nicht, aber nicht, weil wir da besonders viel Nebel hätten. Oder graues Wetter. Vielmehr liegt es daran, dass der Januar mich hartnäckig an die ewige Wiederkehr des Gleichen erinnert. Während im Dezember sich alles auf die Weihnachtstage verdichtet und er uns damit, wenn auch bloss mental, ein "Schlupfloch" und damit so etwas wie Schutz ermöglicht, lässt der Januar buchstäblich alles offen - der Februar scheint so weit entfernt zu sein. Ja, der Januar fühlt sich leer und langatmig an.
Fluchtmöglichkeiten: Berge, Schnee und Sonne. Nur so lässt er sich ertragen. 

Mittwoch, 2. Januar 2013

Der arme Schlucker Peer Steinbrück



Lieber Peer
Seit Jahren beobachte ich dich aus der fernen Schweiz. Du bist ja hier mittlerweile als lauter Maulheld bestens bekannt, und es gefällt dir, gerade hier den starken Mann zu mimen, weswegen ich mir erlaube, Deine Wahlkampagne zu kommentieren. Ich erlaube mir dabei, dich mit Du anzusprechen, als Sozialdemokrat steht mir dies traditionsgemäss zu, doch was weisst du schon von sozialdemokratischer Tradition und Geschichte? Wenig, ich weiss, aber dafür kannst du ja nix. Kommst aus gutem Haus, das sei dir gegönnt. Aber darüber will ich gar nicht mit dir reden, auch nicht über Deine grosszügigen Honorare für Deine gelegentlichen Ergüsse über Gott und die Welt.

Meine Frage ist ganz banaler Natur: worin besteht eigentlich dein Leistungsausweis? In Nordrhein-Westfalen hast du nichts Grosses auf die Beine gebracht, der Schuldenberg ist vielmehr gewachsen. Und als Bundesfinanzminister? Reduktion der Abgaben namentlich für Familien und Kleinverdiener? Abbau unnötiger Bürokratie für Bevölkerung und Unternehmungen? Na? Von all dem wüsste ich nichts. Du kannst dich da fein rausreden, warst ja nur ein kleines Rad im Ganzen, die Mühlen mahlen langsam, Gott, du bist nicht zu beneiden.

Und jetzt willst du Bundeskanzler werden. Ausgerechnet du! Dabei würdest du nach eigenen Angaben ja doch zu wenig verdienen: 17'000 Euro, zusätzlich kommen noch rund 7'000 Euro dazu, macht zusammen 24'000 Euro Monatsgehalt. Vor der Steuer, schrecklich!, und die ist nicht gerade bescheiden, ich weiss, du bist ein armer Teufel. Wer will sich schon für 24'000 Euro im Monat abrackern? Ein Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen streicht mehr ein, hast du  nachgereicht. Mal ganz ehrlich, lieber Peer: wie, glaubst du, kommen solche Weisheiten bei jenen Leuten an, die du vorgibst zu vertreten? Deren Interessen du wahrnehmen möchtest? Und was schwafelte in diesem Zusammenhang der alte Mann mit Namen Schmidt? Jene, die dich deswegen zu kritisieren wagen, appellierten an die Neidgefühle kleiner Leute. Ich lass mir mal dieses Wortspiel auf der Zunge zergehen: die Neidgefühle kleiner Leute...sind das nicht just jene, die du zu vertreten vorgibst?

Man braucht kein Politikanalytiker zu sein, um schlicht festzustellen: mit diesem Gesabber hast du dich definitiv entlarvt als das, was du bist, nämlich als ein selbstgerechter Hüne, der schneller spricht als er zu denken vermag. Du hast dich eigenhändig demontiert. Tolle Leistung, Peer, wenigstens auf diesem Gebiet bist du dank deiner realitätsfernen Arroganz kaum zu überbieten.

Von den Loipen


Gibt es beim Langlauf nicht eine gespurte Loipe, von "irgendwem" für "irgendwen"? Kann man eine Spur, der "alle" folgen als eigene Spur bezeichnen und ist es wirklich das Ziel dahin zurückzustreben, wenn man sie verlassen hat, weil die Umstände es erforderten?
Moi

Die Loipe beim Langlaufen dient Dir als Orientierung. So lange Du willst, folgst Du ihr, und so lange dies der Fall ist, ist es "Deine". Bei Bedarf kannst Du sie jederzeit wechseln, meistens gibt es parallel laufende Loipen, und dort, wo dies nicht der Fall ist, gehst Du auf die Loipe der entgegengesetzten Seite, so lange dies eben möglich ist. Ausweichen ist eine Frage der Übung und Technik.

Anders formuliert: die Spur, die vor Dir liegt, weist Dir den Weg, deinen Weg. Jederzeit kannst Du "Stop" rufen und umkehren, innehalten, prüfen, das Leben auf Dich einwirken lassen und dann weiterziehen. Manchmal dauert dieses Innehalten  länger, achte darauf, dass Du nicht zu frieren beginnst. Und irgendwann willst Du ja zu Hause ankommen, es lohnt sich also, sein knappes Zeitbudget einzuhalten - auch dies wie im richtigen Leben.

Silberfee


Wenn du alles satt hast, du dir klein und hässlich vorkommst,
deine Augen voller Tränen sind –
glaub mir, ich trockne jede einzelne von ihnen.
Ich steh zu dir, wenn die Zeiten rauher werden und alle Freunde verschwunden sind.
Ich bin für dich wie eine Brücke über aufgewühlten Wassern –
versprochen!
Wenn du total am Ende bist, auf der Strasse liegst,
mit Bangen an den Abend denkst –
ich werde dich trösten, für dich einstehen.
Und wenn es dann dunkel wird und dich der Schmerz umfängt,
bin ich für dich wie eine Brücke über aufgewühlten Wassern –
versprochen!
Lass einfach los, meine Silberfee, lass dich einfach treiben.
Deine Zeit ist gekommen, all deine Träume werden wahr, sieh nur, wie hell sie strahlen!
Wenn du einen Freund brauchst: ich bin in deiner Nähe
und heile deinen Kummer –
wie eine Brücke über aufgewühlten Wassern.

Das Leben nochmals erleben


In den Kindern erlebt man sein eigenes Leben noch einmal, 
und erst jetzt versteht man es ganz.
Kierkegaard

Mag sein, dass dem, ansatzweise, so ist. Ich erlebe beim Spiel mit meiner Tochter mitunter intensive Momente des Erinnern. Ihre kleinen Triumphe und Niederlagen des Alltags sind qua Erinnerung auch die meinen. Unlängst musste ich meinen damaligen Schulweg nochmals durchwandern und sah mir dabei alles an. Merkwürdig, als sei die Zeit stehengeblieben, verliere ich mich in meinen Gedanken längst verflossener Momente. Ob dabei allerdings das Leben ganz verstanden wird, wage ich sehr zu bezweifeln. Ich bin schon froh, etwas achtsamer zu werden.