Dienstag, 28. Mai 2013

gewollte Momente des Schweigens

Ich stelle mir vor:
eigentlich weiss er nichts wenig von dieser jungen Frau. Fragmente ja, und seine Intuition, die ihm die Richtung zeigt. Im gemeinsamen Schweigen jedoch kommt die Wahrheit umso heftiger zum Ausdruck, hierzu bedarf es keiner Worte und keiner langen Erklärungen. Später, im erschöpften Zustand, im Flüsterton dann noch dies und das, das wenig und doch viel ist, um Konturen anzunehmen. Die Momente des gewollten Schweigens überwiegen. 

Sonntag, 26. Mai 2013

Vorprogrammierter Abschiedsschmerz

Es gibt Begegnungen, die den Abschiedsschmerz bereits in sich tragen, weil er zwingend dazu gehört. So gibt es von Beginn an keine Missverständnisse, jeder weiss, ohne dass darüber gesprochen wird, woran er ist. Nimm mich, solange es geht, und dann zieh weiter, so oder ähnlich muss es sein, weil das Leben sich seine Bedingungen nicht immer aussucht. Illusionslose Romantik? Vielleicht. 

Bern, danach

Das hier ist weder Belfast noch Paris....es ist Bern.
Idioten, die glauben, mit Krawall Politik zu machen, brüsten sich.
Idioten der heutigen Konsumgesellschaft, der Analyse unfähig.
Söhne und Töchter satter Eltern, orientierungslos und konsumgeil,
die im Adidasleibchen irgendwelche Parolen schreien,
deren Inhalt sie ohnehin nicht verstehen.
Und Montags gehen sie wieder brav zur Schule und kuschen.

Freitag, 24. Mai 2013

Rebellion

Ich stelle mir vor:
Er begann zusehends, gegen die schrumpfende Zukunft zu rebellieren. Er hatte Angst davor, als Mann nur noch geschätzt, aber nicht mehr erkannt zu werden. Und so lächelte er sich das Leben an, eines Tages und beinahe ungewollt. Sie fand Gefallen an ihm, mehr: sie wollte, wenigstens eine Zeit lang, ein gereiftes Leben neben sich haben und nicht ein Bursche mit Bleichgesicht, der Wagners Musik nicht kannte. Und er machte sich einen Sport daraus, das junge Leben an die Hand zu nehmen, auch sprichwörtlich, und führte es aus und genoss die irritierten Blicke gereifter Frauen und halbwüchsiger Burschen, alle auf ihre Art und aus unterschiedlichen Gründen eifersüchtig auf das, was sie sahen, ein Mann und eine Frau, die in einer Gartenwirtschaft sassen und nur dadurch, dass sie sich die Hand hielten, erkannte man, dass es nicht Vater und Tochter waren.

Er: Sein Kreuzzug wider das Altern: ich bin noch da - und wie!
Sie: Ihr Aufstand gegen den stets abwesenden Vater: du A***loch!
Oder auch:
sie mochten sich einfach, ohne viel Worte darüber zu verlieren. 

Dienstag, 21. Mai 2013

Im Zelt

Das Leben griff unmittelbar nach ihm, ehe er sich dessen bewusst wurde.
Und dann - wie lange war das schon her! - des Nachts im warmen Schlafsack den harten Boden unter dem Rücken spüren, während ein stürmischer Westwind das Zelt wegzufegen drohte. Doch auch im engen Zelt spielte sich ein Sturm ab, ein Lebenssturm, der alles wegzuspülen drohte, einer Befreiung gleich, endlich wieder Leben spüren, bebendes Leben wider jeglicher Vernunft und Zukunftsaussichten. Rausch der Sinne und des Moments, derweil es später zu regnen begann, sintflutartig, bedrohlich und beglückend zugleich. 

Donnerstag, 16. Mai 2013

Wofür leben wir?

