Freitag, 29. April 2011

Echtes Leben

Ich will echtes Leben und echte Gefühle, schreibt Karo in ihrem Blog.

Ob mir das bevorstehende Wochenende echtes Leben und echte Gefühle bringen wird, bezweifle ich. Ich mache Kompromisse. Weil man im Leben nicht alles optimieren kann. Weil das Leben oftmals nicht das tut, was man gerne von ihm erwarten würde. Schön wäre es, jenes donnernde Leben (Biermann). Vermutlich sollte man aber gerade nicht nach ihm suchen. Man muss es vorfinden. Und ansonsten muss man loslassen können. Es kommt, wie es kommen muss.

Ich bin wohl zu einem Fatalisten geworden.
Und insgeheim flüstere ich mir zu: wo zum Teufel bleibt es, das donnernde Leben?

*
Mit diesen Lied im Kopf mache ich mich nun auf den Weg ins Wochenende. Keine Ahnung, weshalb. Aber es läuft mir jetzt nach.

Donnerstag, 28. April 2011

5'244 Mails

Ich habe in meiner Mailbox 874 Mails von A abgespeichert, und täglich werden es mehr. Wenn ich die jeweiligen dazugehörigen Antworten und nochmaligen Fragen/Antworten dazu zähle (im Schnitt als Annahme 6), komme ich auf 5'244 hin-und-her-Mails. Und dies bezogen auf einen Zeitraum von gut einem Jahr, macht also pro Tag im Schnitt gut 14 Mails.

Statistik, gewiss. Aber da ist mehr drin als blosses Zahlenspiel: viel Sehnsucht, Melancholie und, ja, so etwas wie Liebe, jedenfalls Zuneigung und Verbundenheit. Nicht jede Handlung muss ja einen Sinn haben (im Sinne eines definierten und zu erreichenden Ziels). Auch wenn das Ganze "zu nichts" führt, ist es doch eine schöne Erfahrung und Bereicherung, elektronische Briefe zu schreiben, auf die stets Antworten folgen: mal sind es wenige Sätze, dann viel mehr, dann wieder nur ein kleiner Gruss oder eine kleine Frivolität, eine Aufmunterung, ein weiterführender Gedanke, eine Idee, eine knifflige Frage, eine kluge Bemerkung... es kommt mir vor, als würde ich sie schon lange kennen, als wäre ich schon so oft mit ihr auf eine Tasse Kaffee oder Tee gegangen, hier gleich im Café um die Ecke.

Ist es, paradoxerweise, die räumliche Distanz, die dazu führt, dass wir uns virtuell umso näher sind? Wäre da mehr, wären wir tatsächlich Nachbarn?
Nie werde ich diese Fragen beantworten können - vielleicht ist dies ja auch gar nicht wichtig. Doch eines ist gewiss: ich werde auch heute Abend meine Gute-Nacht-Mail verfassen.

Morgendliche Erkenntnisse

Meine Tochter stellt mir in letzter Zeit immer öfters die Frage, wie alt ich in 5, 10 oder 20 Jahren sein werde. Leicht entnervt teile ich ihr jeweils mit, sie sollte diese Frage in ihrem Alter selbständig lösen können. Dann beginnt sie laut vorzurechnen und vertippt sich dann und wann um einige Jährchen. Ich will da ein Auge zudrücken: Rechnen war auch nie meine Stärke. Aber die Frage nach dem Alter hat mich bereits als Kind beschäftigt. Ich weiss noch gut, wie ich schockiert reagierte, als ich anlässlich eines Geburtstags meiner Mutter ihr damaliges effektives Alter erfuhr: 50. Das sass.

Heute morgen hat mir meine Tochter beim Frühstückstisch erzählt, sie fürchte sich nicht vor dem Tod. Was sie sich denn darunter vorstelle, wollte ich wissen. Nun, der Tod sei so etwas wie ein ewiger Schlaf, also nichts Bedrohliches. Bei ihr kommt der Teufel nicht vor, aber auch kein Licht oder sonstige Engelswesen. Das nenne ich Nüchternheit. Ich selber kann mir das Nichts eigentlich nicht vorstellen. Aber diese Frage beschäftigt mich aktuell überhaupt nicht. Vielleicht verdränge ich sie ja bloss.

