(...) da lebt ihr wieder im Alltag, der nämlich die Wahrheit ist, mit Pyjama und Zahnbürste im schaumigen Mund vor dem anderen, mit musealer Nacktheit im Bad (...). Ihr kennt eure Körper, wie man seine Möbel kennt, und da geht ihr zu Bett (...). Da hat die Ehe euch wieder, und ihr gebt euch einen Kuss, der wie ein Punkt ist (...). Ihr sehnt euch nicht nach einander, denn ihr seid ja da, ihr sehnt euch über einander hinaus, aber gemeinsam. Ihr sprecht von einer Reise im Herbst, einer gemeinsamen, ihr sehnt euch plötzlich nach einem Land, das es übrigens gibt, ihr braucht nur hinzufahren im Herbst. Niemand wird euch hindern daran, ihr braucht keine Strickleiter, um euch zu küssen, und kein Versteck, und da ist keine Nachtigall und keine Lerche, die zum Jetzt und Aufbruch mahnt (...). Vergangenheit ist kein Geheimnis mehr, die Gegenwart ist dünn, weil sie abgetragen wird von Tag zu Tag, und die Zukunft heisst altern...
Max Frisch, mein Name sei Gantenbein, Werkausgabe, Surhkamp 1976, S. 136/37.
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Dieser Text vermag in mir grosses Unbehagen auszulösen. Er stellt, wenn auch überspitzt, ein Leben dar, das jeglichen Glauben an das Lebendige und an das Gestaltbare verloren hat. Die Bilder, die transportiert werden, sind beklemmend. Ein Paar hat sich arrangiert und spult das Leben nur noch ab, gewissermassen nach einem Drehbuch, an das sich beide halten. Selbst der gemeinsame Urlaub ist längst entzaubert und bloss die Fortsetzung des gemeinsamen Alltags mit anderen Mitteln. Jeder spielt jene Rolle, die von ihm stillschweigend erwartet wird. Ein Kuss, der wie ein Punkt ist: so küssen sich alte Kumpels, aber nicht Liebende. Doch man bleibt trotzdem zusammen, weil man weiss, was man hat: Kontinuität im leblosen Zustand (museale Nacktheit) als Alternative zum Lebendigen und damit auch zum Wagnis.
Das Leben wird nur noch verwaltet. Eigentlich wird hier, und ich meine dies nicht zynisch, das Warten im Altersheim geschildert: ein blosses Warten auf den sicheren Tod (und die Zukunft heisst altern).
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