Heute unter anderem dies in meinem Email-Eingang:
Ich kenne doch alles schon, den Alltag, die grossen und die kleinen Gefühle, den Abschiedsschmerz, wofür leben wir? 
Ratlosigkeit, ja. Hüben wie drüben. Eine Antwort wird mir einfallen, gute Durchhalteparolen, wissend, dass ich selber kaum daran glaube.

Mittwoch, 15. Mai 2013

Noyuri und Takuya

Heute beim morgendlichen Lesen des NZZ-Feuilletons entdeckt und gleich auf die Einkaufsliste für heute spätnachmittags gesetzt. Die Autorin des besprochenen Romans als "Meisterin zurückhaltender Vertrautheit" taxiert - das darf man sich nicht entgehen lassen.

«Bestimmt will er (der Taxifahrer) unbedingt wissen, in welchem Verhältnis wir zueinander stehen›», flüsterte Takuya ihr zu. ‹Verhältnis. Ja, ob wir verheiratet sind, womöglich gerade einen Seitensprung machen oder beruflich unterwegs sind.› Das Wort Seitensprung schockierte Noyuri für einen Moment. ‹Einen Seitensprung, aha›, sagte sie. Sie war erstaunt, wie heiter ihre Stimme klang. Sie musterte Takuya. Dieser zuckte die Achseln. ‹Das Wort Seitensprung klingt irgendwie beschwingt, oder›?, sagte sie leise.»

Dienstag, 14. Mai 2013

Lebenshunger

Es gibt Nächte, die sich von anderen Nächten grundsätzlich unterscheiden.
Radikal unterscheiden.
Nächte, die den Schlaf nicht zulassen wollen,
ihn verachten und vertreiben,
die stattdessen
nur noch die Atemlosigkeit kennen und die pure Lust auf das Fleisch,
einer Rebellion gleich wider die tickende Lebensuhr,
Schweiss und Tränen als äussere Zeichen, dass man lebt.
Lebenshunger.
Nächte auch der Illusionen.
immerhin der bewussten und einkalkulierten,
dem alljährlichen Feuerwerk gleich, dessen Schlussbouquet
schon bald darauf
jäh in sich zusammenbricht. 

Freitag, 10. Mai 2013

Unnahbar

Die alte Mutter erzählte ihrem Sohn von ihrem jüngsten Traum. Sie sah ihren Sohn inmitten einer grossen Menschenmenge und wollte auf ihn zugehen, ihn berühren, aber es gelang ihr nicht, die Menschenmenge liess ihre keine Chance, sie versuchte immer wieder, gegen die Masse anzukämpfen, boxte sich irgendwie durch und griff nach ihrem Sohn, doch umsonst, sie griff doch bloss ins jämmerliche Leere. Die Menschenansammlung reagierte unwirsch auf ihr Drängeln und drang sie zurück. Ende des Traums.
Und er, als er die Geschichte gehört hatte, erschrak und dachte sich, wer wohl sonst noch solche Träume von ihm haben mag. Doch eine Gewissheit hatte er: seine Tochter würde nie auf diese Art von ihm träumen. 