Mittwoch, 27. April 2011

Die Zeit

Ich schaue in letzter Zeit aufmerksamer in den Spiegel und entdecke da und dort kleine Fältchen, und die zusehends sichtbar werdenden grauen Haare lassen sich auch nicht wegdiskutieren. Nicht immer kann ich gut mit dieser Tatsache souverän umgehen, umgekehrt weiss ich sehr wohl, dass die Jugend masslos überschätzt wird. Aber die Phase zwischen 40 und 50 erachte ich als optimal, da möchte ich die Zeit einfrieren und diesen Zustand geniessen können. Aber vermutlich sind dies alles Kopfgeburten: Mit 30 dachte ich auch, genau hier sei das optimale Alter, mit 40 ebenso. Doch die Möglichkeit, aus der gegebenen Existenz zu fliehen, wird mit zunehmenden Alter zur realen Fiktion. Ich höre schon die Stimmen, die mir sagen wollen: ach komm, auch mit 60 oder 70 lässt sich etwas Neues beginnen. Nun ja, das mag sein, aber die realen Perspektiven werden dünner, die sog. Sachzwänge nehmen demgegenüber mit zunehmendem Alter direkt proportional zu. Also arrangiert man sich mit zunehmendem Alter mit seiner Existenz. Eskapaden sind zwar nach wie vor möglich, aber langfristig angelegte Lebensentwürfe jenseits des Status quo (gewissermassen das Experimentieren mit verschiedenen Identitäten im Sinne von Frisch) werden zusehends lächerlich und liessen sich realistischerweise ohnehin kaum umsetzen. Frisch war hier radikal und egoman zugleich: er verliess Frau und Kind und reiste bzw. "flüchtete" in die USA, um wohl die Suche nach Identität auf die existenzielle Spitze zu treiben.

Noch sind die Jahrgänge der Todesanzeigen, die ich täglich wie beiläufig zur Kenntnis nehme, in der Regel weit weg von meinem entfernt. Doch auch dies wird sich mit den Jahren schleichend ändern.

Dienstag, 26. April 2011

Zurück aus den Bergen

Zurück aus den Ferien. Ich brauchte ihn, den Bergfrühling, wie er mich sanft streichelte und einmal mehr daran erinnerte, dass alles im Fluss und damit vergänglich ist. Stundenlang sass ich am Ufer des grossen Bergsees (mit Nietzsche im Kopf: ganz Mittag, ganz See, ganz Zeit ohne Ziel) und habe zusammen mit meiner Tochter mit den auf dem Wasser schwimmenden Eisplatten gespielt, die sich mit letzter Kraft gegen die immer wärmer werdende Aprilsonne wehrten. Abends dann ein gutes Buch bei Jazz in der Hotelhalle, zuvor ein feines Essen bei einem guten Glas Rotwein.

Ja, so lässt es sich leben. So lässt sich das oftmals mühsame (weil durchorganisierte) Alltagsleben vergessen. Es fällt mir immer wieder schwer, diesen mythischen Ort der Kraft zu verlassen. Ich liebe diesen Müssiggang, dieses sich vom Augenblick Treibenlassen. Einfach da sein und die Stille aufsaugen. Nichts bewerten müssen, dem Wind zuhören, wie er kräftig aus Norden bläst und leichte Wellen auf dem See herzaubert, die wiederum die letzten Eisbrocken -mittlerweile zu Eissteinchen zusammengeschmolzen - zum Tanzen bringen und dabei ein eigenartiges Knacksen verursachen.

Je länger je mehr merke ich, dass ich kühle Temperaturen brauche, um einigermassen glücklich zu sein. Kälte und Eis treiben den menschlichen Geist an, Hitze und Feuchte machen bloss träge und denkfaul.

Nachtrag (2330 Uhr)

Ich bin müde, kann bzw. will dennoch nicht ins Bett. Unruhe treibt mich an. Ich beginne, in einem Buch zu lesen, lege es kurz später dann doch wieder weg, laufe in der Wohnung herum, schaue mir die sternenklare Nacht an. Dann gehe ich zum Laptop und surfe herum, bleibe mal hier, mal dort hängen, um gleich weiter zu surfen. Unfähig, zur inneren Ruhe zu kommen, unfähig zur Konzentration. Letztlich: unfähig (jedenfalls heute Abend), sich dem Hier und Jetzt zu stellen. Irrationale Angst auch davor, "etwas zu verpassen". Der späte Abend lässt mich müde werden und schärft, scheinbar in paradoxer Weise, dennoch die Gedanken und Gefühle. Doch das Stochern im Nebel hört damit nicht auf. Einzige Gewissheit an diesem Abend: nach einem kühlen Glas Wasser und dem obligaten Zähneputzen werde ich müde ins Bett steigen und hoffentlich bald den tiefen Schlaf finden.