...wie ein Zuviel an Sonne

Ich bin mittlerweile auf Seite 440 angekommen in jenem Buch, das die Liebe in groben Zügen behandelt. Meine Zwischenbilanz: das Buch fällt nicht ab, im Gegenteil, das fein ausgelegte Netz gegenseitiger Abhängigkeiten wird immer sichtbarer. Vila und Renz, das Paar, das sich, so scheint es, nicht mehr viel zu sagen hat, geht konsequent "fremd", er macht es nicht einmal heimlich bzw. bemüht sich kaum, es unter dem Deckel zu behalten, sie aber macht aus ihren gelegentlichen Affären ein Geheimnis (oder Renz sieht es einfach nicht, weil er sich das von seiner Frau gar nicht vorstellen kann), auch jetzt, da sie Bühl kennengelernt hat, jenen Mann, der das gemeinsame Ferienhaus des Ehepaars in dessen Abwesenheit hegt und pflegt und ein etwas komischer Kauz ist. Und sie liebt ihn, so scheint es und so glaubt sie es auch, anders als ihre bisherigen Seitensprünge, weil diese eher als Rache gedacht waren, um es ihrem Mann heimzuzahlen. Und so sehnt sie sich nach Bühl (immer wieder Bühl!) und schafft es doch nicht, ihrem Mann klaren Wein einzuschenken, stattdessen wirft sie ihm seine bisherigen Affären wie auch seine aktuelle Affäre mit einer krebskranken Frau, die nicht mehr lange zu leben hat, vor. Auf einer längeren Autofahrt mitten durch die Schweiz dann ihre Erkenntnis, dass sie Renz auf ihre Art doch liebt, Renz als ihre Rüstung, Renz als Voraussetzung, dass sie sich fallen und gehen lassen kann. Und dann die alles durchflutende Erkenntnis, dass Renz ihr Netz ist, weil "Bühl minus Renz ihr zu viel werden könnte wie ein Zuviel an Sonne" (S. 436). Dieser wie beiläufig notierte Satz hat mich gerüttelt. Vila und Renz: da ist einfach zu viel an Wurzeln vorhanden, zu viel an gemeinsamer Geschichte, zu viel an gemeinsamen Momenten nachts in der Küche, als sie beide einen Prosecco zusammen trinken, sich zwar gegenseitig Vorwürfe machen, mal verbal, dann nonverbal, und doch lachen sie gemeinsam, wenn auch die Grenze zum Komischen und Tragischen fliessend ist. Die Bäume bzw. deren Wurzeln sind mehrfach und untrennbar ineinander verkeilt, von aussen nicht sichtbar, eine Symbiose, aus der es kein Entrinnen gibt, nur kleine sachte Nebenwurzeln, die der Hauptwurzel entspringen, aber letztlich von ihr abhängig bleiben und somit aus sich selbst heraus nicht überlebensfähig sind, sind sichtbar und doch dem Leben abgewandt.

"...Bühl minus Renz ihr zu viel werden könnte wie ein Zuviel an Sonne"...
so wie sie -wer das auch immer sein mag- ihr Handy bewusst nicht ausschaltet, wenn sie fremdgeht, weil das Handy die Verbindung sicherstellt zu ihrer Rüstung, die sich in Form ihres Ehemanns auch prompt meldet und wie beiläufig fragt, wo sie jetzt gerade sei, und sie, während sie das pralle Leben ihres Liebhabers in ihrer rechten Hand hält und massiert, bloss etwas stammelt wie ach unterwegs, soll ich das Abendbrot besorgen?, und dann wie erschlagen da sitzt und nicht weiss, ob das, was sie tut, sich richtig oder falsch anfühlt und kampflos das Liebes- bzw. Abenteuernest auf Zeit räumt. Die allumfassende Wurzel kann sich tief eingraben, uns besetzen, so dass es kein Entrinnen mehr gibt, nur -oder immerhin- kleinere Fluchten zulässt, so wie ein Baum kurz vor seinem Sterben noch Angsttriebe erblühen lässt - was für ein schöner, trauriger Anblick, einer Agonie gleich, die im Angesicht des Todes noch kurz rebelliert und all jenes noch zum Blühen bringen will, das ein Leben lang tief in ihm schlummerte.

Sonntag, 5. Mai 2013

Jenseits der Komfortzone

Die Wahrheit, unsere Wahrheit, liegt oftmals jenseits unserer Grenzen. Grenzen, die wir aus Bequemlichkeit, Feigheit oder Ignoranz oft nicht überschreiten wollen. Ja wir ahnen oftmals gar nicht, dass ein zeitweiliger Ausbruch aus der bürgerlichen Komfortzone so eminent wichtig wäre auf die Gefahr hin, vieles zu verlieren, was uns bisher so lieb und teuer war, zum Preis freilich gewonnener Erkenntnisse über uns und unsere Umwelt. Wir erkennen uns dann, wenn wir in unsere Abgründe blicken und dabei sehr genau hinschauen. Wenn wir nicht tun, was wir schon lange hätten tun wollen, aus Furcht, sich im Labyrinth unerforschter Gefühle und Leidenschaften (in einem breit verstandenen Sinn gemeint) zu verlieren, sind wir nur halbwegs uns selbst. Krieg raus, wer du bist, und schnüffle nicht Gott hinterher, denn was die Menschheit ist, begreifst du am besten an dir! Da hat er einmal wieder Recht, der Biermann.

Zum Schluss noch dies: 
mein Filmtipp für heute Abend.
Liebesleben, Arte, 22.50 Uhr
Alles gerät durcheinander im Leben dieser Frau, die doch, verdammt noch mal!, alles hat - scheinbar zumindest: einen lieben Ehemann, gesicherte Finanzen, Aussichten auf eine glanzvolle akademische Karriere, ein schönes Zuhause und und und.
Und doch passiert es, ein (ungewollter?) Ausbruch aus dem Korsett der Bequemlichkeit, ein nicht zu bremsender Drang, jene Grenzen zu überschreiten, die sich plötzlich zu erkennen geben und uns zeigen, dass da noch etwas wäre, jenseits all dessen, was wir kennen und schätzen - oder glauben, es zu kennen.

Samstag, 4. Mai 2013

In der Bar

Was ich manchmal brauche: herumzuhängen spätabends in einer gepflegten Bar, der Pianist spielt ein letztes Lied von Sinatra, ich sitze da, trinke meinen Manhattan und will nichts mehr als die pure Gegenwart spüren und dabei doch immer wieder an längst Vergangenes denken. Ich kann schrecklich melancholisch sein und verflossener Nähe nachspüren, manchmal nachtrauern

Von hoffnungslosen Küssen

In Anlehnung an eine Stelle bei Kirchhoff:
hoffnungslose Küsse sind die schönsten Küsse, also jene, die keine Zukunft wollen oder zulassen können und alles offen lassen, doch nur eines nicht einschliessen:
Gewissheit. 

Gegensätzliches

Freiheit und Sicherheit sind gegensätzliche Begriffe, beides gleichzeitig zu haben ist ein Luxus - und damit nicht prinzipiell unmöglich zu realisieren. Grundsätzlich aber gilt ganz offensichtlich: Freiheit ist oftmals nur auf Kosten von Sicherheit zu erlangen, so wie Sicherheit die Freiheit stark einschränken kann. Ich stochere im Nebel und bilanziere, wäge ab, tigere herum. Das öde binäre Denken führt nicht weiter und verfolgt mich doch bis tief in die Nacht. Ich wollte auf zwei Hochzeiten tanzen können, da Walzer, dort Rock'n'Roll. Und beides ist möglich, ergänzt sich gar, das eine geht fliessend in das andere über, warum dieses dumme entweder-oder? 

Mittwoch, 1. Mai 2013

Vom Fliessen

Liebes Tagebuch. Ich habe dir auch heute nichts zu sagen. Nicht, dass Leere in mir wäre. Aber da ist auch keine Fülle. Ich nehme meinen Alltag wahr als ein Fluss, der irgendwo hinfliesst und sich irgendwann im Meer verlieren wird. Doch Näheres darüber weiss ich nicht, vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.

Heute Nachmittag sass ich, einmal mehr, in meinem Büro. Vor dem Fenster die Altstadthäuser und der blaue Himmel, der sich schleichend und kaum wahrnehmbar verdunkelte. Später vernahm ich ein Donnergrollen, starker Regen war die Folge. So schnell ändert sich das Wetter wie im wahren Leben: Freude und Trübsal lösen sich schneller ab, als das einem lieb ist.