Montag, 18. April 2011

Entführung

Du allein wirst diese Ouvertüre bzw. deren Salzburger Inszenierung richtig interpretieren können: Du weisst bzw. spürst, was ich Dir damit sagen will.

Donnerstag, 14. April 2011

Vorfreude

Morgen werde ich mit meiner Tochter spielen, Musik machen, auf dem Spielplatz etwas bauen, ein Feuer entfachen, am Flussufer Steinchen sammeln und diese ins Wasser werfen, nicht immer Denken müssen, einfach sein, sich ganz dem Spiel hingeben und damit dem Augenblick, nicht an morgen denken, nicht in Optionen denken, nicht an die Vergangenheit denken, nicht an die täglichen Pflichten denken. Nicht wollen, nur sein.

Einfach dem Leben recht geben.

Dienstag, 12. April 2011

Mozart

Dieses Jahr jetzt mahnt uns in aller Eindringlichkeit, dass unsere Kinder ein Recht auf eine volle Bildung und nicht nur auf Ausbildung haben. – Es ist symptomatisch für unsere Bildungsziele, dass bei den Kontrollmethoden – etwa der Pisa-Studie – die Musik praktisch keine Rolle spielt. Wenn zu Rechnen, Schreiben und Lesen nicht die Kunsterziehung gleichgewichtig hinzutritt, wenn das Nützlichkeitsdenken alles beherrscht – und wir sind nahe daran – dann besteht höchste Gefahr, dass der Materialismus und die Raffgier zur götzenhaften Religion unserer Zeit werden (...).

Mozart zwingt uns, in seelische Abgründe zu schauen und kurz darauf in den Himmel; vielleicht ein Griffel in der Hand Gottes.

Nikolaus Harnoncourt



Guten Fragen - diffuse Antworten

Folgendes Email hat mich heute erreicht, wofür ich mich herzlich beim Absender bedanke:

Nun lieber Peter ich lese dich nun schon ein Weile und verfolge still deine Gedanken und sein. Was ich mich schon lange frage, warum änderst du nicht, was dich schon so lange bedrückt ich möchte fast sagen erdrückt. Für mich als jemanden der "un"betroffen von aussen deine Hilferufe wahrnimmt, die vor Selbstmittleid und versuchten (Selbst)Erkenntnis voll sind... du scheinst am Ertrinken im Strudel von Melancholie... ich denke die Schmerzensgrenze ist erreicht.

Es macht mich betroffen zu lesen dass du mit B. Zeit verbringst und du dir dabei gemeinsam einsam vorkommst. Ich denke wäre ich in der Lage von B. so käme ich mir irgendwie missbraucht vor. Ausser natürlich die Regeln sind klar, doch denke ich nicht, dass B. mit dir vor einem so romantischen Hintergrund den Abend verbringen würde. Es verkäme zu einem Schauspiel.

Was ich nach der (allzu)langen Einführung eigentlich sagen will. Warum änderst Du nicht bewusst dein Leben, die Voraussetzungen dazu sind ja wirklich gegeben.

Eigentlich wäre alles ganz einfach im Leben.
Eigentlich.
Aber oftmals geht es nicht so, wie wir gerne möchten. Dennoch ist es nicht so, dass ich deswegen gesenkten Hauptes durch die Welt liefe. Ich singe gern und lache auch mal ganz laut. Das befreiende Gelächter also? Mag sein.

Das Leben lässt sich nicht auf Knopfdruck ändern. Ich jedenfalls kann das nicht. Die individuellen Rahmenbedingungen sind nun mal gegeben und lassen sich nicht von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Die bekannten Sachzwänge, ach, wer würde sie nicht kennen? Mag sein, dass ich ein Opportunist bin. Deswegen bin ich aber noch lange kein Schweinehund. Ich heuchle nicht und mache nichts vor. Ja, ich arrangiere mich in einem gewissen Sinn mit meinem aktuellen Leben. Das wäre wiederum ein Verhalten, das mich an die Ehe mit ihren subtilen Mechanismen der Verdrängung erinnert.

Samstag, 9. April 2011

eine weitere Zwischenbilanz

Samstag - ich bin heute tagsüber "allein". Ich setze es bewusst in Anführungszeichen, weil ich ebenso "allein" sein kann, wenn ich in Begleitung anderer Menschen bin. Zweisamkeit kann ebenso einsam machen, da weiss ich, wovon ich spreche. Doch heute bin ich physisch allein, und es tut mir gut. Wir haben wunderschönes Wetter, es ist für die Jahreszeit hier viel zu warm. Ich lese, sitze draussen auf der Terrasse, esse zwischendurch eine Frucht, lese wieder, und nun schreibe ich. Ich schreibe ohne Absicht und lasse mich von meinen Gedanken ad hoc treiben. Ich versuche, in mich zu fühlen: bin ich glücklich? Ach, nicht wirklich. Der Umkehrschluss, ich sei unglücklich, würde auch nicht der Wahrheit entsprechen. Ich bin einfach da, ich nehme den Augenblick wahr und versuche, mich ganz auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Ich lese Frisch, dieses Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Dieser Autor hat uns auch heute noch einiges zu sagen, seine Fragen nach der Identität sind für mich persönlich von höchster Aktualität.

Heute Abend werde ich also nicht "allein" sein, oder etwa doch? Ich werde mit B. essen gehen, an einem schönen Ort, mit Blick auf eine imposante Bergkulisse - Abendrot und blauem See eingeschlossen. Ich verspüre so etwas wie Stagnation, trete vor Ort. Ich muss nächstens weg von hier, mich etwas ausspannen, am Besten mit meiner Tochter, die nun Schulferien hat. Ab in die Berge, ich brauche frische Luft und den kalten Bergsee, der mich durchschüttelt und mich zum Schreien zwingt, wenn ich es wage, ihn zu betreten, und sei es nur mit nackten Füssen und Beinen. Ich registriere, wie meine Tochter wächst, aufmerksamer wird, wie sie beginnt, differenzierter zu argumentieren. Das Leben um mich herum stagniert nicht, nur ich stagniere, obwohl ich in letzter Zeit doch einiges dazu gelernt habe. Aber das mentale Treten vor Ort zeigt mir, dass ich die Kurve noch nicht erwischt habe, jene Kurve, die weiterführt und mehr Gelassenheit zuliesse.

Ich möchte am Liebsten weg sein - und bleibe am Liebsten hier (Biermann)

Mittwoch, 6. April 2011

ausgelaugt

Heute bin ich ausgelaugt und müde.
Grübeln über die Existenz.
Trost ist nicht in Aussicht, höchstens bzw. immerhin in Form guter Literatur und Musik.
Ich kann nur auf bessere Zeiten hoffen.

Samstag, 2. April 2011

ganz im Spiel

Es ist für mich immer wieder erstaunlich festzustellen, wie schnell Kinder wachsen - in einem umfassenden Sinn verstanden. Meine Tochter geht neuerdings selbständig mit ihrer Schulfreundin Radfahren, ganz in der Nähe meiner Wohnung, auf einer sehr ruhigen Quartierstrasse. Noch vor wenigen Monaten wäre dies kaum möglich gewesen.

Ihr Spielverhalten verändert sich auch schleichend, die Barbie-Puppe-Phase scheint vorbei zu sein, jetzt wird vor allem "Oper aufgeführt", Rollen werden ausprobiert und damit mit verschiedenen Identitäten gespielt. Zur Zeit spielen die Kinder Szenen aus Mozarts le nozze di Figaro nach (Hach, was für geniale Musik). Ich nehme mit einer gewissen Bewunderung zur Kenntnis, wie genau die Kinder dabei auch die Bewegungen der Sänger bzw. Sängerinnen nachahmen können, wie theatralisch Figaro bzw. Susanna interpretiert werden - wunderbar übertrieben und mit einer gehörigen Portion Exzentrik versehen. Auch bin ich erstaunt, wie sie ganze Textpassagen mitsingen können, obwohl sie kein Wort Italienisch verstehen.

Hier sind die Kinder ganz im Spiel - und damit ganz Mensch (Schiller). Ich denke, dass die Erwachsenen nicht mehr über diesen inneren Reichtum verfügen. Wann habe ich zum letzten Mal bei strömendem Regen draussen getanzt? Wann habe ich zum letzten Mal in der Badewanne lautstark gesungen? Ach, zu lange ist es her. Werdet wie die Kinder, so heisst es im Lukas-Evangelium (18, 15-17). Wie wahr.